Auf der Universitat Lore | Page 9

Theodor W. Storm
seines Handwerks zu erlernen.
Das ist die Drossel, die da schl?gt, Der Frühling, der mein Herz bewegt, Ich fühle, die sich hold bezeigen, Die Geister aus der Erde steigen; Das Leben flie?et wie ein Traum. Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.
Es war Frühling geworden. Die Nachtigall zwar verkündigte ihn nicht; denn, wenn auch mitunter eine sich zu uns verflog, die Nordwestwinde unsrer Küste hatte sie bald wieder hinweggeweht; aber die Drossel schlug in den Baumg?ngen des alten Schlo?gartens, der im Schutze der Stadt, in dem Winkel zweier Stra?en lag. Dem Haupteingange gegenüber, auf einem Rasenplatz hinter den G?rten der gro?en Marktstra?e, war seit gestern ein Karussell aufgeschlagen; denn es war nicht nur Frühling, es war auch Jahrmarkt, eine ganze Woche lang. Die Leierkastenm?nner waren eingezogen und vor allem die Harfenm?dchen; die Schüler mit ihren roten Mützen streiften Arm in Arm zwischen den aufgeschlagenen Marktbuden umher, um wom?glich einen Blick aus jungen asiatischen Augen zu erhaschen, die zu gew?hnlichen Zeiten bei uns nicht zu finden waren.--Da? w?hrend des Jahrmarktes die Gelehrtenschule, wie alle andern, Ferien machte, verstand sich von selbst.--Ich hatte das vollste Gefühl dieser Feiertage, zumal ich seit kurzem Primaner war und infolgedessen neben meiner roten Mütze einen schwarzen Schnürenrock nach eigner Erfindung trug. Brauchte ich nun doch auch nicht mehr wie sonst abends an dem Treppeneingang des erleuchteten Ratskellers stehenzubleiben, wo sich allzeit das sch?nste lustigste Gesindel bei Musik und Tanz zusammenfand; ich konnte, wenn ich ja wollte, nun selbst einmal hinabgehen und mich mit einem jener fremdartigen M?dchen im Tanze wiegen, ohne da? irgend jemand gro? danach gefragt h?tte.--Aber grade zu solchen Zeiten liebte ich es mitunter, allein ins Feld hinauszustreifen und in dem sichern Gefühl, da? sie da seien und da? ich sie zu jeder Stunde wieder erreichen k?nne, alle diese Herrlichkeiten für eine Zeitlang hinter mir zu lassen.
So geschah es auch heute. Unter der Beihilfe meines Vaters, der ein leidenschaftlicher Entomologe war, hatte ich vor einigen Jahren eine Schmetterlingssammlung angelegt und bisher mit Eifer fortgeführt. Ich war nach Tische auf mein Zimmer gegangen und stand vor dem einen Glaskasten, deren schon drei dort an der Wand hingen. Die Nachmittagssonne schimmerte so verlockend auf den blauen Flügeln der Argusfalter, auf dem Samtbraun des Trauermantels; mich überkam die Lust, einmal wieder einen Streifzug nach dem noch immer vergebens von mir gesuchten Brombeerfalter zu unternehmen. Denn dieses sch?ne olivenbraune Sommerv?gelchen, welches die stillen Waldwiesen liebt und gern auf sonnigen Gestr?uchen ruht, war in unsrer baumlosen Gegend eine Seltenheit.--Ich nahm meinen Kescher vom Nagel; dann ging ich hinab und lie? mir von meiner Mutter ein Wei?br?tchen in die Tasche stecken und meine Feldflasche mit Wein und Wasser füllen. So ausgerüstet, schritt ich bald über den Karussellplatz nach dem Schlo?garten, dessen Baumg?nge schon von jungem Laube beschattet waren, und von dort weiter durch die dem Haupteingange gegenüberliegende Pforte ins freie Feld hinaus. Es hatte die Nacht zuvor geregnet, die Luft war lau und klar; ich sah drüben am Rande des Horizonts auf der hohen Geest die Mühle ihre Flügel drehen.
Eine kurze Strecke führte noch der Weg an der Au?enseite des Schlo?gartens entlang; dann wanderte ich aufs Geratewohl auf Feldwegen oder Fu?steigen, welche quer über die ?cker führen, in die sonnige schattenlose Landschaft hinaus. Nur selten, so weit das Auge reichte, stand auf den Sand- und Steinw?llen, womit die Grundstücke umgeben sind, ein wilder Rosenstrauch oder ein andres dürftiges Gebüsch; aber hier, wo in der Morgenfrühe die rauhen Seewinde ungehindert überhin fahren, waren nur kaum die ersten Bl?tter noch entfaltet. Ich schlenderte behaglich weiter; mehr die Augen in die Ferne als nach dem gerichtet, was etwa neben mir am Wege zwischen Gr?sern und rot blühenden Nesseln gaukeln mochte.
So war, ohne da? ich es merkte, der halbe Nachmittag dahin. Ich h?rte es von der Stadt her vier schlagen, als ich mich an dem Ufer des Mühlenteichs ins Gras warf und mein bescheidenes Vesperbrot verzehrte. Eine angenehme Kühlung wehte von dem Wasserspiegel auf mich zu, der gro? und dunkel zu meinen Fü?en lag. Dort in der Mitte, wo jetzt über der Tiefe die kleinen Wellen trieben, mu?te der Schlitten gestanden haben, als Lore ihren Mantel über mich legte. Ich blickte eine ganze Weile nach dem jetzt unerreichbaren Punkte, den meine Augen in dem Fluten des Wassers nur mit Mühe festzuhalten vermochten.--
Aber ich wollte ja den Brombeerfalter fangen! Hier, wo es weitumher kein Gebüsch, kein stilles vor dem Winde geschütztes Fleckchen gab, war er nicht zu finden. Ich entsann mich eines andern Ortes, an dem ich vor Jahren unter der Anführung eines ?ltern Jungen einmal Vogeleier gesucht hatte. Dort waren Koppel an Koppel die W?lle mit Hagedorn und Nu?gebüsch bewachsen gewesen; an den Dornen hatten wir hie und da eine Hummel aufgespie?t gefunden, wie dies nach der Naturgeschichte von den Neunt?tern geschehen sollte; bald hatten wir auch die V?gel selbst aus den Z?unen fliehen sehen
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