Aus meinem Leben - Zweiter Teil | Page 7

August Bebel

Kein Zweifel, wäre dieses durchaus unanfechtbare, von allen

maßgebenden Personen in der Partei gebilligte Programm fortan die
Richtschnur des Blattes geblieben, eine Spaltung wäre unmöglich
gewesen, eine Aera gesunder Fortentwicklung wäre eingetreten und
hätte eine ungeahnte Ausbreitung der Partei schon in jungen Jahren
höchst wahrscheinlich gemacht.
Aber Schweitzer wollte es anders. Von Herrn v. Hofstetten, seinem
Associé und Miteigentümer des "Sozialdemokrat", rede ich nicht.
Hofstetten war ein schwacher Mann ohne tiefere Einsicht in das Wesen
der Dinge, der sich von Schweitzer treiben und mißbrauchen ließ, und
den dann Schweitzer wie eine ausgequetschte Zitrone nach einigen
Jahren beiseite warf, nachdem Hofstetten sein Vermögen bis zum
letzten Rest für den "Sozialdemokrat" und für Schweitzer, der über Jahr
und Tag auch an seinem Tische saß, geopfert hatte.
Die korrekte Haltung des "Sozialdemokrat" währte nicht lange.
Bereits in Nr. 6 des "Sozialdemokrat" waren in dem Artikel "Das
Ministerium Bismarck und die Regierungen der Mittel- und
Kleinstaaten" Wendungen enthalten, in denen Schweitzers Sympathie
mit der Politik Bismarcks, wenn auch noch sehr vorsichtig, zum
Ausdruck kam. Mit der Nr. 14 des "Sozialdemokrat" vom 27. Januar
1865 beginnt dann jene Serie Artikel "Das Ministerium Bismarck", in
denen er die demokratische Maske fallen läßt, was die öffentliche
Absage der meisten der eben erst gewonnenen Mitarbeiter zur Folge
hatte.
In dem ersten dieser Artikel wurde ausgeführt:
"Parlamentarismus heißt Regiment der Mittelmäßigkeit, heißt
machtloses Gerede, während Zäsarismus doch wenigstens kühne
Initiative, doch wenigstens bewältigende Tat heißt. 'Schmach den
Renegaten, die jetzt der Reaktion dienen', rufe man. Sonderbar aber
doch, daß diese radikalen Renegaten (deren rasche Abwirtschaftung wir
erlebt haben. A.B.) nicht bei Pfordten und Beust (selbstverständlich
nicht. A.B.), daß diese radikalen Renegaten gerade bei Bismarck sind."
Die Renegaten, die er meinte, waren eben alles Leute, die keinen Beruf

zu einem revolutionären Vorgehen in sich verspürten, die sich mit der
kapitalistischen Ordnung der Dinge--vorausgesetzt, daß sie überhaupt
je deren Gegner waren--abgefunden hatten und sich sagten, daß der
Kapitalismus unter der Aegide des märkischen Junkers nicht zu kurz
kommen werde, worin sie sich nicht täuschten.
Im zweiten Artikel Schweitzers hieß es in Betrachtung der Entwicklung
Preußens:
"Von dieser Grundlage aus (dem Kurfürstentum) hat sich sodann der
vergleichungsweise junge Staat, vorzugsweise durch das mächtige
Genie eines großen Königs und gewaltigen Kriegshelden, eines in jeder
Beziehung bewunderungswürdigen Mannes, zu einem ausgedehnten
und mächtigen Königreich erweitert."
Nach dieser Verherrlichung Friedrichs des Großen, die ein Sybel oder
Treitschke tönender nicht betreiben konnte, spendet er auch der
Volkserhebung von 1813 ein Lob, die eine glänzende Ausnahme von
der Regel preußischer Geschichte sei. "Der Hauptsache nach und alles
in allem genommen, ist Preußen das, was es ist, durch die an seiner
Spitze stehende Dynastie geworden."
Alsdann charakterisiert er das Wesen des preußischen Royalismus.
"Während ein solcher Geist in den einen deutschen Staaten zwar nicht
ohne alle Begründung sein mag, jedenfalls aber alles höheren
politischen Ernstes und der tieferen Würde entbehrt, in den anderen
Staaten aber geradezu als Karikatur dessen erscheint, was man
Royalismus nennt, ist der königliche Geist in Preußen eine
wohlbegründete politische Anschauungsweise und Richtung. Denn die
Dynastie und in ihr der jedesmalige Regent können mit innerer
Berechtigung als der Kulminationspunkt der aufsteigenden Skala der
herkömmlichen Elemente, als der Schwerpunkt der in hergebrachten
Bahnen rotierenden Kräfte, als Herz und Gehirn des Organismus
innerhalb eines Staatsganzen betrachtet werden, welches nur so und
unter solcher Voraussetzung seine eigentümliche Wesenheit und seine
dermalige Stellung erlangte und erlangen konnte."

Des weiteren meinte er noch, daß der preußische Staat in seinem
dermaligen Zustand das offenbare Gepräge des Unfertigen, einer noch
nicht abgeschlossenen geschichtlichen Entwicklung auf sich trage. Ein
Zustand also, der nach Annexionen schreie. Diese Mission, die Preußen
in Deutschland habe, sei aber keine deutsche, wie man uns glauben
machen wolle, sondern eine preußische.
Schweitzer kannte also die Natur des preußischen Staates, wie keiner
sie besser kennen konnte, seine Schlüsse waren durchaus logisch. Aber
um so mehr drängt sich die Frage auf, wie konnte er dann eine Politik
unterstützen, die nach seinem eigenen Geständnis undeutsch, weil nur
großpreußisch war, und wenn siegreich, die Niederlage der
Demokratie bedeutete? Eine solche Politik durfte vom demokratischen
Standpunkt aus nicht unterstützt, sie mußte vielmehr auf Leben und Tod
bekämpft werden, denn es war der Todfeind der Demokratie, der diese
Politik betrieb.
Schweitzer schließt seinen zweiten Artikel also:
"Ein wahrhaft preußisches Ministerium, ein solches, welches die aus
der Geschichte des preußischen Staates hervorgegangene Wesenheit
desselben zu befestigen und weiterzuentwickeln strebt, kann weder in
Gemäßheit bloßen Schablonenkonservatismus lediglich die stupide
Aufrechterhaltung des gerade Vorhandenen beabsichtigen, wie dies
konservative Ministerien in Preußen lange getan, noch auch kann es die
dem Staate von seiner Geschichte indizierte äußere Politik unter
Aufhebung des inneren Charakters des Staates anstreben, wie dies die
liberale Partei unter Verleugnung des Machtschwerpunktes von der
Krone hinweg in das Abgeordnetenhaus beabsichtigte."
Das heißt also in klares Deutsch übersetzt: Die Eigenart des
preußischen Staates verbietet einer preußischen Regierung die
Einführung eines parlamentarischen
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