An heiligen Wassern | Page 5

Jakob Christoph Heer
die Luft beim Sturz nicht so sausen w��rde, so k?nnten wir da ruhig zusehen, Eis und Schnee st��rzen in die Schlucht, die ist ja gro?. Aber es ist wegen der heligen Wasser!?
Vroni war unbek��mmert um den Bruder, der ihr alles mit gro?en Worten vortrug, aufgestanden, er folgte, in einer halben Stunde hatten sie den Stutz, die Schlucht und die Wei?en Bretter hinter sich, vor ihnen lag auf dem sanften Oval des ebenen Thalhintergrundes ihr Heimatdorf, St. Peter, das rings von hohen Bergen ums?umt ist.
Einen Augenblick schauten die Geschwister, die das letzte Wegst��ck schweigend zur��ckgelegt hatten, ��ber die wei?en Windungen des Str??chens am Stutz hinab und nach dem Teufelsgarten zur��ck. ?Lug' dort, Bini!? rief Josi. Das wilde Kind hatte sich hinter der Kapelle auf das Maultier geschwungen und sprengte nun, eben noch unterscheidbar, wie ein fliegender Schatten ��ber die schmalen Matten des Thales gegen Tremis hinab. Vroni sah es wohl, wie sich das treuherzige Gesicht Josis verkl?rte, als er noch einen Schein der Gestalt erhaschen konnte.
Ueber ihr frohm��tiges Antlitz flog ein Schatten.
?Du, Josi, was der Kaplan Johannes gethan hat, das ist schrecklich. Er hat dir und Binia den b?sen Segen gegeben. Jetzt, wenn ihr auch wolltet, k?nnten du und Binia nie ein Paar werden.?
Josi lachte trocken.
?Er ist kein Gottesmann,? fuhr Vroni fort, ?er ist ein Teufelsmann. Die Mutter sagt's. Er ist nur ein davongelaufener Klostersch��ler, er darf niemand die Beichte abnehmen; die Leute nennen ihn nur Kaplan, weil fr��her, zu Bergwerkszeiten, die Kapelle der Lieben Frau eine Kaplanei gewesen ist.?
Josi hatte das Bed��rfnis zu widersprechen.
?Aber hat er auf den Alpen mit seinen Tr?nken und Spr��chen nicht schon manchmal krankes Vieh gesund gemacht? Denk' nur an die zw?lf St��cke des B?li?lplers. Sie hatten die Klauenseuche und man wollte sie schon t?ten, da segnete sie Johannes und sie wurden in drei Tagen gesund.?
?Ja -- und daf��r starben dem B?li?lpler drei Wochen nachher die beiden sch?nen Kinder, die bis dahin kerngesund gewesen waren; er und seine Frau, die fr��her gl��cklich zusammen lebten, haben jetzt nichts als Zank und Streit, er ist wild ��ber sie, weil sie den letzk?pfigen Pfaffen ohne sein Wissen in den Stall gef��hrt hat, und immer sitzt er zornig und traurig im Wirtshaus.?
?Die Kinder sind vielleicht auch sonst gestorben,? versetzte Josi k��hl. ?Wir lassen den Kaplan nie in unseren Stall, haben wir deswegen weniger Ungl��ck mit dem Vieh als andere Leute? Nein, im ganzen Dorfe haben wir am meisten. Drei Jahre hintereinander haben wir Jungvieh aufgezogen, es wuchs und gedieh auf das sch?nste, aber jedesmal, wenn's bald h?tte verkauft werden k?nnen, ist's umgestanden. Die Loba, die der Vater am Samstag verkauft hat, ist seit vier Jahren das erste St��ck, das geraten ist.?
?Die Loba!? -- Vroni b��ckte sich tiefer unter ihrer Last; die Thr?nen, die sie vergossen hatte, als der H?ndler das sch?ne liebe Rind davongef��hrt hatte, drohten wieder zu kommen. Sie wurde traurig und still.
?Du erz?hlst der Mutter nichts von Kaplan Johannes, gelt, Vroni,? versetzte Josi schmeichelnd, als sie durch die mit gro?en Pflastersteinen besetzte Stra?e von St. Peter schritten. ?Nein, gelt, du sagst nichts!?
?Ei, wie Josi betteln kann.? Das Gesicht Vronis hatte sich gehellt. ?Wenn du dich nie mehr mit dem Kaplan einl?ssest, will ich still sein.?
Sie schritten durch die lose Reihe gebr?unter Holzh?user, St?lle und St?del[2], die das Dorf bilden. Als sie am Gasthaus zum B?ren vorbeikamen, einem alten, massiven Steinbau gegen��ber der Kirche, die sich auf einem Felsenh��gelchen erhebt, ?ffnete sich ein Fenster und eine M?nnerstimme rief: ?Vroni! -- Josi!?
[2] Stadel, schweizerdeutscher Ausdruck f��r Heuschuppen.
?Der Vater!?
Freundlich reichte ihnen der b?rtige Wildheuer ein Glas voll Wein: ?Ihr werdet wohl Durst haben!?
Vroni nippte nur, Josi aber nahm einen tapferen Schluck.
?Sagt der Mutter, es k?nne, bis ich heimkomme, etwas sp?ter werden, als ich gemeint habe, der Presi ist nach Hospel gegangen und ich mu? ihn erwarten.?
So der Vater. Die Kinder verabschiedeten sich, schlugen einen Seitenweg ein, der durch Kartoffel- und Roggen?ckerchen an den sonnigen Hang hin��berf��hrt, wo die Maiens?ssen[3] und Alpweiden der Leute von St. Peter liegen.
[3] Maiens?ssen sind Bergh?user zwischen den D?rfern und den Alpweiden, sie bilden beim sommerlichen Zug der Sennen und des Viehs auf die Hochweiden den Zwischenaufenthalt, wo gew?hnlich im Mai mehrere Wochen geruht wird.
Da stand unter einem Felsblock ihr kleines Haus, auf dessen steinbeschwerten Schindeln eine gro?e Steinbrech bl��hte, jene Blume, von der die Sage der Aelpler behauptet, da? sie nur auf den D?chern wachse, unter denen der Friede wohne. Freundlich schauten die kleinen Fenster, vor denen St?cke roter Geranien prangten, gegen das Dorf.
?Ja, die Wildheuerfr?nzi versteht sich auf Blumen.? So sprach man im Dorf. ?Blumen und Geschichten sind ihr Sonnenschein.?
Ersch?pft lie? Vroni die Kraxe auf die Bank vor dem Felsblock sinken, auch Josi stellte die seine mit einem Ausruf der Erleichterung ab.
Unter der Th��re erschien die Mutter, die Wildheuerfr?nzi, selbst in ihren abgetragenen Kleidern eine h��bsche Frau, von kr?ftigem Wuchs, vollem, ��ppigem dunklem Haar, offenen
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