Aus Kroatien | Page 3

Arthur Achleitner
Kompagnieschreiber Jovo die Posttasche hereinbrachte
und über ihre "Leibigkeit" etwas disziplinwidrig maulte, ließ sich
Tonidandel im Einschenken des dritten Gläschens nicht beirren.
Lediglich zu Jovo meinte er. "Maul halten, Schreiber, denn dich hat es
nichts zu kümmern, ob die Tasche dick oder mager ist!--Prosit! Du
sollst leben, Herr Hauptmann!"
Jovo grinste und zog sich in seine anstoßende Stube zurück.
"So, nun wollen wir sehen, was uns das Regimentskommando
mitzuteilen hat. Setz' dich, Bruder, auf daß du nicht hinfallst, so der
Herr Oberst teufelt!" Gemächlich nahm Attilius die Schriftstücke
heraus, eines nach dem andern, und legte sie auf den wurmstichigen
Tisch. Beim Anblick eines Aktenstückes, dessen besonderer Umschlag
mit drei roten Kreuzen als "eilig" bezeichnet war, meinte Attilius

sarkastisch: "Ah, der Herr Oberst belieben zu pressieren!"
Pegan drängelte auf Bekanntgabe des eiligen Befehles.
"Zeit lassen, Bruder! Nur nicht aufregen, nicht pressieren! Alles Unheil
beim Militär kommt vom Überhudeln." Langsam entfaltete Tonidandel
das Schriftstück und las es durch.
"Darf ich wissen, Herr Hauptmann?" rief Pegan neugierig und
ängstlich.
"Freilich! Also hör' zu! Der gnädige Herr Oberst belieben uns
mitzuteilen: 'Nachdem das Generalat mit Dienstbefehl vom ...
angeordnet hat, daß die Grenzsoldaten wenn nötig unter
Zwangsanwendung zum Erdäpfelbau angehalten werden sollen, ihnen
Kartoffelsamen unentgeltlich verabreicht wurde, sieht sich das
Regimentskommando veranlaßt zu befehlen, daß sämtliche
Militärstationskommandanten in der Lika den jeweiligen Staresina[1]
unauffällig zu einem Erdäpfelessen einladen. Des weiteren erfolgt
andurch der Befehl, daß die Herren Offiziere den Grenzsoldaten
bezüglich der reifen Erdäpfel Gelegenheit zum Verschaffen
geben!'--Unterschrift wie immer unleserlich, uns aber bekannt, lieb und
teuer!" Tonidandel lachte trocken und fügte dann die Frage bei, ob der
Bruder Pegan den interessanten Regimentsbefehl verstanden habe.
Schon während der Vorlesung des Schriftstückes hatte sich der
zappelige Hauptmann Pegan erhoben. Nun stapfte er auf Tonidandel zu
und bat um Ausfolgung des Schriftstückes. "Um den rätselhaften
Befehl zu verstehen, muß ich ihn schon selber lesen!" Hastig überflog
Pegan den Ukas. Dann legte er das Schriftstück auf den wurmstichigen
Tisch und stöhnte mit fettiger Stimme: "Daß wir den Staresina mit
Krompir bewirten sollen, ist verständlich und auch mir einleuchtend.
Leicht durchführbare Sache: Beeinflussung der Gemeindevorsteher
durch Gaumenkitzel und Magenfüllung; einer sagt's dem andern, und
so kommt's unter d' Leut!--Was ich aber nicht verstehe, ist der dunkle
Sinn des zweiten Befehlsteils: Gelegenheit zum Verschaffen geben!
Was meint der Oberst mit diesen sonderbaren vier Worten? Mir ein
Rätsel!"
Tonidandel reichte dem Freunde Pegan abermals ein Stamperl
Slibowitz mit den Worten. "Stärke dich, Bruder, auf daß dein
militärisches Gehirn erleuchtet werde! Apropos: Wie lange dienst du
schon in der Grenze?"

"Fragen der Herr Kommandant dienstlich?"
"Nein! Privatim und als Freund und Bruder."
"Na, dann wisse! Sechs Jahre diene ich auf--halbasiatischem Boden mit
der Sehnsucht nach Rückkehr auf europäischen Grund!"
Sarkastisch meinte Tonidandel. "Sechs Jahre! Hm! Da wundert es mich,
daß du neben der Tapferkeit und Rauflust unserer Grenzer den Kern
ihres Wesens, ihre Haupteigenschaft außer Dienst noch nicht kennen
gelernt hast!"
"Wieso? Was meinst du, Bruder? Worin besteht die Haupteigenschaft
der Grenzer?" Neugierig richtete Pegan den Blick auf den Freund und
Vorgesetzten.
"Die hervorstechendste Eigenschaft unserer Grenzer werde ich dir nicht
nennen! Du sollst sie aus der Praxis kennen lernen, um sie dann für
deine Lebenszeit in der Erinnerung zu behalten! Auf Wiedersehen heut'
abend präzis sieben Uhr auf meiner Bude! Präzis sieben, ja nicht später!
Laut Regimentsbefehl!"
"Schon wieder ein Rätsel? Was ist los? Weshalb forderst du 'präzises
Erscheinen' zu einer Stunde, die doch mit dem Dienst nichts zu tun
haben kann?"
"Will ich dir als Dienstgeheimnis anvertrauen! Wir zwei essen punkt
sieben Uhr privatim eine gebratene Gans, um dreiviertel acht Uhr aber
essen wir dienstlich militärärarische Erdäpfel mit unserem Staresina
laut Regimentsbefehl! Verstanden, Herr Bruder?!"
Lachend sicherte Hauptmann Pegan sein pünktliches Erscheinen zum
privaten Abendessen zu. Schluckte noch etwas Slibowitz und
verabschiedete sich vom Vorgesetzten.--
Kompagniekommandant Tonidandel bewohnte ein kleines,
einstöckiges, verwahrlostes Haus im oberen Teile des Städtchens S.,
bestehend aus drei engen und niederen Zimmern, einer finsteren Küche
und einer Vorratskammer. Zu dem Häuschen, daß Attilius spöttisch
nach kroatischem Brauch "curia nobilis" nannte, gehörte ein
Küchengarten, der sich bergan dehnte, etwas Gemüse und völlig
verwilderte Kartoffelstauden enthielt. Vor Jahrzehnten mochten die
Wohnzimmer das letztemal weiß getüncht, der Fußboden mit Holz
belegt worden sein. Jetzt waren die Dielen vermorscht; in den feuchten
Ecken gedieh der Hausschwamm. Doch der Fußboden war nach Brauch
und Vorschrift mit weißlichgelbem Sand bestreut, der unter jedem

Schritt knirschte. Dem Himmel allein konnte bekannt sein, von wo und
von wem die Möbel stammten; der runde, schlecht polierte Tisch, die
uralten, mit geschossenem Wollstoff überzogenen Stühle, ein blinder
Spiegel in wurmstichigem Holzrahmen, ein gräßlich geschweiftes, mit
Stroh gefülltes Sofa und davor ein ausgefranster Teppich.
Im engen Raume, den Tonidandel "Speisesaal" nannte, befand sich das
einzige gediegene Möbel des Hauses: ein Auszugtisch. Dazu sechs
wackelige Stühle, eine Kredenz mit Gläsern, Geschirr von Steingut und
Zinn.
In diesem, von vier Unschlittkerzen
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