Andrea Delfin | Page 8

Paul Heyse
Anlaß, das
Netz über uns zu werfen.
"Mein Bruder wurde nach Venedig gerufen, sich zu verantworten. Als
er kam, wurde er unter die Bleidächer geführt, und viele Wochen lang
suchte man bald durch Drohungen, bald durch verlockende
Anerbietungen ihn zu Geständnissen zu bewegen. Jenen einen Schritt
brauchte er nicht zu beschönigen; er war gesetzlich. Anderes hatte er
nicht zu gestehen, da wir nichts gegen den Staat unternommen hatten.
So mußte man ihn endlich entlassen. Aber man dachte nicht daran, ihn
zu begnadigen.
"Ich selbst hatte ihn schriftlich gebeten, nicht sogleich abzureisen, um
nicht neuen Verdacht zu erwecken. Wir wollten ihn lieber einige
Monate länger entbehren. Als er endlich kam, sollten wir ihn nach
wenigen Tagen für immer missen. Er erlag einem langsam wirkenden
Gift, das man ihm in einem der glänzenden Häuser, die er besuchte,
unter die Speisen gemischt hatte.
"Noch war der Stein über seinem Grabe nicht aufgerichtet, als der
Gouverneur der Provinz meiner Schwester seine Hand antrug. Sie wies

sie mit Entrüstung zurück; in ihrem Schmerz entfuhren ihr Worte, die
ihren Nachhall im Saal des Inquisitionstribunals finden sollten.
"Eine neue Anstrengung des Adels von Friaul, die Lage des Landes zu
bessern, wurde beraten. Ich hielt mich von den geheimen Anstalten fern,
da ich von ihrer Fruchtlosigkeit überzeugt war. Aber das böse
Gewissen der Herren der Republik deutete auf mich, als den am
härtesten Getroffenen, der einen Bruder zu rächen hatte. Ein Haufen
gedungener Bravi überfiel nachts unsere einsame Villa in den Bergen.
Ich hatte nur meine Diener zur Verteidigung. Als die Elenden uns
wohlgerüstet und entschlossen fanden, uns nicht leichten Kaufs zu
ergeben, zündeten sie das Haus an vier Ecken an. Ich machte mit
meinen Leuten einen verzweifelten Ausfall, die Schwester, die selbst
eine Pistole trug, in unserer Mitte. Da streckte mich ein Schlag gegen
die Stirn besinnungslos zu Boden.
"Erst am Morgen wachte ich auf. Die Stätte war ein menschenleerer
Trümmerhaufen, meine Schwester in den Flammen umgekommen,
meine braven Diener teils erschlagen, teils in das brennende Haus
zurückgetrieben.
"Viele Stunden lag ich so neben dem rauchenden Schutt und starrte in
das leere Nichts, das mir meine Zukunft bedeutete. Erst als ich unten
im Tal Bauern heranziehen sah, raffte ich mich auf. Eins wußte ich:
Solange man mich am Leben glaubte, würde man mich für einen Feind
halten und überall hin verfolgen. Das brennende Grab war geräumig
genug; wenn ich verschwand, würde niemand zweifeln, daß auch ich
dort bei den Meinigen ausruhte. Im Herumirren auf der Felshöhe fand
ich die Brieftasche eines meiner Bedienten, der aus Brescia gebürtig
und viel in der Welt herumgefahren war. Seine Papiere lagen darin; ich
steckte sie zu mir, auf alle Fälle, und floh durch den dichten
Klippenwald. Niemandem begegnete ich, der mich hätte verraten
können. Als ich mich verschmachtet zu einem trüben Waldsee bückte,
sah ich, daß auch mein Äußeres mich nicht verraten konnte. Mein Haar
war in der Nacht ergraut; meine Züge waren um viele Jahre gealtert.
"In Brescia angelangt, konnte ich ohne Schwierigkeiten mich für
meinen Diener ausgeben, da derselbe schon als Knabe die Stadt
verlassen hatte und dort keine Verwandten mehr besaß. Fünf Jahre lang
lebte ich wie ein lichtscheuer Verbrecher und vermied die Menschen.
Eine Ohnmacht hatte sich auf meinen Geist gesenkt, als wäre durch

jenen Schlag, der mich zu Boden warf, das Organ des Willens in mir
zertrümmert worden.
"Daß es nicht zerstört, sondern nur gelähmt war, empfand ich bei der
Kunde von Eurem Auftreten gegen das Tribunal. Mit einer fieberhaften
Spannung, die mich verjüngte und mir das Bewußtsein meiner
Lebenskraft zurückgab, verfolgte ich die Nachrichten aus Venedig. Als
ich das Scheitern Eures hochherzigen Wagnisses vernahm, sank ich nur
auf einen Augenblick in die alte dumpfe Resignation zurück. Im
nächsten Augenblick drang es wie ein Feuerstrom durch alle meine
Sinne. Der Entschluß stand fest, das Werk, das Ihr auf dem offenen
Wege des Rechts und des Gesetzes nicht hattet vollbringen können, auf
dem Wege der Gewalt und einer furchtbaren Notwehr, mit dem Arm
des unsichtbaren Richters und Rächers zum Heil meines teuren
Vaterlandes hinauszuführen.
"Ich habe diesen Entschluß seither unablässig geprüft und meine
Absicht unsträflich gefunden. Ich bin mir heilig bewußt, daß nicht Haß
gegen die Personen, nicht Rache für erlittenes Leid, nicht einmal der
gerechte Gram um das Weh, das meinen Lieben widerfahren, meinen
Arm gegen die Gewaltherren bewaffnet. Was mich bewegt, für ein
ganzes in Knechtschaft versunkenes Volk als Retter aufzutreten und
einzeln den Spruch zu vollstrecken, der zu anderen Zeiten vom
Gesamtwillen einer freien Nation über ungerechte, dem Arm des
Richters unerreichbare Mächtige verhängt worden ist,--es ist weder
Eigensucht, noch eitle Ruhmbegier; es ist nur eine Schuld, die ich
durch eine tatenlose Jugend auf mich geladen habe, und an deren
Bezahlung mich damals Euer Blick im Palast Morosini mahnte.
"Gott, in dessen Schutz ich meine Sache befehle, möge mir als einzigen
Ersatz für alles, was er
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