mir genommen, die Gnade zuteil werden lassen,
daß ich in einem befreiten Venedig Euch noch einmal die Hand
drücken kann. Ihr werdet die blutbefleckte nicht zurückstoßen, die dann
in keiner Freundeshand mehr ruhen wird; denn wer das Amt des
Henkers verwaltet hat, ist der Einsamkeit geweiht und hat den Blick der
Menschen zu meiden. Gehe ich aber an meinem Werk zu Grunde, so
weiß derjenige, an dessen Achtung mir am meisten gelegen ist, daß es
auch in dem jüngeren Geschlecht nicht ganz an Männern fehlt, die für
Venedig zu sterben wissen.
"Diesen Brief wird Euch ein zuverlässiger Mann zustellen, der das
Kleid eines Sekretärs der Inquisition mit der Mönchskutte vertauscht
hat, um durch Fasten und Gebet die Sünden der Republik zu büßen,
denen er seine Feder leihen mußte. Verbrennt dieses Blatt. Lebt wohl!
Candiano."
Als der Verbannte den Brief zu Ende gelesen hatte, saß er wohl eine
Stunde in tiefem Kummer vor den verhängnisvollen Blättern. Dann
hielt er sie über die Flamme, streute die Asche in den Kamin und ging
ruhelos bis an den frühen Morgen auf und nieder, während der
Unglückliche, dessen Beichte er vernommen, wie einer, dessen Sache
gerecht und dessen Sachwalter der Himmel ist, schon längst den Schlaf
gefunden hatte.-Am anderen Tage ging der späte Ankömmling in der
Straße della Cortesia zeitig aus. Das lustige Singen Mariettas draußen
auf dem Flur hätte ihn vielleicht noch länger schlafen lassen, aber das
laute Schelten der Mutter, daß sie einen Lärm mache, der einen Toten
erwecken könne, und daß sie noch alle Fremden aus dem Hause treiben
würde, ermunterte ihn völlig. Er hielt sich an der Stiege, wo seine
Wirtin bereits auf ihrem alten Posten saß, nur gerade so lange auf, um
sich nach den Wohnungen einiger Notare und Advokaten zu
erkundigen, deren Namen ihm ein Freund in Brescia aufgeschrieben
hatte. Als er Bescheid wußte, konnte weder die zärtliche Sorge der
Witwe um seine Gesundheit, noch die rote Schleife, die Marietta in ihr
Haar gesteckt hatte, ihn zu längerem Verweilen bewegen, und während
sich die gute Frau sonst bemüht hatte, den Verkehr ihrer Mietsleute mit
ihrer Tochter möglichst zu verhindern, war es ihr jetzt fast unheimlich,
daß der Fremde das liebe Geschöpf, ihren Augapfel, hartnäckig übersah.
Sein ergrautes Haar erklärte ihr diese seltsame Blindheit nicht
genügend. Er mußte einen geheimen Kummer haben oder sich so krank
fühlen, daß ihm der Anblick eines frischen Lebens wehe tat. Dennoch
ging er straff und rasch, und seine Brust war breit und gewölbt, so daß
die Krankheit, von der er sprach, tief im Innern ihren Sitz haben mußte.
Auch seine Gesichtsfarbe war nicht verdächtig. Wie er die Straßen
Venedigs durchschritt, zog er den wohlgefälligen Blick manch eines
Frauenauges auf sich, und auch Marietta sah ihm aus einem der oberen
Fenster nicht ohne Anteil nach.
Er aber ging in sich gekehrt seinen Geschäften nach, und obgleich er
sich bei Frau Giovanna umständlich nach dem Weg erkundigt hatte und
endlich über seine Ortsunkenntnis durch das Sprüchlein: "Mit Fragen
kommt man bis Rom" von ihr getröstet worden war, schien er doch
jetzt ohne alle Hilfe sich in dem Netz der Gassen und Kanäle
zurechtzufinden. Mehrere Stunden vergingen ihm mit Besuchen bei
Advokaten, die aber auf seine Empfehlung von einem Kollegen aus
Brescia wenig Gewicht legten und denen er, so bescheiden er auftrat,
verdächtig vorkommen mochte. Denn allerdings war ein gewisser Stolz
in der Falte seiner Stirn, der einem schärferen Beobachter sagte, daß er
die Arbeit, die er suchte, eigentlich unter seiner Würde hielt. Zuletzt
kam er zu einem Notar, der in einem Seitengäßchen der Merceria
wohnte und allerlei Winkelgeschäfte nebenbei zu treiben schien. Hier
fand er mit einem sehr mäßigen Gehalt eine Stelle als Schreiber,
vorläufig zum Versuch, und die hastige Art, wie er zugriff, brachte den
Mann zu dem Verdacht, er habe es etwa mit einem verarmten Nobile zu
tun, deren mancher, nur um das Leben zu fristen, sich zu jeder Arbeit
willig finden ließ, ohne um ihren Preis zu handeln.
Andrea jedoch war augenscheinlich mit dem Erfolg seiner
Bemühungen sehr zufrieden und trat, da es inzwischen Mittag
geworden war, in die nächste Schenke, wo er Leute aus den unteren
Klassen an langen ungedeckten Tischen sitzen sah, die ihre sehr
einfache Kost mit einem Glas trüben Weins würzten. Er nahm seinen
Platz in einem Winkel nahe der Tür und aß die etwas ranzigen Fische
ohne Murren, während er freilich den Wein, nachdem er ihn gekostet
hatte, verschmähte. Er war schon im Begriff, nach der Zeche zu fragen,
als er sich von seinem Nachbar höflich anreden hörte. Der Mann, den
er bisher ganz übersehen hatte, saß schon lange vor seiner halben
Flasche Wein, aß nichts, trank nur dann und wann einen Schluck,
wobei er jedesmal den Mund ein wenig verzog; während er aber
scheinbar vor Müdigkeit die Augen halb geschlossen hielt, wanderten
seine scharfen Blicke durch die ganze düsterliche
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