Aus meinem Leben - Zweiter Teil | Page 5

August Bebel
viel schwerer bestraft worden, hätte man den
betreffenden Knaben feststellen können. Dieses gelang nicht. Wohl
aber wurden andere Knaben gefunden, denen Schweitzer das gleiche
Ansinnen gemacht hatte. Daraufhin fand seine Verurteilung statt. Im
Eifer, Schweitzer reinzuwaschen, hat man die Unschuld Schweitzers,
die er natürlich selbst behauptete, zu beweisen versucht. Im Interesse
der historischen Wahrheit sollten solche Versuche unterbleiben. Man
mag über die gleichgeschlechtliche Liebe noch so frei denken, so war
es unter allen Umständen eine Ehrlosigkeit, die Befriedigung derselben
am hellen Tage in einem öffentlichen Park und an einem
schulpflichtigen Knaben zu versuchen. Bemerkt sei auch, daß
Schweitzer sich hütete, gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung
einzulegen, was sicher geschehen wäre, wenn er sich unschuldig
gefühlt hätte.
Diese beiden Vorkommnisse zwangen Schweitzer, auf einige Zeit
Frankfurt zu verlassen. In den Arbeiterkreisen erweckten sie natürlich
eine starke Animosität gegen ihn. Als daher im nächsten Jahre, nach

Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, Schweitzer die
persönliche Bekanntschaft Lassalles gemacht hatte und Mitglied des
Vereins geworden war, stellten die Frankfurter Mitglieder an Lassalle
das Ersuchen, er solle Schweitzer angehen, den Versammlungen des
Vereins nicht mehr beizuwohnen. Lassalle lehnte dieses Ersuchen als
philiströs ab, das Schweitzer zugeschriebene Vergehen habe mit seinem
politischen Charakter nichts zu tun. Die Knabenliebe sei in
Griechenland allgemein herrschender Brauch gewesen, dem der
Staatsmann und der Dichter gehuldigt habe. Im übrigen zollte er den
Fähigkeiten Schweitzers hohes Lob. An Schweitzer selbst schrieb er,
daß die gerügten Neigungen nicht nach seinem Geschmack seien.
Einen Zweifel, daß Schweitzer diese nicht besitze, drückte er nicht aus;
er wußte wohl warum.
Anfang 1863 veröffentlichte Schweitzer eine neue Schrift bei Otto
Wigand in Leipzig, betitelt "Die österreichische Spitze". Die Schrift
widmete er seinem Freunde Herrn v. Hofstetten, einem ehemaligen
bayerischen Offizier, "in Verehrung und Freundschaft"; die Vorrede ist
von einer schwülen Ueberschwenglichkeit, als rede Alkibiades zu
einem seiner Lieblinge. Der Inhalt der Schrift ist in mehr als einer
Beziehung interessant. Er schildert darin den Charakter des preußischen
Staates durchaus richtig und erklärt Preußen für eine Einigung
Deutschlands durchaus ungeeignet. Im weiteren tritt er trotz aller
demokratischen Vorbehalte wieder für die österreichische Spitze ein.
Der preußische Staat stehe der Gesamtheit Deutschlands gegenüber, so
führt er aus, auf Grund seiner historischen Entwicklung ..., die ihn
zwinge, sich weiter in demselben Lande und durch dieselbe
Bereicherungsart zu vergrößern, also auf Annexionen auszugehen.
Diese Mission Preußens sei aber keine deutsche, sondern eine
preußische. Preußen müsse nach seiner inneren Natur darauf sehen, daß
der alles einzelne mehr oder weniger durchdringende Geist, der
althistorische, spezifisch preußische, wesentlich hohenzollernsche
Charakter des Staates nicht verloren gehe.
Gegen dieses Preußen macht er energisch Front, das mit einem
wirklichen Gesamtdeutschland unverträglich sei. Er spricht sich dabei
in folgender programmatischer Weise aus, eine Auffassung, der wir

später in einer anderen Situation wieder begegnen werden. Er sagt:
"Wenn dem künftigen Deutschen Reiche--sei es eine Republick oder
ein Kaisertum--auch nur ein einziges Dorf des jetzigen deutschen
Bundesgebiets fehlt, so ist dies ein nationaler Skandal. Die kleinste
Hütte im fernsten Dorfe, wo deutsche Zunge klingt, hat das heilige
Recht auf den Schutz der Gesamtheit."
Diese feierliche Erklärung hielt ihn aber bald darauf nicht ab, die
Politik zu unterstützen, die den nationalen Skandal herbeiführte und
herbeiführen wollte, und nach seiner eigenen Auffassung herbeiführen
mußte. Und es handelte sich dabei nicht bloß um ein einzelnes Dorf
oder eine Hütte, sondern um Ländergebiete mit zehn Millionen
Deutscher, die Jahrhundertelang früher zum Reiche gehörten als die
Provinz Preußen, deren Namen die Hohenzollern ihrem Königreich
gaben. Schließlich forderte er die österreichische Spitze und den
Eintritt Gesamtösterreichs in den Bund, wenn nicht anders, so durch
die Zertrümmerung Preußens. Demgemäß verlangte er, daß die
großdeutsche Partei energisch für die österreichische Spitze eintrete
und nicht der kleindeutschen Partei das Feld in der Agitation für die
preußische Spitze überlasse.
So Schweitzer als schwarzgelber Großdeutscher noch Anfang 1863. In
wenigen Monaten war er ein anderer. Mittlerweile hatte er die
persönliche Bekanntschaft Lassalles gemacht. Er begriff rasch, daß sich
hier eine Gelegenheit zu einer Stellung für seine Zukunft bot, die
seinem Ehrgeiz entsprach, die ihm in der bürgerlichen Welt nach den
oben geschilderten Vorgängen für alle Zeit abgeschnitten war. In
diesen Kreisen galt er als ein Mensch, vor dem man die Tür schließen
müsse.
Als im Frühjahr 1863 Lassalle nach Frankfurt kam, verständigten sich
beide offenbar sehr bald. Gelegenheit dazu bot auch ein gemeinsamer
Ausflug in die Rheinpfalz, auf dem sich ein amüsanter Vorgang mit
Lassalle zutrug. Außer Lassalle und Schweitzer nahmen an der Partie
die Gräfin Hatzfeldt, Hans v. Bülow und unser verstorbener
Parteigenosse, der damals jugendliche Wendelin Weißheimer teil. Die
Reise ging nach Osthofen am Rhein, von wo aus der Ebernburg,

bekanntlich einst der Sitz Sickingens, ein Besuch gemacht werden
sollte. Auf Betreiben Weißheimers hatte sein Vater, der in Osthofen
wohnte, die Gesellschaft zum Mittagstisch geladen. Lassalle saß an der
Tafel neben Frau Weißheimer. Als diese im Laufe des Gesprächs,
wißbegierig wie Frauen
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