Alices Abenteuer im Wonderland | Page 6

Lewis Carroll
sprang hoch auf aus
dem Wasser, und schien vor Angst am ganzen Leibe zu beben. »O, ich
bitte um Verzeihung!« rief Alice schnell, erschrocken, daß sie das arme
Thier verletzt habe. »Ich hatte ganz vergessen, daß Sie Katzen nicht

mögen.«
»Katzen nicht mögen!« schrie die Maus mit kreischender, wüthender
Stimme. »Würdest du Katzen mögen, wenn du in meiner Stelle
wärest?«
[Illustration]
»Nein, wohl kaum,« sagte Alice in zuredendem Tone: »sei nicht mehr
böse darüber. Und doch möchte ich dir unsere Katze Dinah zeigen
können. Ich glaube, du würdest Geschmack für Katzen bekommen,
wenn du sie nur sehen könntest. Sie ist ein so liebes ruhiges Thier,«
sprach Alice fort, halb zu sich selbst, wie sie gemüthlich im Pfuhle
daherschwamm; »sie sitzt und spinnt so nett beim Feuer, leckt sich die
Pfoten und wäscht sich das Schnäuzchen -- und sie ist so hübsch weich
auf dem Schoß zu haben -- und sie ist solch famoser Mäusefänger -- oh,
ich bitte um Verzeihung!« sagte Alice wieder, den diesmal sträubte sich
das ganze Fell der armen Maus, und Alice dachte, sie müßte sicherlich
sehr beleidigt sein. »Wir wollen nicht mehr davon reden, wenn du es
nicht gern hast.«
»Wir, wirklich!« entgegnete die Maus, die bis zur Schwanzspitze
zitterte. »Als ob ich je über solchen Gegenstand spräche! Unsere
Familie hat von jeher Katzen verabscheut: häßliche, niedrige, gemeine
Dinger! Laß mich ihren Namen nicht wieder hören!«
»Nein, gewiß nicht!« sagte Alice, eifrig bemüht, einen andern
Gegenstand der Unterhaltung zu suchen. »Magst du -- magst du gern
Hunde?« Die Maus antwortete nicht, daher fuhr Alice eifrig fort: »Es
wohnt ein so reizender kleiner Hund nicht weit von unserm Hause. Den
möchte ich dir zeigen können! Ein kleiner klaräugiger Wachtelhund,
weißt du, ach, mit solch krausem braunen Fell! Und er apportirt Alles,
was man ihm hinwirft, und er kann aufrecht stehen und um sein Essen
betteln, und so viel Kunststücke -- ich kann mich kaum auf die Hälfte
besinnen -- und er gehört einem Amtmann, weißt du, und er sagt, er ist
so nützlich, er ist ihm hundert Pfund werth! Er sagt, er vertilgt alle
Ratten und -- oh wie dumm!« sagte Alice in reumüthigem Tone. »Ich
fürchte, ich habe ihr wieder weh gethan!« Denn die Maus schwamm so

schnell sie konnte von ihr fort und brachte den Pfuhl dadurch in
förmliche Bewegung.
Sie rief ihr daher zärtlich nach: »Liebes Mäuschen! Komm wieder
zurück, und wir wollen weder von Katzen noch von Hunden reden,
wenn du sie nicht gern hast!« Als die Maus das hörte, wandte sie sich
um und schwamm langsam zu ihr zurück; ihr Gesicht war ganz blaß
(vor Aerger, dachte Alice), und sie sagte mit leiser, zitternder Stimme:
»Komm mit mir an's Ufer, da will ich dir meine Geschichte erzählen;
dann wirst du begreifen, warum ich Katzen und Hunde nicht leiden
kann.«
Es war hohe Zeit sich fortzumachen; denn der Pfuhl begann von allerlei
Vögeln und Gethier zu wimmeln, die hinein gefallen waren: da war
eine Ente und ein Dodo, ein rother Papagei und ein junger Adler, und
mehre andere merkwürdige Geschöpfe. Alice führte sie an, und die
ganze Gesellschaft schwamm an's Ufer.

[Illustration]

Drittes Kapitel.
Caucus-Rennen und was daraus wird.
Es war in der That eine wunderliche Gesellschaft, die sich am Strande
versammelte -- die Vögel mit triefenden Federn, die übrigen Thiere mit
fest anliegendem Fell, Alle durch und durch naß, verstimmt und
unbehaglich. --
Die erste Frage war, wie sie sich trocknen könnten: es wurde eine
Berathung darüber gehalten, und nach wenigen Minuten kam es Alice
ganz natürlich vor, vertraulich mit ihnen zu schwatzen, als ob sie sie ihr
ganzes Leben gekannt hätte. Sie hatte sogar eine lange
Auseinandersetzung mit dem Papagei, der zuletzt brummig wurde und
nur noch sagte: »ich bin älter als du und muß es besser wissen;« dies

wollte Alice nicht zugeben und fragte nach seinem Alter, und da der
Papagei es durchaus nicht sagen wollte, so blieb die Sache
unentschieden.
Endlich rief die Maus, welche eine Person von Gewicht unter ihnen zu
sein schien: »Setzt euch, ihr Alle, und hört mir zu! ich will euch bald
genug trocken machen!« Alle setzten sich sogleich in einen großen
Kreis nieder, die Maus in der Mitte. Alice hatte die Augen
erwartungsvoll auf sie gerichtet, denn sie war überzeugt, sie werde sich
entsetzlich erkälten, wenn sie nicht sehr bald trocken würde.
»Hm!« sagte die Maus mit wichtiger Miene, »seid ihr Alle so weit? Es
ist das Trockenste, worauf ich mich besinnen kann. Alle still, wenn ich
bitten darf! -- Wilhelm der Eroberer, dessen Ansprüche vom Papste
begünstigt wurden, fand bald Anhang unter den Engländern, die einen
Anführer brauchten, und die in jener Zeit sehr an Usurpation und
Eroberungen gewöhnt waren. Edwin und Morcar, Grafen von Mercia
und Northumbria --«
»Oooh!« gähnte der Papagei und schüttelte sich.
»Bitte um Verzeihung!« sprach die Maus mit gerunzelter
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