Auf der Universitat Lore | Page 4

Theodor W. Storm
aus den Zeiten seiner Jugend vormachte, um seinen Liebling in die ?u?ersten Feinheiten der Kunst einzuweihen. Oft habe ich verstohlen zu ihr hinübergeblickt, wie sie scheinbar teilnahmslos dem alten Mann zuh?rte, nur mitunter die schwarzen Augen zu ihm aufschlagend oder still und wie nur andeutungsweise eine seiner künstlichen Figuren nachmachend. Aber wenn wir angetreten waren und der Maestro seine Geige zu streichen begann, wurde es anders. Zwar schien sie an nichts weniger zu denken als an die Tritte und Wendungen des Tanzes, es war fast, als blickten ihre Augen in entlegene Fernen; aber w?hrend ihre Gedanken weit entrückt schienen, l?chelte ihr Mund, und ihre kleinen Fü?e streiften lautlos und spielend über den Boden. --"Lore, wo bist du?" fragte ich dann wohl, w?hrend ich ihr in der Tour die Hand reichte.--"Ich?" rief sie und strich, wie aus Tr?umen auffahrend, ihr schwarzes Haar zurück, w?hrend die Wendung des Tanzes sie mir schon wieder entführt hatte.--Noch jetzt, wenn ich die spanische Tanzweise in Silchers ausl?ndischen Volksmelodien h?re, kann ich immer nur an sie denken.
Einigerma?en hinderlich--ich will es nicht leugnen--war es mir, da? seit den Tanzstunden der franz?sische Schneider mich mit einer auff?lligen Gunst beehrte. Wo er mir nur begegnete, auf Stra?en oder Spazierwegen, suchte er mich zu stellen und ein m?glichst lautes und langes Gespr?ch mit mir anzuknüpfen. Schon das erstemal erz?hlte er mir, da? sein Gro?vater unter Louis seize Ofenheizer in den Tuilerien gewesen war.
"Ja, Monsieur Philipp" sagte er mit einem Seufzer und pr?sentierte mir seine porzellanene Schnupftabaksdose, "so kann eine Familie herunterkommen!--Aber meine Lore--Sie verstehen mich, Monsieur Philipp!"--Er zog ein buntgewürfeltes Schnupftuch aus der Tasche und trocknete sich die kleinen schwarzen Augen. "Was wollen Sie! Ich bin ein armer Kerl, aber das Kind--sie ist mein Bijou, der Abgott meines Herzens!" Und dabei blinzelte er und warf mir einen so v?terlichen Blick zu, als gedenke er auch mich in die heruntergekommene Familie aufzunehmen.
Mittlerweile kam die letzte Tanzstunde heran, die zu einem kleinen Ball erweitert werden sollte. Die Eltern waren eingeladen, um uns tanzen zu sehen; von den meinigen hatte indessen nur meine Mutter zugesagt, mein Vater wurde durch seinen Beruf als Arzt und Bezirksphysikus von jeder Geselligkeit ferngehalten. Da meine Ungeduld, sobald der Abend anbrach, mir keine Ruhe lie?, so trat ich schon vor der angesetzten Stunde in den Saal, in welchem heute auf den Wandleuchtern und in den Glaskronen alle Kerzen brannten. Als ich mich umblickte, bemerkte ich Lore ganz allein mit dem Rücken gegen mich an einem Fenster stehend. Bei dem Ger?usch der zufallenden Tür schrak sie sichtlich zusammen, w?hrend sie mit Hast bemüht schien, einen goldenen Schmuck von ihrer Hand zu streifen. Als ich zu ihr getreten, sah ich, da? es ein Armband war, dessen Schlo? sie vergeblich zu ?ffnen sich bemühte.
"So la? es doch sitzen, Lore!" sagte ich.
"Es geh?rt nicht mein!" antwortete sie verlegen, "Jenni hat es hier vergessen."
Die feine Blumenrosette von mattem venezianischem Golde lag so schimmernd auf dem braunen schlanken Handgelenk.
"Es sollte bleiben, wo es ist", sagte ich leise.
Lore schüttelte traurig den Kopf, und ihre Finger begannen aufs neue an dem Schlo? zu nesteln.
"Komm", sagte ich, "es geht ja nicht; ich will dir helfen!"--Ich fühlte die leichte Last ihrer schmalen Hand in der meinen; ich z?gerte, meine Augen waren wie verzaubert.
"Oh, bitte, geschwind!" bat sie. Mit niedergeschlagenen Augen, wie mit Blut übergossen stand das M?dchen vor mir.
Endlich sprang das Schlo? auf, und Lore legte den goldenen Schmuck schweigend zwischen die Blument?pfe auf die Fensterbank.
Gleich darauf füllte sich der Saal. Auch Frau Beauregard hatte es sich nicht nehmen lassen, wenigstens als Aufw?rterin an dem Ehrenfeste ihres Kindes teilzunehmen. In einer frisch gest?rkten Haube, bald mit Kuchenk?rben, bald mit einem gro?en Pr?sentierteller beladen, ging sie zwischen den G?sten ab und zu.--Endlich begannen die Musikanten anzustreichen, deren heute vier an einem Tische sa?en. Der alte Tanzmeister klopfte auf den Geigendeckel, und Lore reichte mir die Hand zur Mazurka.--Und, oh, wie tanzten wir! Wie sicher lag sie in meinem Arm, mit welcher Verachtung stampften die kleinen Fü?e den Boden! Auch mich ri? es hin, als wenn ich von den Rhythmen der Musik getragen würde. Es war wie eine schmerzliche Leidenschaft; denn wir tanzten heute, vielleicht auf immer, zum letztenmal zusammen.
Erst jetzt hatte ich bemerkt, da? Lore ein Kleid von leichtem hellgeblümtem Wollstoff trug. Es war wie das vorige augenscheinlich aus der Garderobe ihrer G?nnerin hervorgegangen; denn auf der breiten Brust und bei den etwas kupferigen Wangen der Frau Bürgermeisterin hatten diese farbigen Rosenbuketten im letzten Winter eine Art von komischer Berühmtheit erlangt; nun aber kam das zarte Muster zu seiner Geltung; dem frischen braunen M?dchenantlitz stand es wunderhübsch.
Die Mazurka war getanzt; Lore lie? wieder ihr dunkles K?pfchen und die schlanken Arme sinken, und ich führte sie an ihren Platz.-- Fritz und Charlotte, die ebenfalls abgetreten waren, sa?en dicht daneben. In demselben Augenblick kam auch Frau Beauregard mit Tee und Kuchen;
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