Ãœber Psychoanalyse | Page 4

Sigmund Freud
als Reste, als
Niederschläge, wenn Sie wollen, von affektvollen Erlebnissen, die wir
darum später »psychische Traumen« genannt haben, und ihre
Besonderheit klärte sich durch die Beziehung zu der sie verursachenden
traumatischen Szene auf. Sie waren, wie das Kunstwort lautet, durch
die Szenen, deren Gedächtnisreste sie darstellten, determiniert,
brauchten nicht mehr als willkürliche oder rätselhafte Leistungen der
Neurose beschrieben zu werden. Nur einer Abweichung von der
Erwartung sei gedacht. Es war nicht immer ein einziges Erlebnis,
welches das Symptom zurückließ, sondern meist waren zahlreiche, oft
sehr viele ähnliche, wiederholte Traumen zu dieser Wirkung

zusammengetreten. Diese ganze Kette von pathogenen Erinnerungen
mußte dann in chronologischer Reihenfolge reproduziert werden, und
zwar umgekehrt, die letzte zuerst und die erste zuletzt, und es war ganz
unmöglich, zum ersten und oft wirksamsten Trauma mit Überspringung
der später erfolgten vorzudringen.
Sie werden nun gewiß noch andere Beispiele von Verursachung
hysterischer Symptome als das der Wasserscheu durch den Ekel vor
dem aus dem Glas trinkenden Hund von mir hören wollen. Ich muß
mich aber, wenn ich mein Programm einhalten will, auf sehr wenige
Proben beschränken. So erzählt Breuer, daß ihre Sehstörungen sich auf
Anlässe zurückführten »in der Art, daß Patientin mit Tränen im Auge,
am Krankenbett sitzend, plötzlich vom Vater gefragt wurde, wieviel
Uhr es sei, undeutlich sah, sich anstrengte, die Uhr nahe ans Auge
brachte und nun das Zifferblatt sehr groß erschien (Makropsie und
Strabismus conv.); oder Anstrengungen machte, die Tränen zu
unterdrücken, damit sie der Kranke nicht sehe«.[5] Alle pathogenen
Eindrücke stammten übrigens aus der Zeit, da sie sich an der Pflege des
erkrankten Vaters beteiligte. »Einmal wachte sie nachts in großer Angst
um den hochfiebernden Kranken und in Spannung, weil von Wien ein
Chirurg zur Operation erwartet wurde. Die Mutter hatte sich für einige
Zeit entfernt, und Anna saß am Krankenbette, den rechten Arm über die
Stuhllehne gelegt. Sie geriet in einen Zustand von Wachträumen und
sah, wie von der Wand her eine schwarze Schlange sich dem Kranken
näherte, um ihn zu beißen. (Es ist sehr wahrscheinlich, daß auf der
Wiese hinter dem Hause wirklich einige Schlangen vorkamen, über die
das Mädchen schon früher erschrocken war, und die nun das Material
der Halluzination abgaben.) Sie wollte das Tier abwehren, war aber wie
gelähmt; der rechte Arm, über die Stuhllehne hängend, war
'eingeschlafen', anästhetisch und paretisch geworden, und als sie ihn
betrachtete, verwandelten sich die Finger in kleine Schlangen mit
Totenköpfen (Nägel). Wahrscheinlich machte sie Versuche, die
Schlange mit der gelähmten rechten Hand zu verjagen, und dadurch trat
die Anästhesie und Lähmung derselben in Assoziation mit der
Schlangenhalluzination. Als diese verschwunden war, wollte sie in
ihrer Angst beten, aber jede Sprache versagte, sie konnte in keiner
sprechen, bis sie endlich einen englischen Kindervers fand und nun

auch in dieser Sprache fortdenken und beten konnte.«[6] Mit der
Erinnerung dieser Szene in der Hypnose war auch die seit Beginn der
Krankheit bestehende steife Lähmung des rechten Armes beseitigt und
die Behandlung beendigt.
[5] Studien über Hysterie, 2. Aufl., p. 31.
[6] l. c. p. 30.
Als ich eine Anzahl von Jahren später die Breuersche Untersuchungs-
und Behandlungsmethode an meinen eigenen Kranken zu üben begann,
machte ich Erfahrungen, die sich mit den seinigen vollkommen deckten.
Bei einer etwa 40jährigen Dame bestand ein Tic, ein eigentümlich
schnalzendes Geräusch, das sie bei jeder Aufregung und auch ohne
ersichtlichen Anlaß hervorbrachte. Es hatte seinen Ursprung in zwei
Erlebnissen, denen gemeinsam war, daß sie sich vornahm, jetzt ja
keinen Lärm zu machen, und bei denen wie durch eine Art von
Gegenwillen gerade dieses Geräusch die Stille durchbrach; das eine
Mal, als sie ihr krankes Kind endlich mühselig eingeschläfert hatte und
sich sagte, sie müsse jetzt ganz still sein, um es nicht zu wecken, und
das andere Mal, als während einer Wagenfahrt mit ihren beiden
Kindern im Gewitter die Pferde scheu wurden, und sie sorgfältig jeden
Lärm vermeiden wollte, um die Tiere nicht noch mehr zu schrecken.[7]
Ich gebe dieses Beispiel anstatt vieler anderer, die in den »Studien über
Hysterie« niedergelegt sind.[8]
[7] l. c. 2. Aufl., p. 43 u. 46.
[8] Eine Auswahl aus diesem Buche, vermehrt durch einige spätere
Abhandlungen über Hysterie, liegt gegenwärtig in einer englischen,
von Dr. A. A. Brill in New York besorgten Übersetzung vor.
Meine Damen und Herren, wenn Sie mir die Verallgemeinerung
gestatten, die ja bei so abgekürzter Darstellung unvermeidlich ist, so
können wir unsere bisherige Erkenntnis in die Formel fassen: Unsere
hysterisch Kranken leiden an Reminiszenzen. Ihre Symptome sind
Reste und Erinnerungssymbole für gewisse (traumatische) Erlebnisse.
Ein Vergleich mit anderen Erinnerungssymbolen auf anderen Gebieten

wird uns vielleicht tiefer in das Verständnis dieser Symbolik führen.
Auch die Denkmäler und Monumente, mit denen wir unsere großen
Städte zieren, sind solche Erinnerungssymbole. Wenn Sie einen
Spaziergang durch London machen, so finden Sie vor einem der
größten Bahnhöfe der Stadt eine reichverzierte gotische Säule, das
Charing Cross. Einer der alten Plantagenetkönige im XIII.
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