Beatrice | Page 2

Paul Heyse
nahm Otto lebhaft Partei
für das, was ich als Konvention zu verdammen schien, er aber als das
strengwaltende Sittengesetz auch in der Dichtung obenan stellte. Mein
Satz schien ihm gefährlich, daß jeder tragische Fall das Naturrecht der
Ausnahme gegen das bürgerliche Recht der Regel verherrlichen müsse,
daß demnach der Begriff einer tragischen Schuld auf das Verbrechen
hinauslaufe, einen Dämon im Busen zu haben, der den einzelnen über
die engen Schranken der Alltagssatzung hinaushöbe und ihn darin
bestärke, mit nichts sich abzufinden, nichts zu dulden, nichts zu
verehren, was dem innersten Gefühl widerstreite. Damit lösest du, sagte
er, die ganze Weltordnung, die doch wohl ihre guten Gründe hat, zu
Gunsten eines unbegrenzten Individualismus auf und scheinst nur dem
wahren Wert für die Poesie zuzuerkennen, was sich außer das Gesetz
stellt.--Ich suchte ihn dabei festzuhalten, daß es sich hier nur um die
eigentlich tragischen Kollisionsfälle handle, und daß große und starke,
mit einem Wort, heroische Seelen den Streit der Pflichten anders zu
lösen pflegten als der ängstliche, von kleinen Gewohnheiten und
Rücksichten eingeengte Mittelschlag der Philister. Geniale Naturen,
sagt' ich, die auf sich selbst beruhten, erweitern durch ihre Handlungen,
indem sie das Maß ihrer innern Kraft und Größe als ein Beispiel
vorleuchten lassen, ebensosehr die Grenzen des sittlichen Gebiets, wie
geniale Künstler die hergebrachten Schranken ihrer Kunst
durchbrechen und weiter hinausrücken. Und was an Obermaß und
Übermut des Selbstgefühls in jenen heroischen Seelen sich rühren mag,
wird es nicht eben durch den tragischen Untergang geläutert und
gebüßt? Wenigstens nach der Meinung der Philister, denen das Leben
das höchste Gut ist, die also auch schwerlich von Handlungen und
Gesinnungen zu verführen sind, auf die nach dem Weltlauf der Tod
gesetzt ist. Der Dichter aber und die, die ihn verstehn, wird sich das
Recht nicht verkümmern lassen, sich der hohen Erscheinungen zu
erfreuen, für welche die üblichen Zollstöcke der Moral nicht passen
wollen. Und wer das unsittlich schilt, was bei unseren traurig
mangelhaften bürgerlichen Einrichtungen starken und freien Menschen

als eine heilige Notwehr übrig bleibt, für den ist Schönes nie
geschaffen worden, und vom Guten kennt er nur das Nützliche.
Dieses und ähnliches hatt' ich gesagt, als auf einmal Amadeus aus
seinem Hinbrüten zu mir aufsah und mir über den Tisch hinüber die
Hand reichte. Ich danke dir, sagte er; du hast da ein gutes Wort
gesprochen, das mir wohltut. Unter uns dreien kann ja auch kein Streit
darüber sein, daß die Sitte nicht das Maß der Sittlichkeit ist, und daß
die höchsten Aufgaben der Poesie an den Grenzen der Menschheit
liegen. Aber gegen eins muß ich Einsprache erheben: daß du den
Mangel eines wahrhaft großen tragischen Poeten in Italien aus der
konventionellen Gebundenheit des Volkscharakters erklären willst. Als
ob Gemüts- und Geschmacksanlagen, Sittliches und Ästhetisches sich
notwendig Hand in Hand entwickelten, nicht oft genug eins das andere
überholte! Wenn den Italienern das große tragische Talent geboren
würde, das sie in ihrem Alfieri freilich längst zu besitzen wähnen, --der
Genius des Volkes würde ihm auf halbem Wege entgegenkommen, und
die akademischen Vorurteile des Stils hielten gegen eine echte
Naturkraft so wenig stand, wie alle anerzogene konfessionelle Sitte
gegen das Recht und die Pflicht eines freigebornen Gemüts. Nein, fuhr
er in sichtbarer Erregung fort, und seine Augen schimmerten feucht,
das hohle Pathos ihrer Trauerspiele ist nicht der Grundton, auf den die
Seele dieser edlen Nation gestimmt ist. Ich wenigstens darf dies nicht
anhören, ohne Verwahrung einzulegen. Denn wenn es je ein Wesen gab,
das in seinem Gefühl und Handeln auf sich beruhte und seinem Dämon
gehorchte, so war es mein Weib, und mein Weib war eine Italienerin.
Er schwieg und wir saßen in der wunderbarsten Erregung ihm
gegenüber, ebenfalls stumm und atemlos vor Überraschung. So gut wir
ihn und all seine Verhältnisse zu kennen meinten, zum ersten Male
hörten wir heute, daß er verheiratet gewesen sei, mit einer Frau, die er
so hoch stellte und die er uns doch verleugnet hatte, wie man eine
Verirrung verheimlicht.
Nun stand er auf und ging in dem engen, halbdunkeln Raum eine Weile
auf und ab, und wir störten ihn weder mit Fragen noch mit Blicken.
Endlich trat er zwischen uns und sagte mit seiner tiefen, klangvollen
Stimme: Ich habe es euch nicht erzählt, weil mich die Erinnerung zu
sehr übermannt und manchmal, wenn ich es nur mir selbst so recht
gegenwärtig machte, mich ein Fieber befiel, das mich eine Woche lang

nicht wieder verließ. Und doch ist es mir wie eine Schuld gegen euch
vorgekommen, daß ich auf alle eure Neckereien, warum ich keine Frau
genommen, nur immer mit Scherzen antwortete. Ihr könnt glauben,
hauptsächlich um dies endlich zwischen uns ins klare zu bringen, habe
ich diesmal, da ich wieder von ihrem Grabe komme, den Heimweg so
eingerichtet, daß ich euch treffen mußte. Laßt mich also alles
heraussagen, wie es mir auf die Zunge kommt. Wir wollen erst noch
die
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