zwischen zwei Straßenscenen aus dem Jahre 1848,
ein echter alter Dürer'scher Kupferstich: Melancholia!
Wir beendigen die Kalalogisierung. Dreißig Jahre hatte der während
dieser dreißig Jahre fest an seine Offizin gebundene Apotheker Philipp
Kristeller gebraucht, um seine Bildergalerie zusammenzubringen; es
war ihm also gar nicht zu verdenken, wenn er auf seine Galerie hielt,
auf seine Kunstliebhaberei und seinen Geschmack sich etwas zu gute
that. Sein Hinterstübchen war wohl geziert, und er hatte außerdem noch
einiges andere, worauf er sich etwas zu gute thun durfte.
Wenden wir jetzt unsere Aufmerksamkeit auf den Mann am Tische. Er
mochte ein Alter zwischen den fünfziger und sechziger Jahren erreicht
haben, war von Leibesbeschaffenheit mehr hager als dick, von Farbe
mehr gelb und grau als rot und braun und von Statur mittlerer Größe.
Er trug einen grauen Schlafrock, niedergetretene, dunkelrote Pantoffeln
und auf dem silbergrauen, schlichten Haar eine dunkelgrüne Hauskappe
mit abgegriffener Goldstickerei, einen Kranz von Eicheln und
Eichenblättern darstellend. Er rauchte aus einer langen Pfeife, auf deren
Kopf ein Maikäfer gemalt war, und stützte nachdenklich die Stirn mit
der Hand, den Blick auf den großen, leeren, bequemen Lehnstuhl ihm
gegenüber gerichtet.
Zum ersten Male blickte er empor, als die Thür, welche aus dem
Hinterzimmer nicht in die Offizin, sondern auf die Hausflur führte,
leise geöffnet wurde, und ein alter Frauenzimmerkopf sich hineinschob:
»Aber Bruder, welch ein Wetter!«
»Freilich ein bewegtes Wetter, liebe Schwester.«
Ob die alte Dame die Antwort noch vernommen hatte, muß zweifelhaft
bleiben, denn sie hatte die Thür eben so rasch und leise, wie sie
dieselbe geöffnet hatte, wieder zugezogen.
»Ein vernehmbar bewegtes Wetter, in der That,« murmelte der
Apotheker »zum wilden Mann« lächelnd und nach dem bestürmten
Fenster horchend. In demselben Moment klang die Glocke der
Hausthür, und es wurde an das Schiebfenster der Offizin gepocht. Herr
Philipp Kristeller erhob sich, stellte die Pfeife an den Stuhl und ging
gebückt in seine Werkstatt. Kopfschüttelnd kam er nach einer
viertelstündigen Arbeit im Berufe zurück; die Hausthürglocke erklang
von neuem, und eiligen Laufes entfernte sich jemand, durch die
Wasserlachen der Landstraße dem Dorfe zuplatschend, ohne im
geringsten auf seinen Weg Obacht zu haben.
Kopfschüttelnd nahm der Alte seinen Sitz wieder ein, zündete seine
Pfeife von neuem an und sagte:
»Eine ungesunde Jahreszeit -- ein Apothekerherbst. -- Gute Kasse, aber
doch ein schlechtes Geschäft.«
Er seufzte dabei, und das Wort wie der Seufzer zeugten unstreitig von
einem guten Herzen.
Nun saß er wieder einige Minuten, bis er plötzlich zusammenschrak:
»Mein Gott -- ja aber -- ist es denn so?!«
Er erhob sich von neuem hastig, schritt diesmal eilig in die Offizin,
schloß ein Stehpult am Fenster auf, nahm ein Buch hervor und blätterte
darin. Seine Finger zitterten, seine Lippen zuckten, er sah sich mehrere
Male wie zweifelnd in dem aromatisch durchdufteten Raum um: es war
kein Zweifel, jede Büchse und jedes Glasgefäß, mit oder ohne
Totenkopf, befand sich noch auf seinem Platze. Der Apotheker
Kristeller schloß das Buch, legte die Hand darauf und rief:
»Es ist wahrhaftig so! Es ist richtig; heute ist der Tag oder vielmehr der
Abend. Es sind dreißig Jahre auf die Stunde -- ein Jubiläum -- und ich
hatte das vollständig, vollständig vergessen. Dorothea, Dorothea!«
»Lieber Bruder?« klang es draußen schrill.
Der Alte schritt in seiner Aufregung fünf Minuten lang auf und ab;
dann war seine Geduld zu Ende. Er öffnete die Thür:
»Dorette, Dorette!«
»Was giebt es denn, Philipp?« ertönte es aus der Ferne. »Ich höre den
Wind wohl; aber was kann man dagegen thun, -- Thür und Fenster sind
verwahrt, und das Übrige steht in Gottes Hand.«
»Ei, ei,« murmelte Herr Philipp und rief dann: »Es handelt sich nicht
um Wind und Wetter. Komm doch einmal einen Augenblick herein,
Dorothea!«
Es dauerte noch verschiedene Augenblicke, ehe das möglich war; aber
zuletzt geschah es doch. Da war das Altjungfergesicht wieder und jetzt
die ganze übrige Figur und zwar mit einem über jeden höflichen
Zweifel erhabenen Buckel zwischen den Schultern.
»Wir haben es augenblicklich ziemlich eilig in der Küche, lieber
Philipp. Wünschest du etwas, bester Bruder?«
»Nein; aber heute vor dreißig Jahren um diese Stunde verkaufte ich in
diesem Hause für den ersten Groschen Wundspiritus. Den Altvater
Zimmermann -- Gott habe ihn selig! -- hatte der Gaul an die Hüfte
geschlagen. Ich habe es mir notirt vor dreißig Jahren, und ich hatte es
gänzlich vergessen -- dem Lehnstuhle dort zum Trotz!«
»O du meine Güte!« rief das alte Fräulein und verschwand nach
einigem, wie es schien, ratlosen Zögern, schlug dann aber die Thür um
so heftiger hinter sich zu. Schon auf dem Hausflur wußte Fräulein
Dorette Kristeller ganz genau, was sie zu thun habe, und man hatte für
den ferneren Abend es noch um ein Bedeutendes eiliger in der Küche
der Apotheke »zum wilden Mann«.
Zweites Kapitel.
Trotz aller geistigen Aufregung mußte der Apotheker Philipp Kristeller
einen erstaunten Blick für die Pforte, durch
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