Aus dem Durchschnitt - Roman | Page 4

Gustav Falke
etwas Feierliches, wenn die
Knaben singen und die Orgel dazu spielt."
Therese begleitete die Tante regelmäßig in die Kirche, besuchte auch
häufig allein den Gottesdienst. Ihr war die Erbauung aufrichtiges
Herzensbedürfnis. Sie hatte den Glauben der hier auf Erden zu kurz

Gekommenen an den Himmel und seine ausgleichenden Freuden. Wie
alle Angelegenheiten des Herzens, umfaßte sie auch diese Dinge mit
großer Innigkeit und fühlte sich dabei in schmerzlichem Gegensatz zur
Tante, die auch hier ihre Oberflächlichkeit nicht verleugnete.
"Ach, ich glaub an gar nichts", erklärte die Wittfoth einmal. "Mir soll's
auch einerlei sein. Sterben müssen wir alle, und von oben ist noch
keiner lebendig wieder runter gekommen".
Eine geheime Angst hatte die kleine Frau vor dem
Lebendig-begraben-werden. Wenn es irgend anginge, sollte man sie
nach ihrem Tode verbrennen, nur nicht "einpurren".
"Dann könnt Ihr meine Asche in alle Winde streuen. Dann seid Ihr
mich los", sagte sie. "An mein Grab kommt ja doch niemand, da ist es
besser, Ihr verbrennt mich gleich".
Vor der Kirchenthür trafen Therese und ihre Tante auf Frau Behn mit
ihren Töchtern.
"Na, Frau Behn, auch'n bischen hier?" fragte die Wittfoth.
"Dat is ja nu mal de Dag dorto", meinte die Angeredete, die zum
Aerger ihrer vornehmen Aeltesten gerne platt sprach.
Fräulein Lulu musterte mit lässigem Gruß die Toiletten der Tante und
Nichte.
"Dann beten Sie man recht", lachte die Wittfoth der Mutter zu, glätte
schnell die Falten ihres vergnügten rundlichen Gesichts zu
andachtsvollem demütigem Ausdruck und drängte sich mit dem
allgemeinen Strom durch den etwas engen Eingang in die freundliche,
erst neu erbaute Kirche.
Mimi Kruse hütete inzwischen den Laden. Ihr war die Kirche nichts als
ein Haus mit einem Turm. Seit ihrer Konfirmation hatte sie nur einmal
wieder eine Predigt gehört, das heißt, eine solche in den Kauf
genommen zu dem Gesang des Kirchenchors, um dessen willen eine

Freundin sie mit in die Kirche "geschleppt" hatte. Denn der
Kirchenchor war gerade Mode geworden.
"Wenn das Herz man gut ist, das Beten thut's nicht", behauptete sie,
und entschlug sich im Vertrauen auf ihr gutes Herz aller christlichen
Uebungen.
Auch jetzt hatte sie statt des Gesangbuches den Generalanzeiger neben
sich auf dem Fensterbrett liegen und überflog den Roman im Feuilleton.
Ihre Gedanken weilten jedoch nur zur Hälfte bei der schnöde
verlassenen Gräfin, die andere Hälfte gehörte dem blauen Kleid, das sie
am Nachmittag anziehen wollte, und an dem noch allerlei kleine
Ausbesserungen und Aenderungen vorzunehmen waren.
Mimi wollte hübsch sein an Hermanns Seite, der mit seinem
sonntäglichen, dunkelblauen Ueberzieher, dem weichen hellgrauen
Filzhut, den "Bismarckfarbenen" und der goldnen Brille immer so
nobel aussah.
Wenn er nur nicht so langweilig sein wollte, so lästig durch seine
unaufhörliche Kurmacherei. Am meisten zuwider war ihr sein
beständiges, verliebtes Anlächeln. Ihr Schlag am Freitag Abend war
ernst gemeint gewesen. Sie haßte diese "Antatzerei", wie sie es nannte.
Als er dann der Länge nach auf dem Fußboden lag, war er ihr sehr
lächerlich erschienen.
Heute aber, zum Ausgehen, war er ihr gut genug. Er war nicht
"angewachsen", gab gerne und mit einer gewissen Prahlerei. Mimi
dachte schon an die Chokolade, Törtchen und Liqueure, die er ihr am
Nachmittag spendieren würde.
Ein wenig Schatten in ihre Vorfreude warfen nur die Wolken, die in
kürzeren oder längeren Zwischenräumen die Sonne überzogen. Besorgt
sah sie auf. Es wäre doch zu ärgerlich, wenn sich das Wetter nicht
halten würde. Wenn es regnete, was sollte sie dann anziehen?
Und wirklich fielen jetzt große, schwere Tropfen, denen sich bald
weiche, zerfließende Schneeflocken beimischten, gegen die Scheiben.

Mimi nahm eine Rolle Zwirn und warf sie wütend durch das ganze
Zimmer. Ihre Stirn legte sich in bitterböse Falten, und dem unmutig
verzogenen Mund entfuhr ein derbes Wort.
Die Flocken verdichteten sich, die Sonne verschwand ganz. Wirbelnd
fegte der lose Schnee um die Straßenecken, als wäre es Weihnachtszeit
und nicht Ostern.
Trotzdem stellte sich Hermann am Nachmittag zur bestimmten Stunde
ein, in Gummischuhen und dickem Flausrock. Statt des hellen, weichen
Künstlerhutes schwenkte er eine steife, bienenkorbartige
Kopfbedeckung heftig in der Hand, um sie von den Schneeflocken zu
befreien. Da die benäßte, angelaufene Brille ihn am Sehen hinderte,
blieb er unbeholfen in der Thür stehen.
"Eine schöne Bescherung, meine Damen, der reine Winter", näselte er
verschnupft.
"Wie schade", bedauerte Therese. "Aber vielleicht klärt sich's noch
auf."
"Klärt sich was", brummte Mimi. "Wird'n netter Matsch sein."
"O, ich stelle Ihnen meine Galoschen zur Verfügung, gnädiges
Fräulein", scherzte Hermann.
"Höchst ungnädiges Fräulein", verbesserte Therese. "Mimi trauert um
ihr helles Kleid."
"Fällt mir nicht ein", leugnete diese. In Wahrheit war sie sehr
mißgestimmt, sich nicht nach Vorhaben putzen zu können. Auch
Hermann sah nicht so aus daß man viel Staat mit ihm machen konnte.
Eine verfehlte Partie, dachte sie.
"Meinetwegen laßt uns zu Hause bleiben," meinte aufrichtig Therese.
"Mir ist's auch gleich", stimmte Mimi bei, und die Partie drohte
wirklich noch im letzten Augenblick zu Wasser zu
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