Arnold Böcklin | Page 6

Heinrich Alfred Schmid
der unverdorbene Sohn einer anständigen
Familie und einer sittlich wie geistig hochstehenden Mutter. Für die
Schönheit des Weibes war er sehr empfänglich, huldigte aber, wie es
scheint, in keiner Zeit seines Lebens dem bei Künstlern so häufigen

Libertinismus. Dem Weine war er sehr ergeben, er trank viel, aber er
vertrug noch mehr.
Böcklin war auch eine grundehrliche Natur. Zwar scheute er sich nie,
einem zudringlichen Frager einen Bären aufzubinden, doch haßte er die
schlimmeren Arten der Lüge, die halben Wahrheiten, die Phrasen; er
hat sich nicht selber belogen, sich nicht künstlich in eine Stimmung
hinaufgesteigert. Er war ehrlich vor allem in seinem Beruf.
Das Kunstwerk aber war für ihn nicht bloß ein «Stück Natur im Affekt
gesehen». Als der Verfasser dieser Zeilen ihm eine Anzahl Lichtdrucke
nach Zeichnungen von Matthias Grünewald vorlegte, geriet er bei den
Entwürfen in Aufregung, während ihn die Studien ganz kalt ließen,
obwohl sich doch schon bei diesen die Subjektivität des Meisters
deutlich genug geäußert hatte. Mit der ganzen vorausgegangenen
Generation und auch mit den Altersgenossen war er darin einig, etwas
erzählen und nicht nur durch Auswahl, Auffassung und Stilisierung
etwas Eigenes geben zu wollen. Er war außerdem persönlich schon zu
vielseitig veranlagt und zu vielseitig gebildet, als daß nicht Musik und
Poesie in irgendeiner Weise in seinen Bildern hätte mitspielen müssen.
Ein literarischer Maler war er sicher und es kann sich bei ihm nur
fragen, ob seine Gemälde nur davon leben, daß sie Geschichten
erzählen und an Gefühle anspielen, die das Publikum liebt, oder ob es
gute Werke bildender Kunst sind, die außer dem Sichtbaren noch
anderes bieten. Er war auch ein musikalischer Maler, zunächst in
demselben Sinne wie er ein literarischer war. Aber er war es noch in
einem übertragenen Sinne. Die Musik war nicht nur eine Anregerin und
Begleiterin seiner Kunst. Die Eigenart dieser Kunst wirkte vielmehr
auch auf seinen Willen, das Naturbild umzugestalten, wirkte auf seinen
Stil. Er trachtete, je älter er wurde, je mehr darnach, durch seine Bilder
das Gemüt so zu packen wie die Musik es tut. «Ein Bildwerk soll etwas
erzählen und dem Beschauer zu denken geben, so gut wie eine
Dichtung, und ihm einen Eindruck machen wie ein Tonstück.» Er fand
deshalb auch: Alles was einem aus dem Kopf von innen heraus gerät,
ist mit samt seinen Zeichenfehlern und anderen Fehlern tausendmal
mehr wert, als eine noch so fleißig und noch so richtig nach der Natur
gemachte Studie.

Die Art, wie er sich in der Malerei ausspricht, nähert sich in der Tat
mehr als bei andern Malern seiner Zeit, der Ausdrucksweise von Musik
und Architektur. Wohl singt er von seinen Leiden, indem er rauschende
Bäume und brandende Wogen darstellt, aber die Elemente der Malerei,
Linien und Linienfolgen, Farben und Farbenfolgen bestimmen fast
ebenso wie der Rhythmus von Säulen und Gebälk, Mauer und Öffnung,
von Tonfolgen und Akkorden den Gesamteindruck. Das war das Neue
bei ihm und das Uralte, das, womit er dem Expressionismus vorgriff
und mit Grünewald und Giotto sich verwandt zeigt.
Fast scheint es aber, als ob er das höchste Glück der Erdenkinder in der
Musik gesehen hätte. Es musizieren auf seinen Bildern Andächtige und
Verliebte, die Götter der Flur und der See, betrunkene Soldaten und die
Seligen im Elysium. Er fand sich auch ohne systematischen Unterricht
auf mehreren Instrumenten zurecht und konnte jede Melodie, die er
einmal gehört hatte, fehlerlos wiedergeben, wenn sie ihm gefallen hatte.
Unter den Komponisten standen ihm außer den frühen Italienern Haydn,
Bach, Mozart, Beethoven und Schubert am nächsten. Gegen Richard
Wagner hatte er einen unüberwindlichen Widerwillen.
Je mehr elegische Stimmung eines seiner Bilder ausströmt, um so
dunkler wird die Stunde gewesen sein, aus deren Gründen heraus es
später sich kristallisierte. Aber in einer Zeit, wo sonst die aufdringliche
psychologische Zergliederung grassierte, versetzt er die eigenen Leiden
und Freuden in altersgraue Vorzeit, in den Bereich der Götter und
Heroen. Denn sicher ist alles Erlebnis, das Verhältnis von Triton und
Najade so gut wie das der Alten in der Gartenlaube, die Tatenlust des
Abenteurers so gut wie die Leiden des Prometheus, die Sehnsucht des
Odysseus wie die «Heimkehr des Landsknechts». Da aber so viel mit
blutendem Herzen gemalt war, lehnte er jedes Reden über die
Stimmung seiner Werke ab, außer über die lustigen. Die Stilisierung
seiner Erlebnisse ins Heroische erlaubte dem zurückhaltenden
Alemannen und Basler mehr zu sagen, als er sonstwie übers Herz
gebracht hätte. Sollen wir diese Art der Maskerade verdammen? Wäre
es besser gewesen, er hätte geschwiegen?
In Düsseldorf fand Böcklin einen Lehrer, der ihn verstand und der in

den Grundzügen des künstlerischen Wollens mit dem einig war, was
ihm dunkel vorschwebte, in Joh. Wilh. Schirmer, dem Schöpfer von
Landschaften mit biblischer oder heroischer Staffage, die noch in den
sechziger und siebziger Jahren große Bewunderung in ganz
Deutschland gefunden haben. Dieser Lehrer war nur der begabte und
feinsinnige Vertreter einer jetzt längst veralteten Richtung
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