Beatrice | Page 4

Paul Heyse

hinuntergetaucht, daß ich, ohne den Zweig in meiner Hand, am Ende
geglaubt hätte, alles sei nur ein Traum gewesen.
Ich stieg nachdenklich aus dem Wagen und ging ein paar Schritte längs
der Mauer hin nach dem hohen Gitterportal, das den Garten verschloß.
Durch die alten Eisenstäbe von schwerer mittelalterlicher Arbeit konnte
ich ein Stück des Parks übersehen und das Haus, das mit
verschlossenen Jalousien mitten zwischen Ulmen und Akazien stand.
Ich rüttelte am Schloß, das nicht zu öffnen war, und meine Hand faßte
schon nach dem Klingelgriff, als mich eine geheime Scheu überfiel, das
Innere dieses fremden Bezirks zu betreten. Und was hätte ich für eine
Figur gemacht, wenn man mich um den Grund meines Eindringens
befragt hätte? So begnügte ich mich, ein Weilchen zu warten, ob die
Zweigwerferin sich nicht irgendwo blicken lassen würde, und
betrachtete indessen das Haus, an dem nichts Merkwürdiges war, so
genau, als ob ich es zeichnen wollte, bis die Sonne mir unerträglich
wurde und mich unter mein Schirmzelt zurücktrieb. Der Kutscher kam
darüber wieder zu sich, tat einen Ruck mit dem Zügel, und wir
schlichen unseres Weges weiter, ich immer noch den Kopf auf dem
Rücken, obwohl nichts Holdes mehr zu sehen war.
Als ich in meinen Gasthof "zu den drei Pilgern" zurückkam, brach ein
rascher Gewitterguß über diese schwüle Stadt herein, und es war die
Nacht darauf erquicklich kühl und feucht in den Straßen, so daß ich
nicht satt wurde, unter den langen Arkaden herumzuschlendern, bald
hier in einem Café Eiswasser zu trinken, bald dort ein Kirchenportal im
fahlen Laternenschein zu studieren. Aber sosehr ich mich mit Stehen

und Gehen abmüdete, ich konnte bis an den frühen Morgen nicht zum
Schlafen kommen. Daß es das junge Gesicht von der Gartenmauer sein
könnte, was mich wach hielt, glaubte ich selber nicht, obwohl ich es
beständig vor Augen hatte. Ich hatte es immer für eine Fabel gehalten,
daß der Funken eines Blickes genüge, ein Herz in Brand zu stecken.
Und so schob ich meine Unruhe auf die überreizten Nerven.
Nur am anderen Morgen, als man mir die schon abends bestellte
Rechnung brachte und ich nun mit der Abreise Ernst machen sollte und
doch merkte, es lasse mich nicht fort, wurde ich nachdenklich. Ich
erinnerte mich, daß ich einen Geschäftsfreund unseres Hauses hier in
Bologna aufzusuchen hatte. Mein Gewissen in diesem Punkt war sonst
nicht übermäßig zart. Jetzt aber schien es mir durchaus nötig, diese
Pflicht der Höflichkeit zu erfüllen. Auch machte ich mir Vorwürfe,
Raffaels heilige Cäcilien nur so flüchtig betrachtet zu haben, anderer
Unterlassungssünden zu geschweigen. Bologna kam mir auf einmal
sehr viel sehenswürdiger vor, und Florenz blieb mir ja aufgehoben.
Ich bildete mir zuletzt wirklich ein, die Zweigwerferin habe den
geringsten Anteil an meinem veränderten Entschluß. Seltsam, daß mir
die Umrisse des Gesichts, je mehr ich mich zurückbesann, immer mehr
entschwanden, und nur die Augen allgegenwärtig mir vorschwebten.
Ich merkte auch über Tag, während ich meinen Touristenpflichten
nachging, keine besondere Aufregung in mir. Doch als ich, da die
größte Hitze vorüber war, den Weg nach dem Landhause einschlug, als
ob es sich von selbst verstünde, war eine wunderliche Bangigkeit in mir,
und ich weiß noch genau, welche Lieder ich sang, um mir Mut zu
machen.
Nun kam ich hinaus und fand alles wie gestern, das Haus im Garten nur
weniger öde, da die Jalousien geöffnet waren und auf dem Balkon ein
Hündchen stand, das, wie ich von dem Gitterportal nicht weichen
wollte, mich heftig anbellte. Auch jetzt noch faßte ich mir nicht das
Herz, anzuläuten. Es war, als warnte mich etwas, und fast wünschte ich
selbst, das Gesicht nicht wiederzusehen, um dann morgen leichten
Herzens abreisen zu können. Dennoch umging ich erst einmal die
ganze Mauer, die sich ziemlich weit herumzog und drüben im Feld an
niedrige Bauernhütten und Maisfelder grenzte. Auch dort war alles
einsam. Als ich an die Stelle kam, wo ein niedriger Heckenzaun an die
Mauer stieß, so daß ich bequem hinaufklettern und in den Garten sehen

konnte, wagte ich es ohne Bedenken, da kein Mensch in der Nähe war.
Eine große Steineiche ragte gerade dort von innen über die Mauer. Da
stieg ich hastig hinauf und ergriff den niedrigen Ast, mich in der
Schwebe zu halten.
Ich hätte es mir nicht besser aussuchen können; denn kaum hundert
Schritte von mir entfernt sah ich auf einem verbrannten Rasenplatz, der
aber jetzt im Schatten lag, zwei junge Mädchen, die Federball spielten
und nicht ahnten, daß sie belauscht wurden. Die eine trug ein weißes
Kleid und den großen Strohhut, den ich gestern schon gesehen hatte.
Sie war nicht groß, nicht klein, schlank aufgewachsen wie ein
Mandelbäumchen, dabei von einer raschen Anmut wie ein junger
Vogel, daß ich ähnliches nie gesehen zu haben meinte. Die schwarzen
Haare fielen ihr während des lebhaften Spiels frei um die Schultern, das
Gesichtchen war blaß, nur Zähne und Augen
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