An anthology of German literature | Page 7

Calvin Thomas
Schärfe, Blutigen Todes stirbt; durch unsere Taten
Soll nichts verwüstet werden." Hinschritt er da zu dem wunden Manne,
4900 Fügte mit Vorsicht das Fleisch zusammen, Die Wunde am Haupte,
dass sofort geheilet ward Des Beiles Biss, und es sprach der
Gottgeborene Zu der wütenden Wehrschar: "Wunder dünket mich
mächtig," sprach er, "Wenn ihr meinem Leben was Leides wolltet tun,
4905 Warum ihr mich nicht fasstet, da ich unter eurem Volke stand, In
dem Weihtume innen und Worte so zahlreich, Wahrhaftige, sagte. Da
war Sonnenschein, Trauliches Tageslicht, da wolltet ihr mir nichts tun
Leides in diesem Lichte, und nun leitet ihr mir eure Leute zu 4910 In

düsterer Nacht, so man Dieben tuet, Wenn man sie fahen will, die
Frevler, die da haben Verwirket ihr Leben." Das Wehrtum der Juden
Ergriff nun den Gottessohn, das grimme Volk, Der Hassenden Haufe,
die Heerschar umdrängte ihn 4915 Der übermütigen Männer, nicht
achteten sie die Missetat, Hefteten mit eisenharten Banden seine Hände
zusammen, Seine Arme mit Fesseln. Nicht war ihm so furchtbare Pein
Zu ertragen Not, Todesqual Zu erdulden, solche Marter; aber für die
Menschheit tat er es, 4920 Weil die Erdgeborenen er wollte erlösen,
Heil entnehmen der Hölle für das Himmelreich, Für die weite Welt des
Wohlseins; deshalb widersprach er auch nicht Dem, was mit trotzigem
Willen sie ihm wollten antun. Da wurde darüber frech das übermütige
Volk der Juden, 4925 Die Heerschar wurde hochmütig, weil sie Kristus
den Heiligen, In leidigen Banden hinleiten konnte, Führen in Fesseln.
Die Feinde schritten wieder Von dem Berge zu der Burg, es ging der
Gottgeborene Unter dem Haufen, an den Händen gebunden, 4930
Trauernd zu Tale.

+VI. THE OLD SAXON GENESIS+
A fragment, or rather several fragments, of a poetic version of Genesis,
contemporary with the Heliand and possibly by the same author. They
were discovered at the Vatican Library in 1894 and comprise in all 337
lines. The translation is by Vetter, Die neuentdeckte deutsche
Bibeldichtung, 1895.
Lines 27-79; The punishment of Cain.
Er wandelte zur Wohnung, gewirkt war die Sünde, Die bittre am
Bruder; er liess ihn am Boden liegen In einem tiefen Tale betäubt im
Blute, Des Lebens ledig; zur Lagerstatt hatte 30 Den Sand der Geselle.
Da sprach Gott selbst jenen an, Der Waltende, mit seinen Worten-- ihm
wallte sein Herz Unmilde dem Mörder-- er fragte ihn, wo er den Mann
hätte, Den blutjungen Bruder. Der Böse drauf sprach-- Er hatte mit
seinen Händen grosse Harmtat 35 Frevelnd gewirkt; die Welt war so
sehr Mit Sünden besudelt:-- "Zu sorgen nicht brauch' ich, Zu wachen,
wohin er wandle, noch wies mich Gott an, Dass ich sein hätte irgend zu

hüten, Zu warten in der Welt." Er wähnte fürwahr, 40 Dass er
verhehlen könne seinem Herren Die Untat und bergen. Ihm gab
Antwort unser Herr: "Ein Werk vollführtest du, des fürder dein Herz
Mag trauern dein Lebtag, das du tatst mit deinen Händen; Des Bruders
Mörder bist du; nun liegt er blutig da, 45 Von Wunden weggerafft, der
doch kein einig Werk dir, Kein schlechtes, beschloss; aber erschlagen
hast du ihn, Hast getan ihm den Tod; zur Erde trieft sein Blut; Die Säfte
entsickern ihm, die Seele entwandelt, Der Geist, wehklagend, nach
Gottes Willen. 50 Es schreit das Blut zum Schöpfer und sagt, wer die
Schandtat getan, Das Meinwerk in diesem Mittelkreis; nicht mag ein
Mann freveln, Mehr unter den Menschen in der Männerwelt Mit bittren
Bosheitswerken, als du an deinem Bruder hast Untat geübt." Da
ängstete sich 55 Kain nach des Herrn Worten; er bekannte wohl zu
wissen, Nie möge vor dem Allmächtigen ein Mann, solang die Welt
steht, Eine Tat vertuschen: "So muss ich darob nun betrübten Sinn
Bergen in meiner Brust, dass ich meinen Bruder schlug Durch meiner
Hände Kraft. Nun weiss ich, dass ich muss unter deinem Hasse leben
60 Fürder, unter deiner Feindschaft, da ich diesen Frevel getan. Nun
mich meine Schandtat schwerer dünkt, Die Missetat mächtiger als die
Milde deines Herzens: So bin ich des nicht würdig, allwaltender Gott,
Dass du die schreckliche Schuld mir vergebest, 65 Von dem Frevel
mich befreiest. Der Frommheit und Treue Vergass mein Herz gegen
deine Heiligkeit; nun weiss ich, dass ich keinen Tag mehr leben kann;
Erschlagen wird mich, wer auf meinem Weg mich findet, Austilgen ob
meiner Untat." Da gab ihm Antwort selber Des Himmels Herrscher:
"Hier sollst du fürder 70 Noch leben in diesem Lande. So leid du allen
bist, So befleckt mit Freveln, doch will ich dir Frieden schaffen, Ein
Zeichen an dir setzen, dass du sicher magst Weilen in dieser Welt, ob
du des auch nicht würdig seist: Flüchtig doch sollst du friedlos für und
für 75 Leben in diesem Lande, solang du dieses Licht schaust;
Verfluchen sollen dich die Frommen, du sollst nicht fürder vor deines
Herrn Antlitz treten, Noch Worte mit ihm wechseln; wallend wird Die
Strafe
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 155
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.