Ãœber Psychoanalyse | Page 7

Sigmund Freud
zusammenzuhalten, und daher
komme die Neigung zur seelischen Dissoziation. Wenn Sie mir ein
banales aber deutliches Gleichnis gestatten, Janets Hysterische erinnert
an eine schwache Frau, die ausgegangen ist, um Einkäufe zu machen,
und nun mit einer Menge von Schachteln und Paketen beladen
zurückkommt. Sie kann den ganzen Haufen mit ihren zwei Armen und
zehn Fingern nicht bewältigen, und so entfällt ihr zuerst ein Stück.
Bückt sie sich, um dieses aufzuheben, so macht sich dafür ein anderes
los u. s. w. Es stimmt nicht gut zu dieser angenommenen seelischen
Schwäche der Hysterischen, daß man bei ihnen außer den
Erscheinungen verminderter Leistung auch Beispiele von teilweiser
Steigerung der Leistungsfähigkeit, wie zur Entschädigung, beobachten
kann. Zur Zeit, als Breuers Patientin ihre Muttersprache und alle
anderen Sprachen bis auf Englisch vergessen hatte, erreichte ihre
Beherrschung des Englischen eine solche Höhe, daß sie im stande war,
wenn man ihr ein deutsches Buch vorlegte, eine tadellose und fließende
Übersetzung desselben vom Blatt herunterzulesen.
Als ich es später unternahm, die von Breuer begonnenen
Untersuchungen auf eigene Faust fortzusetzen, gelangte ich bald zu
einer anderen Ansicht über die Entstehung der hysterischen
Dissoziation (oder Bewußtseinsspaltung). Eine solche, für alles weitere
entscheidende, Divergenz mußte sich notwendigerweise ergeben, da ich
nicht wie Janet von Laboratoriumsversuchen, sondern von
therapeutischen Bemühungen ausging.
Mich trieb vor allem das praktische Bedürfnis. Die kathartische
Behandlung, wie sie Breuer geübt hatte, setzte voraus, daß man den
Kranken in tiefe Hypnose bringe, denn nur im hypnotischen Zustand

fand er die Kenntnis jener pathogenen Zusammenhänge, die ihm in
seinem Normalzustand abging. Nun war mir die Hypnose als ein
launenhaftes und sozusagen mystisches Hilfsmittel bald unliebsam
geworden; als ich aber die Erfahrung machte, daß es mir trotz aller
Bemühungen nicht gelingen wollte, mehr als einen Bruchteil meiner
Kranken in den hypnotischen Zustand zu versetzen, beschloß ich, die
Hypnose aufzugeben und die kathartische Behandlung von ihr
unabhängig zu machen. Weil ich den psychischen Zustand meiner
meisten Patienten nicht nach meinem Belieben verändern konnte,
richtete ich mich darauf ein, mit ihrem Normalzustand zu arbeiten. Das
schien allerdings vorerst ein sinn- und aussichtsloses Unternehmen zu
sein. Es war die Aufgabe gestellt, etwas vom Kranken zu erfahren, was
man nicht wußte und was er selbst nicht wußte; wie konnte man hoffen,
dies doch in Erfahrung zu bringen? Da kam mir die Erinnerung an
einen sehr merkwürdigen und lehrreichen Versuch zu Hilfe, den ich bei
Bernheim in Nancy mitangesehen hatte. Bernheim zeigte uns damals,
daß die Personen, welche er in hypnotischen Somnambulismus versetzt
und in diesem Zustand allerlei hatte erleben lassen, die Erinnerung an
das somnambul Erlebte doch nur zum Schein verloren hatten, und daß
es möglich war, bei ihnen diese Erinnerungen auch im Normalzustand
zu erwecken. Wenn er sie nach den somnambulen Erlebnissen befragte,
so behaupteten sie anfangs zwar, nichts zu wissen, aber wenn er nicht
nachgab, drängte, ihnen versicherte, sie wüßten es doch, so kamen die
vergessenen Erinnerungen jedesmal wieder.
So machte ich es also auch mit meinen Patienten. Wenn ich mit ihnen
bis zu einem Punkte gekommen war, an dem sie behaupteten, nichts
weiter zu wissen, so versicherte ich ihnen, sie wüßten es doch, sie
sollten es nur sagen, und ich getraute mich der Behauptung, daß die
Erinnerung die richtige sein würde, die ihnen in dem Moment käme,
wenn ich meine Hand auf ihre Stirn legte. Auf diese Weise gelang es
mir, ohne Anwendung der Hypnose, von den Kranken alles zu erfahren,
was zur Herstellung des Zusammenhangs zwischen den vergessenen
pathogenen Szenen und den von ihnen erübrigten Symptomen
erforderlich war. Aber es war ein mühseliges, ein auf die Dauer
erschöpfendes Verfahren, das sich für eine endgültige Technik, nicht
eignen konnte.

Ich gab es jedoch nicht auf, ohne aus den dabei gemachten
Wahrnehmungen die entscheidenden Schlüsse zu ziehen. Ich hatte es
also bestätigt gefunden, daß die vergessenen Erinnerungen nicht
verloren waren. Sie waren im Besitze des Kranken und bereit, in
Assoziation an das von ihm noch Gewußte aufzutauchen, aber irgend
eine Kraft hinderte sie daran, bewußt zu werden und nötigte sie,
unbewußt zu bleiben. Die Existenz dieser Kraft konnte man mit
Sicherheit annehmen, denn man verspürte eine ihr entsprechende
Anstrengung, wenn man sich bemühte, im Gegensatz zu ihr die
unbewußten Erinnerungen ins Bewußtsein des Kranken einzuführen.
Man bekam die Kraft, welche den krankhaften Zustand aufrecht erhielt,
als Widerstand des Kranken zu spüren.
Auf diese Idee des Widerstandes habe ich nun meine Auffassung der
psychischen Vorgänge bei der Hysterie gegründet. Es hatte sich als
notwendig zur Herstellung erwiesen, diese Widerstände aufzuheben;
vom Mechanismus der Heilung aus konnte man sich jetzt ganz
bestimmte Vorstellungen über den Hergang bei der Erkrankung bilden.
Dieselben Kräfte, die heute als Widerstand sich dem Bewußtmachen
des Vergessenen widersetzten, mußten seinerzeit dieses Vergessen
bewirkt und die betreffenden pathogenen Erlebnisse aus dem
Bewußtsein gedrängt haben. Ich nannte diesen von mir supponierten
Vorgang Verdrängung und betrachtete ihn als erwiesen durch die
unleugbare Existenz des Widerstandes.
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