Also Sprach Zarathustra | Page 6

Friedrich Wilhelm Nietzsche
Lebendiger und ein Todter, sagte Zarathustra. Gebt mir zu essen und zu trinken, ich vergass es am Tage. Der, welcher den Hungrigen speiset, erquickt seine eigene Seele: so spricht die Weisheit."
Der Alte gieng fort, kam aber gleich zur��ck und bot Zarathustra Brod und Wein. "Eine b?se Gegend ist's f��r Hungernde, sagte er; darum wohne ich hier. Thier und Mensch kommen zu mir, dem Einsiedler. Aber heisse auch deinen Gef?hrten essen und trinken, er ist m��der als du." Zarathustra antwortete: "Todt ist mein Gef?hrte, ich werde ihn schwerlich dazu ��berreden." "Das geht mich Nichts an, sagte der Alte m��rrisch; wer an meinem Hause anklopft, muss auch nehmen, was ich ihm biete. Esst und gehabt euch wohl!" -
Darauf gieng Zarathustra wieder zwei Stunden und vertraute dem Wege und dem Lichte der Sterne: denn er war ein gewohnter Nachtg?nger und liebte es, allem Schlafenden in's Gesicht zu sehn. Als aber der Morgen graute, fand sich Zarathustra in einem tiefen Walde, und kein Weg zeigte sich ihm mehr. Da legte er den Todten in einen hohlen Baum sich zu H?upten - denn er wollte ihn vor den W?lfen sch��tzen - und sich selber auf den Boden und das Moos. Und alsbald schlief er ein, m��den Leibes, aber mit einer unbewegten Seele.
9.
Lange schlief Zarathustra, und nicht nur die Morgenr?the gieng ��ber sein Antlitz, sondern auch der Vormittag. Endlich aber that sein Auge sich auf: verwundert sah Zarathustra in den Wald und die Stille, verwundert sah er in sich hinein. Dann erhob er sich schnell, wie ein Seefahrer, der mit Einem Male Land sieht, und jauchzte: denn er sah eine neue Wahrheit. Und also redete er dann zu seinem Herzen:
Ein Licht gieng mir auf: Gef?hrten brauche ich und lebendige, - nicht todte Gef?hrten und Leichname, die ich mit mir trage, wohin ich will.
Sondern lebendige Gef?hrten brauche ich, die mir folgen, weil sie sich selber folgen wollen - und dorthin, wo ich will.
Ein Licht gieng mir auf: nicht zum Volke rede Zarathustra, sondern zu Gef?hrten! Nicht soll Zarathustra einer Heerde Hirt und Hund werden!
Viele wegzulocken von der Heerde - dazu kam ich. Z��rnen soll mir Volk und Heerde: R?uber will Zarathustra den Hirten heissen.
Hirten sage ich, aber sie nennen sich die Guten und Gerechten. Hirten sage ich: aber sie nennen sich die Gl?ubigen des rechten Glaubens.
Siehe die Guten und Gerechten! Wen hassen sie am meisten? Den, der zerbricht ihre Tafeln der Werthe, den Brecher, den Verbrecher: - das aber ist der Schaffende.
Siehe die Gl?ubigen aller Glauben! Wen hassen sie am meisten? Den, der zerbricht ihre Tafeln der Werthe, den Brecher, den Verbrecher: - das aber ist der Schaffende.
Gef?hrten sucht der Schaffende und nicht Leichname, und auch nicht Heerden und Gl?ubige. Die Mitschaffenden sucht der Schaffende, Die, welche neue Werthe auf neue Tafeln schreiben.
Gef?hrten sucht der Schaffende, und Miterntende: denn Alles steht bei ihm reif zur Ernte. Aber ihm fehlen die hundert Sicheln: so rauft er ?hren aus und ist ?rgerlich.
Gef?hrten sucht der Schaffende, und solche, die ihre Sicheln zu wetzen wissen. Vernichter wird man sie heissen und Ver?chter des Guten und B?sen. Aber die Erntenden sind es und die Feiernden.
Mitschaffende sucht Zarathustra, Miterntende und Mitfeiernde sucht Zarathustra: was hat er mit Heerden und Hirten und Leichnamen zu schaffen!
Und du, mein erster Gef?hrte, gehab dich wohl! Gut begrub ich dich in deinem hohlen Baume, gut barg ich dich vor den W?lfen.
Aber ich scheide von dir, die Zeit ist um. Zwischen Morgenr?the und Morgenr?the kam mir eine neue Wahrheit.
Nicht Hirt soll ich sein, nicht Todtengr?ber. Nicht reden einmal will ich wieder mit dem Volke; zum letzten Male sprach ich zu einem Todten.
Den Schaffenden, den Erntenden, den Feiernden will ich mich zugesellen: den Regenbogen will ich ihnen zeigen und alle die Treppen des ��bermenschen.
Den Einsiedlern werde ich mein Lied singen und den Zweisiedlern; und wer noch Ohren hat f��r Unerh?rtes, dem will ich sein Herz schwer machen mit meinem Gl��cke.
Zu meinem Ziele will ich, ich gehe meinen Gang; ��ber die Z?gernden und Saumseligen werde ich hinwegspringen. Also sei mein Gang ihr Untergang!
10.
Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne im Mittag stand: da blickte er fragend in die H?he - denn er h?rte ��ber sich den scharfen Ruf eines Vogels. Und siehe! Ein Adler zog in weiten Kreisen durch die Luft, und an ihm hieng eine Schlange, nicht einer Beute gleich, sondern einer Freundin: denn sie hielt sich um seinen Hals geringelt.
"Es sind meine Thiere!" sagte Zarathustra und freute sich von Herzen.
"Das stolzeste Thier unter der Sonne und das kl��gste Thier unter der Sonne - sie sind ausgezogen auf Kundschaft.
Erkunden wollen sie, ob Zarathustra noch lebe. Wahrlich, lebe ich noch?
Gef?hrlicher fand ich's unter Menschen als unter Thieren, gef?hrlicher Wege geht Zarathustra. M?gen mich meine Thiere f��hren!"
Als Zarathustra diess gesagt hatte, gedachte er der Worte des Heiligen im Walde, seufzte und sprach also zu seinem Herzen:
M?chte ich kl��ger sein!
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