Auf Gottes Wegen | Page 8

Bjørnstjerne M. Bjørnson
kannte er. Diese
Geschichten zu erzählen -- am liebsten Skandalgeschichten -- und in
aller Stille noch andere einzuheimsen -- das war ihm des Daseins
größte Wonne! Hätten die Lehrer geahnt, wie diese bewundernswerte
Schubladeneinrichtung mit all ihrem Inhalt die Luft der Schule verdarb
-- sie hätten ihn schwerlich noch ein Jahr dabehalten. Die ganze Schule
war nichts als Kritik und Zweifel; Klatsch und Spott waren
Hoftugenden, die am ehesten zu Gunst führten; schlüpfrige
Geschichten waren die Festunterhaltung. Gierig nach Neuem saß er
inmitten seines Rauchgespinstes zwischen seinen Bücherregalen, wenn
jemand ihn besuchte. Und als Edvard an diesem Abend kam und
erzählte, nun wisse er, wohin Ole gehe und was er treibe, und nun
wolle er seine Prämie, da stand Anders auf und bat ihn, doch einen
Augenblick zu warten; er wolle nur schnell etwas Bier holen; dann
wollten sie sich einen vergnügten Abend machen.
Das erste Glas schmeckte vortrefflich, ein anderes halbes ebenso; und
dann erzählte Edvard. Erst, daß Ole unten im Fischerdorf Kranke
pflege.
Anders war ungefähr ebenso paff, wie Edvard vorhin, als er die Bibel
sah. Edvard lachte herzlich. Aber es dauerte nicht lange, so äußerte

Anders einen leisen Zweifel. Ole habe ihm wahrscheinlich nur etwas
weismachen wollen, um sich leichter aus der Patsche zu ziehen;
dahinter stecke etwas. Bauernjungen seien immer Heimlichtuer. Und
zum Beweis erzählte er ein paar ganz amüsante Geschichtchen aus der
Schule. Edvard gefiel dieses ewige Zweifeln nicht recht, und um ein
Ende zu machen (er war im Grunde furchtbar müde), berichtete er, sein
Vater wisse alles, er sei damit einverstanden und unterstütze Ole mit
Geld. Jetzt zweifelte natürlich auch Anders nicht länger. Aber trotz
allem -- es konnte etwas dahinterstecken; Bauernjungens seien nun mal
solche Heimlichtuer.
Das wurde Edvard denn doch zu viel; er sprang von seinem Sitz auf
und fragte, ob Anders etwa glaube, daß einer von ihnen lüge.
Anders trank ruhig einen Schluck Bier und ließ vorsichtig seine
Glotzaugen rollen. "Lügen" -- hm -- ein sonderbarer Ausdruck. Durfte
man vielleicht wissen, was das für Kranke waren, mit denen Ole sich
beschäftigte?
Darauf war Edvard nicht gefaßt. Er hatte sich vorgenommen, gerade
soviel zu sagen, als nötig war, um die Prämie zu bekommen, und kein
Wort darüber. Er stand wieder auf. Wenn Anders es nicht glauben
wolle, so möge er's bleiben lassen; aber seine Prämie wolle er.
Es war nicht Anders Hegges Art, mit jemand zu brechen, was Edvard
auch recht gut wußte. Natürlich sollte Edvard das Buch haben. Aber
nun müsse er erst mal eine amüsante Geschichte hören, wie sich die
Kranken draußen im Fischerdorf aufführten. Der Armenarzt und seine
Frau seien gestern bei seiner Mutter gewesen, und da habe jemand nach
der Marte von der Werft gefragt, die man schon so lange nicht mehr
gesehen habe. Ob sie noch immer von ihrem Fall im Winter bettlägrig
sei? Ja freilich; und sie litte keine Not; denn die Leute schickten ihr
unbegreiflicherweise alles, was sie brauche, und der Wäscher-Lars
bringe ihr Abend für Abend Schnaps, so daß sie sich manch liebes Mal
einen recht fidelen Schwips ansäuselten. So bald stehe die gewiß nicht
wieder auf.
Edvard wurde feuerrot, was Anders wohl bemerkte. War etwa die

Marte von der Werft eine von denen, denen Ole "half"? Ja, es ließ sich
nicht leugnen.
Die Glotzaugen weiteten sich ordentlich, um diese Beute aufzunehmen.
Edvard sah, wie sie eingesogen und verschlungen wurde, und ihm war,
als sinke er selber mit hinein und werde zerrissen und aufgefressen.
Aber wenn es etwas gibt, was ein Schuljunge nicht verträgt, so ist es,
sich gefangen zu sehen in seiner eigenen Arglosigkeit. Er beeilte sich,
den ehrenrührigen Verdacht, als ob er das Lächerliche an Ole Tufts
Vorhaben nicht durchschaue, von sich abzuwälzen. "Und denk Dir
--aus der Bibel hat er der Marte vorgelesen!" -- Ihr aus der Bibel
vorgelesen? Wieder wurden die Glotzaugen ganz groß, um zu
schlingen; aber schnell zogen sie sich wieder zusammen. Anders kam
ins Lachen; er schüttelte sich geradezu; und Edvard mit.
Ja, er las der Marte aus der Bibel vor, die Geschichte vom verlorenen
Sohn; und Edvard erzählte, was Marte gesagt hatte. Sie lachten um die
Wette und tranken den Rest des Biers aus. Alles, was an Anders
liebenswürdig und amüsant war, kam zum Vorschein, wenn er lachte.
Das Lachen selbst hatte einen leichten Beiklang, wie wenn man jemand
am Hals kitzelt -- --es forderte zu immer neuer Heiterkeit heraus -- zu
endlos neuer Heiterkeit. Und Edvard mußte alles erzählen -- und noch
ein bißchen mehr.
Als er später mit dem Prachtband unterm Arm nach Hause lief, hatte er
ein scheußliches Gefühl. Der Bierdunst war verflogen; das Lachen
reizte ihn nicht mehr, und der gekränkten Eitelkeit war Genüge getan.
Aber kaum war er an der frischen Luft, da glaubte er auch schon Oles
gute Augen vor sich zu sehen. Er wollte das Gefühl abschütteln; er war
so entsetzlich
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