Arnold Böcklin | Page 5

Heinrich Alfred Schmid
ein. Vom November sind die ersten
Aktzeichnungen datiert.
Er war damals ein schlank gewachsener Mensch mit langem Haar, das
fast bis auf die Schultern herabfiel, und mit stechenden blaugrauen
Augen. Er verfügte über einen ungewöhnlich kräftigen Körper, der
durch systematische Übung gestählt, geschmeidig gemacht und
geschmeidig erhalten wurde. Das war die Grundlage für seine
Lebenslust und seinen Humor, seine Ausdauer und die
bewundernswürdige Elastizität, mit der er nach den schwersten
Katastrophen immer wieder emporschnellte. Die Götter hatten ihm aber
mit der Kraft auch die Feinfühligkeit und Verwundbarkeit der Seele
verliehen, ohne die ein genialer Künstler nicht denkbar ist. Er konnte in
lauten Jubel ausbrechen, wenn er an einem schönen Morgen in die
Campagna fuhr, aber er empfand auch tiefer als andere die Schläge des
Schicksals, und es ist ihm ein vollgerüttelt Maß davon zuteil geworden.
Der außergewöhnlichen Empfänglichkeit und Reizbarkeit entsprach ein
erstaunliches Gedächtnis: was entzückt oder verwundet, wird von dem
Menschen festgehalten. Sein Gedächtnis kannte wie seine
Aufnahmefähigkeit keine Grenzen. Er hatte bei aller Zielsicherheit des
Wollens die Vielseitigkeit der Anlagen und Interessen, die an Richard

Wagner und selbst an Goethe erinnern und sagte selbst, daß in seinem
Kopfe vieles Platz habe.
Er war zunächst für alle bildenden Künste veranlagt und weit davon
entfernt, etwa nur ein Kolorist zu sein. Die früheste Leistung, mit der er
in die Öffentlichkeit getreten ist, war nach A. Frey der Entwurf eines
Stadttores für die Eisenbahn von Straßburg nach Basel.
Architektonisches Verständnis verraten auch seine Gemälde. Als Maler
ist er von der Landschaft ausgegangen; er hat aber vereinzelte Bildnisse
und Skulpturen geschaffen, die zu den populärsten des Jahrhunderts
gehören und schließlich in figurenreichen Wand- und Staffeleibildern
sein Höchstes geleistet. Er hat auch Gemmen geschnitten und Möbel
entworfen.
Böcklin hat im Laufe der Jahre, ähnlich wie einst Rubens für seine
Zwecke, die gesamte Kunst der Vergangenheit, soweit sie ihm
erreichbar war, studiert. Seine größte Bewunderung galt der
Architektur, Plastik und Malerei der Antike. Die romanische Kunst und
die Gotik liebte er nicht, aber es finden sich in einem Baseler
Skizzenbuch zwei Statuen des Freiburger Münsters und er rühmte dem
Verfasser dieser Zeilen die alten Glasgemälde von Sta. Croce in
Florenz. Seine besondere Liebe war lange Zeit das italienische
Quattrocento bis auf den jungen Lionardo; noch weit mehr, und je
länger je mehr, schätzte er aber die Niederländer seit van Eyck und die
alten Deutschen, namentlich Matthias Grünewald. Es finden sich in
seinem Werke ferner Reminiszenzen an Raffael, Tizian und Rubens.
Michelangelo war ihm unsympathisch, aber als das Gespräch
gelegentlich auf diesen kam, konnte er unvorbereitet aus dem
Gedächtnis eine charakteristische Figur dieses Meisters, für alle
kenntlich, auf dem Marmortisch entwerfen. Aus Tizians «Himmlischer
und irdischer Liebe» ist die nackte Figur eines kleinen Bildchens
herübergenommen. An die Amazonenschlacht von Rubens in München
lehnt sich die erste seiner Römerschlachten (Taf. 87) an. Es finden sich
aber in seinem Werke auch die unverkennbaren Zeugnisse, daß er sich
selbst einen Michelangelo da Caravaggio und einen Guido Reni genau
angesehen hat. Von diesem hat er die Gestalt der Venus in Dresden bei
seiner eigenen Venus (Taf. 12) verwertet. Ganz anders freilich war sein

Verhältnis zu den Landschaftern des 17. Jahrhunderts, die, wie er aus
dem Norden kommend, in Italien ihre zweite Heimat gefunden haben,
so vor allem zu Gaspard Dughet und Poussin. Manche seiner
Schöpfungen aus der ersten römischen Zeit sehen aus, als ob diese
beiden neben Tizian seine eigentlichen Lehrmeister gewesen seien. Vor
allem aber war Rubens neben Grünewald für ihn der Maler aller Maler.
Ablehnend verhielt er sich, in späteren Jahren wenigstens, gegen
Lionardo, Velazquez und Rembrandt, namentlich gegen Rembrandt.
Schon in Düsseldorf fiel er durch seine gründliche literarische Bildung
auf. Damals las er unter anderem Moliere und Voltaire. Seine
Lieblingsdichter waren aber Griechen, Italiener und Deutsche: Homer,
Dante, Ariost, Goethe und Gottfried Keller. Auf den Klippen von Ischia
pflegte Böcklin Homer und Ariost zu lesen. Die Sänger der väterlichen
Familie aber sind Schiller und Peter Hebel, ein Zeitgenosse der großen
Klassiker, der in der Mundart des nahen Wiesentales gedichtet hat,
gewesen.
Er las indessen nicht nur schöne Literatur. Er las auch sonst viel, es
haben ihn namentlich kulturhistorische Werke, Bücher über Reisen,
Ausgrabungen und Erfindungen interessiert. Er war nicht nur Poet,
sondern auch Denker und Grübler, und seine Leidenschaft galt nicht
nur den künstlerischen, sondern auch den technischen Problemen und
der Technik nicht allein in seiner Kunst. Durch das ganze Leben geht
neben dem Bestreben, die Technik der Griechen und die Öltechnik der
Brüder van Eyck wieder zu entdecken, das andere, ein Flugzeug zu
erfinden. Eine Nachricht, die seine Hoffnungen auf diesem Gebiete
begrub, scheint der unmittelbare Anlaß für den ersten Schlaganfall
gewesen zu sein. Er scheint als Konstruktionstechniker Dilettant
geblieben zu sein und geradezu pathologisch konnte sein Mangel an
Geldsinn anmuten.
Er war aber nicht nur ein reichbegabter und kräftiger, sondern auch ein
großer und guter Mensch,
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