Aus meinem Leben - Zweiter Teil | Page 8

August Bebel
Regimes, und wenn ihr Liberalen
dennoch danach strebt, so verlangt ihr etwas, was der Natur des
preußischen Staates entgegen ist. Begnügt euch also, ein Ornament am
Staatswagen zu sein. In der Situation, in der damals die Kammer sich
der Regierung gegenüber befand, bedeuteten solche Auslassungen
einfach ein In-den-Rücken-fallen der Volksvertretung und eine

Unterstützung der Pläne Bismarcks.
In seinem dritten Artikel führt er zunächst aus: Die Schlußfolgerungen
seines zweiten Artikels und die Untersuchungen, die zu denselben
führten, seien mehrfach mißverstanden (!) worden. Er wird also jetzt
noch deutlicher. Er sagt:
"Indem Preußen eine Politik verfolge, die zur Annexion der
Herzogtümer (Schleswig-Holstein) führen müsse, setze es, die
glorreichen Traditionen preußischer Geschichte aus langem
Schlummer weckend, an den innersten Kern des preußischen
Staatsgeistes seine Hebel an.
Es ist eine bedeutende Politik, die jetzt in Preußen gemacht wird! ...
Wer Annexion anfängt, muß sie durchsetzen. Mehr noch.
Eine preußische Regierung, die in der zweiten Hälfte des neunzehnten
Jahrhunderts deutsches Land zu annektieren beginnt, eine preußische
Regierung, die angesichts der offenkundigen, von Kaiser, Königen und
Fürsten feierlich proklamierten Unhaltbarkeit der politischen
Verfassung Deutschlands die 'friedericianische Politik' (wie ein
großdeutsches Blatt sich ausdrückte) wieder aufnimmt, kann nicht stille
stehen nach kleinem Sieg--weiter muß sie auf der betretenen
Bahn--vorwärts, wenn nötig mit 'Blut und Eisen'.
Denn anknüpfen an die stolzesten Traditionen eines historisch
erwachsenen Staates und dann feige zurückbeben vor entscheidender
Tat, hieße den innersten Lebensnerv eines solchen Staates ertöten.
Man kann solche Traditionen ruhen lassen--aber man kann sie nicht
aufnehmen, um sie zu ruinieren!
Ein preußischer Minister, der solche Politik für Preußen machte--er
verfiele unrettbar den zürnenden Manen des großen Friedrich und dem
Gelächter seiner Zeitgenossen."
Wie mußte bei dem Lesen solcher Artikel das Herz jedes guten Preußen
schlagen; war doch danach Preußen quasi von der Vorsehung vorher

bestimmt, der Beherrscher Deutschlands zu werden. Und wie mußten
die Herzen der Feudalen einem Manne zugetan sein, der besser als sie
alle die "historische Mission" des preußischen Staates darzulegen und
zu verherrlichen verstand. Und das sollte unbeachtet und unbelohnt
bleiben?
Was Schweitzer hier schrieb, war aber auch eine Verherrlichung der
weiteren Bismarckschen Politik, es war eine förmliche Anpeitschung
Bismarcks, auf dem betretenen Wege weiter zu gehen, wäre eine solche
noch notwendig gewesen.
Im vierten Artikel kam Schweitzer auf den Bundestag und Oesterreich
zu sprechen. Hier hatte er mit seiner Kritik leichtes Spiel, denn dümmer
und dem Zeitbedürfnis widersprechender konnte nicht gehandelt
werden, als diese beiden Faktoren in der deutschen Frage gehandelt
hatten. Im übrigen war die Haltung, die in diesem Artikel Schweitzer
Oesterreich gegenüber einnahm, wie in seiner ganzen späteren Politik,
das direkte Gegenteil von dem, was er noch im Jahre 1863--also
anderthalb Jahre zuvor--in seiner Broschüre "Die österreichische
Spitze" zur Verherrlichung Oesterreichs gesagt hatte, und was das
Programm besagte, das angeblich der "Sozialdemokrat" vertreten sollte.
Der fünfte Artikel beschäftigte sich mit der Stellung der Nation und der
deutschen Frage. Er kommt zu dem Resultat:
"Aktionsfähig in Deutschland sind nur noch zwei Faktoren: Preußen
und die Nation, preußische Bajonette oder deutsche
Proletarierfäuste--wir sehen kein drittes.
... Das Preußentum ist der Feind des Deutschtums, aber es ist auch der
Feind der bestehenden Gewalten Deutschlands.
Die Nation steht fest auf ewigem Fundament--die Fürstenstühle
Deutschlands aber müssen wanken, wenn Preußen sich erinnert, daß
Friedrich der Große sein König war."
Und wie stand's mit dem preußischen Thron?

Der Leser wird zugeben, daß raffinierter, demagogischer nicht zu
schreiben war. Wie ein Aal windet er sich vor einer klaren
Stellungnahme. Er läßt nur ahnen, spricht aber nicht aus, was er will.
Klar ist, daß das Lesepublikum, an das Schweitzer sich wandte, von
seinem Plädoyer für Preußen gefangen genommen wurde, und das war
sein Zweck. Dazu kam, daß der ganze politische Inhalt des
"Sozialdemokrat" von der Tendenz durchtränkt war, welche die fünf
Artikel erfüllte. Bismarck hatte in der ganzen deutschen Presse keine
Feder, die geschickter für seine Politik Propaganda machte.
Kein Zweifel, diese Bismarckartikel standen mit dem Programm des
"Sozialdemokrat" in seiner ersten Nummer im schneidendsten
Widerspruch. Es ist auch ausgeschlossen, daß der äußerst scharfsinnige
Schweitzer nicht vorausgesehen habe, daß er mit diesen Artikeln der
großen Mehrzahl der eben erst gewonnenen Mitarbeiter in gröblichster
Weise vor den Kopf schlug. Es war eine Brüskierung sondergleichen.
Es war also selbstverständlich, daß darauf Karl Marx, Friedrich Engels,
W. Liebknecht, Herwegh, Joh. Ph. Becker und Friedrich Reusche von
dem Blatte sich lossagten.
Schweitzer quittierte in einem Artikel in der Nr. 31 seines Blattes über
die Rücktritte mit den Worten: Einige bornierte Köpfe hatten sich an
unseren Leitartikeln "Das Ministerium Bismarck" gestoßen. Mit
Genugtuung konstatiere er, daß zwei Hauptorgane des österreichischen
Liberalismus, die "Presse" und die "Ostdeutsche Post", sich auf seine
Seite gestellt hätten und brachte längere Auszüge aus denselben. Weiter
zitierte er die "Neue Frankfurter Zeitung", das Blatt Sonnemanns, die
ausgeführt hatte, daß die von Schweitzer befolgte Politik nichts als die
Fortsetzung der Lassalleschen Politik sei.
Das war richtig! Ohne Lassalles Verhalten
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