Aus dem Durchschnitt - Roman | Page 7

Gustav Falke
gehört", sagte sie pikiert.
"Na, denn nich", brummte er gekränkt und fragte, was er schuldig sei.
Aber sie wollte für die kleine Mühe nichts haben.
"Se föhrt mi mal ut", scherzte sie, wieder versöhnlich gestimmt.
"Na, dann besten Dank und fröhlich Fest".
Er gab ihr die Hand, und sein kräftiger Druck zwang ihr ein leises Au
ab.
Als er fort war, stand sie wie selbstvergessen mitten im Laden und rieb
noch immer mechanisch die Stelle, wo sich die roten Spuren seiner
kräftigen Finger längst verzogen hatten.

V.
Therese und Mimi waren spät nach Hause gekommen, hatten die
Vorwürfe der Tante unter Lachen und Schmeicheleien durch ein
mitgebrachtes Veilchensträußchen und eine Tafel Chocolade erstickt,
beides von Hermann gespendet, und waren schnell ins Bett gehuscht.

Beim Frühkaffee des zweiten Festtages nun kramten sie ihre
Geschichten aus. Sie hatten sich "himmlisch" amüsiert, wie Mimi
versicherte. Hermann sei "zu nett" gewesen. Sie wußte, wie gerne die
Wittfoth ihren Neffen loben hörte.
Nach einer Tasse Kaffee und einem Stück Torte bei Homann, hatte
man zu Fuß den Weg nach Ludwigs Konzerthaus zurücklegen müssen,
da alle Pferdebahnen infolge des schlechten Wetters überfüllt waren.
Auch dort hatte man nur mit Mühe Platz an einem Tisch in der Mitte
des Saales erwischen können. Die unfreundliche Witterung trieb die
Vergnügler schnell von der Straße in die Lokale, und auch der große
Saal des Ludwigschen Etablissements war bald überfüllt.
Froh des erlangten Sitzes, gab man sich um so empfänglicher der
Musik des vortrefflichen Orchesters hin. Das Programm bot mit
Rücksicht auf das Sonntagspublikum meist heitere Weisen, worunter
natürlich ein Straußischer Walzer nicht fehlte, Mimis Universalmittel
gegen jegliche Art von Trübsinn und Verstimmung.
Wie immer zog das hübsche Mädchen die Blicke der näher sitzenden
Herren auf sich. Auch Herrn Pohlenz begrüßte man von weitem.
Hermann, um nicht aus dem Felde geschlagen zu werden, hatte seine
Liebenswürdigkeit verdoppelt und zuletzt, noch vor dem Schluß des
Konzertes, die Mädchen zu einem kleinen Souper in einem
benachbarten Restaurant eingeladen, wo man vorzüglich aß und vor
allen Dingen ungestört genießen konnte. Vielleicht bestimmte dieser
letzte Umstand ihn besonders. Es war jedenfalls die einfachste und
nobelste Art, sich seiner Konkurrenten zu entledigen.
Die Wittfoth hatte den fröhlichen Berichten der Mädchen nichts
entgegenzusetzen. Ihr Erlebnis mit dem jungen Beuthien brannte ihr
auf der Zunge. Es prickelte sie, aber sie wußte nicht den rechten Ton zu
finden und begnügte sich, eine große Zufriedenheit zu erheucheln, daß
sie doch einmal einen ruhigen, ungestörten Nachmittag ganz für sich
allein gehabt hätte. Zuletzt aber mußte sie doch wenigstens so viel
verraten, daß der junge Beuthien sich einen neuen Kragen gekauft
hatte.

"Der schöne Wilhelm?" fragte Mimi mit lachendem Spott.
"Ist er eigentlich so schön?" meinte Therese, während die Tante, ohne
auf dies Thema einzugehen, eifrig die Tassen abräumte, mit mehr
Geklapper, als sonst ihre Art war.
Mimi erklärte Beuthien für einen ganz ansehnlichen Mann. Für
Köchinnen, setzte sie hinzu, und ließ durchblicken, daß ihre Ansprüche
höher gingen. Therese fand etwas Rohes in seinen Zügen und lobte
dagegen das ehrliche, gutmütige Gesicht seines Vaters.
Mimi war der zweite Festtag frei gegeben worden, ihre Verwandten in
Bergedorf zu besuchen. Sie machte sich früh auf den Weg, und Nichte
und Tante blieben allein.
Hermann kam am Nachmittag auf eine Viertelstunde, um zu fragen,
wie den Damen der gestrige Abend bekommen sei. Er war heute, da
das Wetter freundlich geworden war, so nobel gekleidet, wie Mimi sich
ihn gestern gewünscht hatte. Man sah und hörte ihm an, wie glücklich
ihn die Erinnerung an den vergangenen Tag machte. Er brachte drei
kleine Bouquets, je eine Rose von Veilchen umgeben, überreichte,
anscheinend wahllos, der Tante die Theerose, Therese eine weiße und
bestimmte die übrig bleibende tiefrote für "Fräulein Kruse".
Auch ein Buch, von dem er dem Mädchen gesprochen hatte, lieferte er
ab: Rückerts Liebesfrühling.
"Liebesfrühling und Veilchenbouquets. Da kann man sich ja ordentlich
was auf einbilden", meinte die Wittfoth.
Sie stand dem Verhältnis zwischen ihrem Neffen und ihrem
Ladenmädchen nicht blind gegenüber. Es amüsierte sie. Eine
unschuldige Kurmacherei, die zu nichts Ernstlichem führen würde.
Keinem würde das Herz dabei brechen, am allerwenigsten dem
Mädchen. Uebrigens wollte sie gelegentlich mit Hermann darüber
reden.
Therese hatte das Buch in Empfang genommen und blätterte

mechanisch darin.
"Mimi wird sich freuen", sagte sie und legte es vor sich auf die
Nähmaschine.
"Und Du?" fragte Hermann.
"Du weißt, ich schwärme für Gedichte".
"Und nun gar Liebesgedichte", scherzte er. "Einen ganzen Band voll
Liebe."
Sie wurde auf einmal sehr rot und machte sich an den paar
kümmerlichen Geranienpflanzen zu thun, die in irdenen Töpfen auf
dem Fensterbrett standen.
"Werft doch die elenden Stöcke fort", schalt er. "Es kommt doch nichts
darnach."
"Sie wollen nicht gedeihen, zu wenig Sonne", antwortete sie.
Sie hatte wieder ihre gewöhnliche, gelbblasse, kränkliche Farbe.
Zu wenig Sonne. Er fing dies Wort auf. Sie war ihm nie so schwächlich
vorgekommen, wie in
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