Auf der Universitat Lore | Page 8

Theodor W. Storm
von mir fahren. Nur fiel es mir auf, da? sie bald darauf wiederholt und wie verstohlen nach derselben Seite blickte. Als auch ich den Kopf dahin wandte, sah ich einen Schlittschuhl?ufer in nicht gar weiter Ferne auf uns zustreben. Er mu?te bemerkt haben, was soeben vorgefallen; denn er strengte sich augenscheinlich an, uns zu erreichen.
Und schon hatte ich ihn erkannt; es war Christoph, mein alter Spielkamerad, der gro?e Feind der Lateiner. Ich wu?te auch wohl, was jetzt bevorstand; es galt nur noch, wer von uns der schnellste sei.
"Nur zu!" sagte Lore, indem sie ihr Pelzk?ppchen zurückschob, da? ihr schwarzes Haar sichtbar wurde. "Er kriegt dich doch!"
Ich konnte nicht antworten; schneller als je zuvor trieb ich den Schlitten vorw?rts; aber ich keuchte, und meine Kr?fte, von der langen Fahrt geschw?cht, begannen nachzulassen. Immer n?her h?rte ich den Verfolger hinter mir; rastlos und schweigend war er uns auf den Fersen; dann pl?tzlich h?rte ich dich an meiner Seite seine Schlittschuhe scharf im Eise hemmen, und eine schwere Hand fiel neben der meinen auf die Lehne des Schlittens. "Halbpart, Philipp!" rief er, indem er mit der andern an meine Brust griff.
Ich ri? seine Hand los und stie? den Schlitten fort, da? er weit vor uns hinflog. Aber in demselben Augenblick erhielt ich einen Faustschlag und stürzte rücklings mit dem Hinterkopf auf das Eis. Nur undeutlich h?rte ich noch das Fortschurren des Schlittens; dann verlor ich die Besinnung.
Ich blieb indes nicht lange in dieser Lage. Wie ich sp?ter von ihm h?rte, hatte Christoph bald darauf sich nach mir umgesehen und war, da er mich nicht nachkommen sah, auf den Platz unsers Kampfes zurückgekehrt. Nicht ohne gro?e Bestürzung hatten dann beide, nachdem Lore ausgestiegen, mich in den Schlitten gehoben.--Mir selbst kam nur ein dunkles Gefühl von alledem; es war wie Traumwachen. Mitunter verstand ich einzelne Worte ihres Gespr?chs. "Behalte doch deinen Mantel, Lore!" h?rte ich Christoph sagen.-- "O nein; ich brauch ihn nicht; ich laufe ja."--Und zugleich fühlte ich, da? etwas Warmes auf mich niedersank. Der Schlitten bewegte sich langsam vorw?rts. Dann kam es wieder wie D?mmerung über mich; immer aber war es mir, als ginge ein leises Weinen neben mir her.
Zum v?lligen Bewu?tsein erwachte ich erst in der Wohnstube und auf dem Sofa des Wassermüllers, der hart am Ufer des Mühlenteichs wohnte. Lore hatte mit ihrer Mutter, die mittlerweile auch herausgekommen war, nach Hause gehen müssen; Christoph aber war zurückgeblieben und hatte sich auf den Rat der Müllersfrau damit besch?ftigt, mir nasse Umschl?ge auf den Kopf zu legen. Als ich die Augen aufschlug, sa? er neben mir auf dem Stuhl, eine irdene Schüssel mit Wasser zwischen den Knien. Er wollte eben das Leintuch erneuern, aber er zog jetzt die Hand zurück und fragte schüchtern: "Darf ich dir helfen, Philipp?"
Ich setzte mich aufrecht und suchte meine Gedanken zu sammeln; der Kopf schmerzte mich. "Nein", sagte ich dann, "ich brauche deine Hilfe nicht."
"Soll ich jemanden für dich aus der Stadt holen?"
"Geh nur; ich werde schon allein nach Hause kommen."
Christoph stand z?gernd auf und setzte die Schüssel auf den Tisch.
Bald darauf knarrte die Stubentür; er hatte die Klinke in der Hand; aber er ging nicht fort. Als ich mich umwandte, sah ich die Augen meines alten Kameraden mit dem Ausdruck der ehrlichsten Traurigkeit auf mich gerichtet.
Nur eine Sekunde noch war ich unschlüssig. "Christoph", sagte ich, indem ich aufstand und ihm die Hand entgegenstreckte, "wenn du Zeit hast, so bleibe noch ein wenig bei mir; du kannst mir deinen Arm geben; wir gehen dann zusammen in die Stadt."
Wie ein Blitz der Freude fuhr es über sein Gesicht. Er ergriff meine Hand und schüttelte sie. "Es war ein sch?ndlicher Sto?, Philipp!" sagte er.
Eine halbe Stunde sp?ter, da es schon v?llig finster war, wanderten wir langsam nach der Stadt zurück.
Aber die Sache ging nicht so leicht vorüber. Ich konnte am folgenden Morgen das Bett nicht verlassen und mu?te meinen Eltern gestehen, da? ich einen schweren Fall auf dem Eise getan habe.
Am Abend des folgenden Tages, da ich schon fast wiederhergestellt war, setzte meine Mutter ein Federk?stchen von poliertem Zuckerkistenholz vor mir auf den Tisch. "Der Christoph Werner hat es gebracht", sagte sie; "er habe es selbst für dich gearbeitet."
Ich nahm das K?stchen in die Hand. Es war zierlich gemacht, sogar auf dem Deckel mit einer kleinen Bildschnitzerei versehen.
"Er hat sich nach deinem Befinden erkundigt", fuhr meine Mutter fort; "habt ihr denn drau?en eure alte Freundschaft wieder neu besiegelt?"
"Besiegelt, Mutter?--Wie man's nehmen will", sagte ich l?chelnd.
Und nun lie? die gute Frau nicht nach, bis ich, von manchen Fragen und z?rtlichen Vorwürfen unterbrochen, ihr mein ganzes kleines Abenteuer gebeichtet hatte.--Aber es wurde, wie sie gesagt; der Lateiner und der Tischlerlehrling erneuerten ihre Kameradschaft, und zweimal w?chentlich zur bestimmten Stunde ging ich von nun an regelm??ig in die Werkstatt des alten Tischlers Werner, um unter der Anleitung des geschickten Mannes wenigstens die Anfangsgründe
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