sei eine große Kunst,
Menschen zu gewinnen, steht da. Sie zu gewinnen für das Reich Gottes,
das sei die schwerste aller Künste. Und eigentlich müßten wir uns von
Jugend, ja von Kindesbeinen an darauf einüben; so steht geschrieben,
und das will ich tun. Denn Missionär sein -- siehst Du -- das ist doch
das Höchste auf Erden. Das ist mehr als König sein, mehr als Kaiser
und Papst sein; das steht in dem Traktat. Und es steht auch darin, ein
Missionär habe gesagt: Und hätte ich zehn Leben, ich gäbe sie alle zehn
hin für die Mission ... Und das will ich auch."
Sie gingen jetzt Seite an Seite. Ole hatte sich, ohne es zu wissen, den
aufleuchtenden Sternen zugekehrt. Beide standen eine Weile so und
starrten in die Luft. Unter ihnen der Hafen mit den Schiffen in
verschwommenen Umrissen, die Brücken, niedrig, schwer; die Stadt
mit ihren verstreuten Lichtern; weiter draußen der Strand, wollgrau von
Schnee, und daneben das schwarze Meer; hier unten hörte man es
wieder, wenn auch schwächer; das einförmige Tosen verfloß mit dem
sternbesäten Halbdunkel. Zwischen den Knaben zitterten unsichtbare
Fäden hin und her; Gefühle knüpften sich an. Von keinem andern
wünschte Ole so sehnlich, gut beurteilt zu werden, wie von dem, der in
seiner leichten Pelzmütze vor ihm stand; und Edvard dachte, wie viel
besser doch Ole sei als er. Denn daß er selber gräßlich war, das wußte
er; das hörte er ja alle Tage. Er sah seitwärts auf den Bauernjungen; --
die tief über die Ohren gezogene Zipfelmütze, die großen
Fausthandschuhe, der plumpe Schal, die weite Friesjacke, die breiten
Hosen, die schweren, eisenbeschlagenen Stiefel --nur -- die Augen
wogen das alles auf, und das treuherzige Gesicht, wenn es auch ein
bißchen altklug war ... Ole wird einmal ein großer Mann werden!
Sie trabten weiter, Edvard voran, Ole hinterher, hinunter zur "Vorstadt".
So hieß der Stadtteil, der an den "Berg" stieß und im wesentlichen aus
Arbeiterhäusern, Werkstätten und kleineren Fabriken bestand.
Ordentliche Straßenanlagen oder Beleuchtung gab es hier noch nicht;
es war jetzt, beim Tauwetter, ein entsetzlicher Morast, der in der
Abendkälte gerade zu gefrieren begann. Die paar Laternen, die
vorhanden waren, hingen an Stricken, die vom einen Haus zum andern
quer über die Gasse gespannt waren, und hinauf- und hinuntergezogen
werden konnten. Sie waren schwarz von Qualm und daher äußerst
schlechter Laune. Hier und dort hatte eine kleine Werkstatt ihre eigene
kleine Laterne, die über der Haustreppe hing. Unter einer solchen
Laterne blieb Edvard stehen. Er mußte wieder etwas fragen. Nämlich --
wer es eigentlich sei, dessen Ole sich dort unten annahm? Einer, den sie
beide kannten? Frohgemut setzte Ole seinen Korb auf die Treppe und
stützte sich mit der Hand darauf. Er lächelte: "Du kennst doch die
Marte von der Werft?" Ja, die kannte die ganze Stadt; eine tüchtige
Frau; aber sie trank; und oft hatten die Schuljungen am Samstagabend
ihren Jux mit ihr, wenn sie, an eine Mauer gelehnt, dastand und sie
ausschimpfte und sich schließlich umdrehte und zum Zeichen ihrer
Hochachtung -- na ja, wie das Zeichen aussah, läßt sich nicht gut
beschreiben! Aber die Bengels warteten bloß darauf; und die Sache
wurde stets mit Jubelgeheul begrüßt.
"Die Marte von der Werft!" rief Edvard. "Die willst Du bekehren?" --
"Still doch! Nicht so laut!" bat Ole. Er war flammend rot geworden und
sah sich erschrocken um. Edvard wiederholte flüsternd: "Glaubst Du,
irgend ein Mensch könnte die bekehren?" -- "Ich glaube, ich bin auf
dem besten Wege!" flüsterte der andere geheimnisvoll. -- "Du mußt
schon entschuldigen -- aber ich glaub' es nicht!" Die Augen schielten,
der Mund verzog sich zu einem Lächeln. -- "Wart' nur erst und hör'
mich an! Du weißt doch, im Winter ist sie auf dem Glatteis hingefallen
und hat sich bösen Schaden getan?" Jawohl, das wußte er. -- "Seitdem
liegt sie im Bett, und kein Mensch hat Lust, ihr zu helfen. Sie ist doch
so bösartig und kratzbürstig. Gegen mich war sie anfangs widerwärtig
-- kaum zum Aushalten war's. Aber ich achtete einfach nicht darauf,
und jetzt heißt es nur noch 'mein Gottesengelchen', 'mein Lämmeken',
'mein Goldsöhnchen', 'mein gutes Kind'. Denn ich habe sie umgebettet
und Kleider und Essen und Bettzeug für sie gesammelt, und die ärgsten
Dinge für sie getan, siehst Du. Und doch hat sie eines Abends Miene
gemacht, mich zu schlagen, wie ich ihr aufhelfen wollte, und ihr
krankes Bein ihr dabei wehtat. Sie schrie wie besessen und hob ihren
Stock gegen mich; aber dann nahm sie sich zusammen und fluchte nur
ganz fürchterlich und warf mir Schimpfworte an den Kopf. Jetzt ist sie
wieder ganz sanft, und neulich hab' ich's sogar gewagt, ihr aus der
Bibel vorzulesen." -- "Der Marte von der Werft?" -- "Die Bergpredigt.
Und daß Du's nur weißt -- sie hat geweint." -- "Geweint? Hat sie's denn
verstanden?" -- "Nee, sie hat so
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.