Also Sprach Zarathustra | Page 4

Friedrich Wilhelm Nietzsche
sie", sprach er zu seinem Herzen, "da lachen sie: sie verstehen mich nicht, ich bin nicht der Mund f��r diese Ohren.
Muss man ihnen erst die Ohren zerschlagen, dass sie lernen, mit den Augen h?ren. Muss man rasseln gleich Pauken und Busspredigern? Oder glauben sie nur dem Stammelnden?
Sie haben etwas, worauf sie stolz sind. Wie nennen sie es doch, was sie stolz macht? Bildung nennen sie's, es zeichnet sie aus vor den Ziegenhirten.
Drum h?ren sie ungern von sich das Wort `Verachtung`. So will ich denn zu ihrem Stolze reden.
So will ich ihnen vom Ver?chtlichsten sprechen: das aber ist _der_letzteMensch."
Und also sprach Zarathustra zum Volke:
Es ist an der Zeit, dass der Mensch sich sein Ziel stecke. Es ist an der Zeit, dass der Mensch den Keim seiner h?chsten Hoffnung pflanze.
Noch ist sein Boden dazu reich genug. Aber dieser Boden wird einst arm und zahm sein, und kein hoher Baum wird mehr aus ihm wachsen k?nnen.
Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner Sehnsucht ��ber den Menschen hinaus wirft, und die Sehne seines Bogens verlernt hat, zu schwirren!
Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern geb?ren zu k?nnen. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch.
Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch keinen Stern mehr geb?ren wird. Wehe! Es kommt die Weit des ver?chtlichsten Menschen, der sich selber nicht mehr verachten kann.
Seht! Ich zeige euch _den_letztenMenschen.
"Was ist Liebe? Was ist Sch?pfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern" - so fragt der letzte Mensch und blinzelt.
Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr h��pft der letzte Mensch, der Alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar, wie der Erdfloh; der letzte Mensch lebt am l?ngsten.
"Wir haben das Gl��ck erfunden" - sagen die letzten Menschen und blinzeln.
Sie haben den Gegenden verlassen, wo es hart war zu leben: denn man braucht W?rme. Man liebt noch den Nachbar und reibt sich an ihm: denn man braucht W?rme.
Krankwerden und Misstrauen-haben gilt ihnen s��ndhaft: man geht achtsam einher. Ein Thor, der noch ��ber Steine oder Menschen stolpert!
Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Tr?ume. Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben.
Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt dass die Unterhaltung nicht angreife.
Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ist zu beschwerlich. Wer will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich.
Kein Hirt und Eine Heerde! Jeder will das Gleiche, Jeder ist gleich: wer anders f��hlt, geht freiwillig in's Irrenhaus.
"Ehemals war alle Welt irre" - sagen die Feinsten und blinzeln.
Man ist klug und weiss Alles, was geschehn ist: so hat man kein Ende zu spotten. Man zankt sich noch, aber man vers?hnt sich bald - sonst verdirbt es den Magen.
Man hat sein L��stchen f��r den Tag und sein L��stchen f��r die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit.
"Wir haben das Gl��ck erfunden" - sagen die letzten Menschen und blinzeln -
Und hier endete die erste Rede Zarathustra's, welche man auch "die Vorrede" heisst: denn an dieser Stelle unterbrach ihn das Geschrei und die Lust der Menge. "Gieb uns diesen letzten Menschen, oh Zarathustra, - so riefen sie - mache uns zu diesen letzten Menschen! So schenken wir dir den ��bermenschen!" Und alles Volk jubelte und schnalzte mit der Zunge. Zarathustra aber wurde traurig und sagte zu seinem Herzen:
Sie verstehen mich nicht: ich bin nicht den Mund f��r diese Ohren.
Zu lange wohl lebte ich im Gebirge, zu viel horchte ich auf B?che und B?ume: nun rede ich ihnen gleich den Ziegenhirten.
Unbewegt ist meine Seele und hell wie das Gebirge am Vormittag. Aber sie meinen, ich sei kalt und ein Sp?tter in furchtbaren Sp?ssen.
Und nun blicken sie mich an und lachen: und indem sie lachen, hassen sie mich noch. Es ist Eis in ihrem Lachen.
6.
Da aber geschah Etwas, das jeden Mund stumm und jedes Auge starr machte. Inzwischen n?mlich hatte der Seilt?nzer sein Werk begonnen: er war aus einer kleiner Th��r hinausgetreten und gieng ��ber das Seil, welches zwischen zwei Th��rmen gespannt war, also, dass es ��ber dem Markte und dem Volke hieng. Als er eben in der Mitte seines Weges war, ?ffnete sich die kleine Th��r noch einmal, und ein bunter Gesell, einem Possenreisser gleich, sprang heraus und gieng mit schnellen Schritten dem Ersten nach. "Vorw?rts, Lahmfuss, rief seine f��rchterliche Stimme, vorw?rts Faulthier, Schleichh?ndler, Bleichgesicht! Dass ich dich nicht mit meiner Ferse kitzle! Was treibst du hier zwischen Th��rmen? In den Thurm geh?rst du, einsperren sollte man dich, einem Bessern, als du bist, sperrst du die freie Bahn!" - Und mit jedem Worte kam er ihm n?her und n?her: als er aber nur noch einen Schritt hinter ihm war, da geschah das Erschreckliche, das jeden Mund stumm und jedes Auge starr machte: - er stiess ein Geschrei aus wie ein Teufel und sprang ��ber Den hinweg, der ihm im Wege war.
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