Aus dem Durchschnitt - Roman | Page 6

Gustav Falke
Lebensfreuden zu verzichten, sich zum alten
Eisen zu rechnen, war es doch noch zu früh.
Freilich, eine alleinstehende Witwe in ihren Jahren muß sich schon
zufrieden geben. Man muß froh sein, wenn man nur im Stillsitzen
seinen guten Ruf wahrt. Dem Klatsch entgeht man nimmer.
Was war das doch für ein Gerede damals gewesen, mit dem hübschen
Reisenden von Rosinsky und Söhne. Weil sie höflich gegen Herrn
Bellermann war, sollte sie natürlich Heiratsabsichten haben. Als ob es
nicht ihre Pflicht gewesen wäre, im Beginn ihrer Geschäftsthätigkeit
sich mit Kunden und Lieferanten auf möglichst guten Fuß zu stellen.
Und wie viele Nachfolger hatte Herr Bellermann gehabt. Bald war es
der, bald jener, den sie ködern, oder der nach ihr seinen Haken
auswerfen sollte. Und immer waren die Leute boshaft genug, nicht von
ihrer Person, sondern von ihrem Geschäft zu reden. Als ob sie nicht
immer noch ansehnlich genug sei.
Jetzt war es Herr Pohlenz, der Stadtreisende von Müller und Lenze, der
großen Knopffabrik, der Absichten auf sie haben sollte. Nun ja, diesmal
hatten die Leute ja recht. Ein Blinder mußte sehen, daß Herr Pohlenz
auf die Firma Caroline Wittfoth spekulierte. Aber lieber ginge sie in die
Alster, als daß sie diesen Pohlenz heiratete. Schon vor seinen feuchten,
kalten Händen schauderte ihr.
Dann lieber den alten Beuthien, der schon einmal Andeutungen
gemacht hatte. Zwar nahm sie es damals für Scherz und nahm es auch
noch dafür. Aber gesetzt, er hätte die Absicht, lieber den
Droschkenkutscher als den Pomadenhengst mit den Leichenhänden.
Aber was fiel ihr denn ein, wie kam sie doch nur jetzt auf diese
Heiratsgedanken? Sie mußte über sich selbst lachen.

Sie füllte zum dritten Mal ihre Tasse und schob ein längliches Stück
Kuchen in den Mund, als die Ladenglocke ging.
Sie hörte am schweren Auftreten, daß männliche Kundschaft sie
beehrte.
Es war der junge Beuthien, der sonntäglich gekleidet vor der Tonbank
stand.
Er bat um einen neuen Halskragen.
"Welche Nummer, Herr Beuthien?"
Ja, wenn er das wüßte, lachte er. Seine Kragen wären ihm zu eng
geworden. "Dat kniept all bannig".
Sie legte ihm verschiedene Weiten vor, und er paßte sie unbeholfen an.
Da er sich nicht entschließen konnte, half sie ihm und legte
eigenhändig einen Kragen um seinen Hals.
"De paßt", empfahl sie.
Als er gewählt hatte, mußte sie ihm wieder behilflich sein, die kleinen
widerspenstigen Hornknöpfe durch die neuen steifen Knopflöcher zu
drücken. Seine großen plumpen Finger waren nicht geschickt dazu.
Sie hatte Mühe davon, und es dauerte lange. Sein rotblonder Bart
kitzelte sie auf der Hand. Er hob das Kinn höher, und sie bewunderte
seinen braunen kräftigen Hals.
Beim Umlegen der Krawatte ging er etwas ungestüm zu Werke, so daß
das Halsband riß.
"Dunner", schalt er. "Dat Schiet is mör".
Verlegen besah er den Schaden. Aber es ließ sich nichts daran ändern,
und er verstand sich dazu, einen neuen Slips zu fordern.
Sein verlegener Aerger rührte sie. Und da seine Krawatte noch so gut

wie neu war, erbot sie sich, den Schaden mit einigen Nadelstichen zu
reparieren.
Sie nötigte ihn in die Stube. Zögernd folgte er und nahm mit etwas
umständlichem Gebahren auf dem angebotenen Stuhl Platz, während
sie ihr Nähzeug aus dem auf der Fensterbank stehenden Korb
zusammensuchte.
Ein Blick auf die Straße zeigte ihr, daß im Parterre gegenüber Lulu
Behn wieder ihrer Gewohnheit nach am Fenster rekelte.
"Immer as'n Blomenpott vor't Finster", sagte sie und ließ die Rouleaux
herunter, um jener einen Einblick zu versperren.
Beuthien schien ihre Bemerkung überhört zu haben.
Im Begriff, sich zu setzen, kam ihr der Einfall, ihm eine Tasse Kaffee
anzubieten.
"Warum nich", nahm er dankbar an. Sie schenkte ihm ein und schob
ihm den Kuchenteller zu.
Es schien ihm zu behagen, und sie war schneller mit ihrer Arbeit fertig,
als er mit seinem Kaffee.
Sie lud ihn ein sich Zeit zu lassen, fragte nach diesem und jenem und
stillte ihre Neugier.
Als er gesprächig Auskunft gab und auch auf die Absicht seines Vaters
zu sprechen kam, sich bald zur Ruhe zu setzen, meinte sie: "Dann
heiraten Se woll gliek?"
"Ja", antwortete er scherzend. "Wülln Se min Fru sin?"
"Da föhrt wi immer fein tosamen in de Kutsch", ging sie darauf ein.
"Un mit söß", lachte er und schob die geleerte Tasse von sich.
Schwerfällig erhob er sich, und sie bemerkte erst jetzt, daß er ein wenig

schwankte. Er wischte sich mit dem Rücken der linken Hand langsam
über die etwas niedrige braune Stirn und reckte die breiten Schultern.
Als sie ihm die ausgebesserte Krawatte zurückgab griff er nach ihrer
Hand und legte den Arm um ihre Taille.
"Dat laten S' unnerwegs", rief sie, sich losreißend. "So wiet sünd wi ja
woll noch nich".
Er versuchte noch einmal die hinter den hohen Lehnstuhl sich
flüchtende zu erhaschen.
"Nichts für ungut, Madammchen", lachte er dann, ablassend. "Spaß
muß sind, sagt der Berliner".
"All wo's hin
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