Beatrice | Page 3

Paul Heyse
Fenster nach dem Garten öffnen; es ist hier so schwül, daß man
schwer Atem holt. So!--und nun trinkt und raucht, und ich will auf und
ab gehen. Ein Vierteljahrhundert ist darüber hingegangen, und doch
steht alles wie von gestern neben mir und läßt mich nicht ruhig bleiben.
Was er dann berichtete, bis an die Morgendämmerung--denn auch
nachher konnten wir uns nicht so bald trennen--, schrieb ich am
folgenden Tage auf, soviel ich konnte mit seinen eigenen Worten.
Damals dachte ich nicht, daß es in Wahrheit sein letztes Vermächtnis
sein würde. Aber er hatte nicht zu viel gesagt. Die Nacht, in der er es
uns erzählte, trug ihm ein Fieber ein, das ihn bis nach Hause begleitete.
Eine nächtliche Aufregung beim Löschen eines Hausbrandes trat hinzu.
Wenige Wochen, nachdem wir ihn zuletzt gesehen, kam die Nachricht,
daß wir ihn verloren hatten.
Nun sind mir diese Aufzeichnungen um so wertvoller, und kaum kann
ich mich entschließen, fremde Augen hineinblicken zu lassen. Dann
wieder empfinde ich es als eine Pflicht, das wundersame Geschick
dieser beiden Menschen nicht im Dunkeln zu lassen. Sollte nicht das,
was hohe und edle Menschen erleben, Eigentum der ganzen
Menschheit sein?
So will ich ihn denn erzählen lassen.
Ich war eben fünfundzwanzig Jahre alt geworden, als mein Vater starb;
seit ich seinen schmerzlichen Todeskampf mit angesehen, schien ich
mir um zehn Jahre älter. Kurz vorher hatte meine einzige Schwester,
die ich sehr liebte, einen jungen Geschäftsfreund unseres Hauses
geheiratet, einen Franzosen, dessen Familie seit lang in Genf
angesiedelt war, und der nun seinen Namen unserer Firma hinzufügte.
Wir standen uns so nah wie Brüder, und als er und meine Schwester in
mich drangen, einige Monate auf Reisen zu gehen, um meine verstörten
Lebensgeister wieder ins Gleiche zu bringen, ließ ich mich hierin wie
in allen Dingen gern von ihnen bestimmen, zumal ich wohl fühlte, daß

ich einer Hilfe von außen sehr bedürftig war.
Auch wirkte die Luftveränderung bald, wie meine Lieben gehofft
hatten. Jugend und Lebensmut kehrten mir zurück; ich hatte wieder
offene Augen für alle Schönheiten der Natur, und mein Sinn für die
Künste, der schon auf früheren Reisen in Deutschland und Frankreich
geweckt worden war, fand reiche Nahrung in Mailand und Venedig,
wohin ich mich zunächst wandte, um dann in mäßigen Tagesreisen
südlicher zu gehen.
Vor allem zog es mich nach Florenz, und die Herrlichkeiten, die ich
dort zu finden hoffte, machten mich gegen manches undankbar, was
mir auf dem Wege dahin begegnete. So hatt' ich mir auch für Bologna
nicht mehr als einen einzigen Tag festgesetzt, Kirchen und Galerien
hastig durchrannt und mich am Nachmittag in einen Wagen geworfen,
um nach dem alten Klosterhügel San Michele in Bosco hinauszufahren
und mit einer Rundschau von da oben herab mein Reisegewissen über
diese merkwürdige Stadt zu beruhigen.
Es war einer der heißesten Tage jenes Hochsommers, und obwohl ich
sonst gegen jede Temperatur ziemlich unempfindlich war, lähmte mich
doch heute die Schwüle bis zur Erschöpfung. Die Straße, die von San
Michele nach der Stadt zurückführt, war völlig öde. Über die Mauern
der Gärten ragten die Bäume und Büsche dickverstaubt herüber, die
Räder des Wagens gruben sich in den handhohen glühenden Staub
schwerfällig ein, mein Kutscher nickte so schlaftrunken auf dem Bock,
daß er sich kaum im Gleichgewicht hielt, und sein müdes Tier schlich
mit gesenkten Ohren ganz am Rande der Chaussee, um den schmalen
Schatten mitzunehmen, den hie und da eine Villa oder Gartenhecke
über die Straße warf. Ich hatte mich auf dem Rücksitz bequem
ausgestreckt und mir aus meinem Regenschirm ein Zelt gemacht, unter
dem ich in einer Art Halbschlaf hindämmerte.
Plötzlich wurde ich, nicht eben sanft, aus meiner Ruhe aufgeschreckt
durch etwas, das mir gegen das Gesicht fuhr, als hätte mich im
Vorbeifahren ein herüberhangender Baum gestreift. Als ich hastig
aufsprang und mich umsah, fiel mein erster Blick auf einen blühenden
Granatzweig, der auf meinem Schoße lag und offenbar über die nahe
Mauer mir in den Wagen geworfen war. Die Bewegung, die ich machte,
schien dem Gaul ein Zeichen, daß er stillhalten sollte. Der Kutscher
schlief ruhig weiter. So hatte ich alle Muße, den Ort zu prüfen, von

woher der Wurf gekommen war, und ließ es mir um so mehr angelegen
sein, als ich hinter der hohen Gartenmauer deutlich ein verstohlenes
Kichern hörte, wie von einem übermütigen Mädchen, das heimlich über
eine gelungene Schelmerei triumphiert. Und richtig, noch hatte ich
nicht lange gewartet, aufrecht im Wagen stehend und die Mauer scharf
im Auge, als ein Lockenkopf unter einem großen Florentiner Strohhut
über dem Mauerrand auftauchte. Zwei dunkle mutwillige Augen unter
ernsthaften Augenbrauen richteten sich auf mich und schienen mich
wie ein fremdes Wundertier anzustaunen. Als ich aber den Granatzweig
erhob, die Blüten an meine Lippen drückte und sie dann gegen die
junge Wegelagerin schwenkte, übergoß das reizende Gesicht plötzlich
eine dunkle Röte, und im Nu war die Erscheinung wieder
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