Zum wilden Mann | Page 3

Wilhelm Raabe
gebundene Apotheker Philipp Kristeller gebraucht, um seine Bildergalerie zusammenzubringen; es war ihm also gar nicht zu verdenken, wenn er auf seine Galerie hielt, auf seine Kunstliebhaberei und seinen Geschmack sich etwas zu gute that. Sein Hinterst��bchen war wohl geziert, und er hatte au?erdem noch einiges andere, worauf er sich etwas zu gute thun durfte.
Wenden wir jetzt unsere Aufmerksamkeit auf den Mann am Tische. Er mochte ein Alter zwischen den f��nfziger und sechziger Jahren erreicht haben, war von Leibesbeschaffenheit mehr hager als dick, von Farbe mehr gelb und grau als rot und braun und von Statur mittlerer Gr??e. Er trug einen grauen Schlafrock, niedergetretene, dunkelrote Pantoffeln und auf dem silbergrauen, schlichten Haar eine dunkelgr��ne Hauskappe mit abgegriffener Goldstickerei, einen Kranz von Eicheln und Eichenbl?ttern darstellend. Er rauchte aus einer langen Pfeife, auf deren Kopf ein Maik?fer gemalt war, und st��tzte nachdenklich die Stirn mit der Hand, den Blick auf den gro?en, leeren, bequemen Lehnstuhl ihm gegen��ber gerichtet.
Zum ersten Male blickte er empor, als die Th��r, welche aus dem Hinterzimmer nicht in die Offizin, sondern auf die Hausflur f��hrte, leise ge?ffnet wurde, und ein alter Frauenzimmerkopf sich hineinschob:
?Aber Bruder, welch ein Wetter!?
?Freilich ein bewegtes Wetter, liebe Schwester.?
Ob die alte Dame die Antwort noch vernommen hatte, mu? zweifelhaft bleiben, denn sie hatte die Th��r eben so rasch und leise, wie sie dieselbe ge?ffnet hatte, wieder zugezogen.
?Ein vernehmbar bewegtes Wetter, in der That,? murmelte der Apotheker ?zum wilden Mann? l?chelnd und nach dem best��rmten Fenster horchend. In demselben Moment klang die Glocke der Hausth��r, und es wurde an das Schiebfenster der Offizin gepocht. Herr Philipp Kristeller erhob sich, stellte die Pfeife an den Stuhl und ging geb��ckt in seine Werkstatt. Kopfsch��ttelnd kam er nach einer viertelst��ndigen Arbeit im Berufe zur��ck; die Hausth��rglocke erklang von neuem, und eiligen Laufes entfernte sich jemand, durch die Wasserlachen der Landstra?e dem Dorfe zuplatschend, ohne im geringsten auf seinen Weg Obacht zu haben.
Kopfsch��ttelnd nahm der Alte seinen Sitz wieder ein, z��ndete seine Pfeife von neuem an und sagte:
?Eine ungesunde Jahreszeit -- ein Apothekerherbst. -- Gute Kasse, aber doch ein schlechtes Gesch?ft.?
Er seufzte dabei, und das Wort wie der Seufzer zeugten unstreitig von einem guten Herzen.
Nun sa? er wieder einige Minuten, bis er pl?tzlich zusammenschrak:
?Mein Gott -- ja aber -- ist es denn so?!?
Er erhob sich von neuem hastig, schritt diesmal eilig in die Offizin, schlo? ein Stehpult am Fenster auf, nahm ein Buch hervor und bl?tterte darin. Seine Finger zitterten, seine Lippen zuckten, er sah sich mehrere Male wie zweifelnd in dem aromatisch durchdufteten Raum um: es war kein Zweifel, jede B��chse und jedes Glasgef??, mit oder ohne Totenkopf, befand sich noch auf seinem Platze. Der Apotheker Kristeller schlo? das Buch, legte die Hand darauf und rief:
?Es ist wahrhaftig so! Es ist richtig; heute ist der Tag oder vielmehr der Abend. Es sind drei?ig Jahre auf die Stunde -- ein Jubil?um -- und ich hatte das vollst?ndig, vollst?ndig vergessen. Dorothea, Dorothea!?
?Lieber Bruder?? klang es drau?en schrill.
Der Alte schritt in seiner Aufregung f��nf Minuten lang auf und ab; dann war seine Geduld zu Ende. Er ?ffnete die Th��r:
?Dorette, Dorette!?
?Was giebt es denn, Philipp?? ert?nte es aus der Ferne. ?Ich h?re den Wind wohl; aber was kann man dagegen thun, -- Th��r und Fenster sind verwahrt, und das ��brige steht in Gottes Hand.?
?Ei, ei,? murmelte Herr Philipp und rief dann: ?Es handelt sich nicht um Wind und Wetter. Komm doch einmal einen Augenblick herein, Dorothea!?
Es dauerte noch verschiedene Augenblicke, ehe das m?glich war; aber zuletzt geschah es doch. Da war das Altjungfergesicht wieder und jetzt die ganze ��brige Figur und zwar mit einem ��ber jeden h?flichen Zweifel erhabenen Buckel zwischen den Schultern.
?Wir haben es augenblicklich ziemlich eilig in der K��che, lieber Philipp. W��nschest du etwas, bester Bruder??
?Nein; aber heute vor drei?ig Jahren um diese Stunde verkaufte ich in diesem Hause f��r den ersten Groschen Wundspiritus. Den Altvater Zimmermann -- Gott habe ihn selig! -- hatte der Gaul an die H��fte geschlagen. Ich habe es mir notirt vor drei?ig Jahren, und ich hatte es g?nzlich vergessen -- dem Lehnstuhle dort zum Trotz!?
?O du meine G��te!? rief das alte Fr?ulein und verschwand nach einigem, wie es schien, ratlosen Z?gern, schlug dann aber die Th��r um so heftiger hinter sich zu. Schon auf dem Hausflur wu?te Fr?ulein Dorette Kristeller ganz genau, was sie zu thun habe, und man hatte f��r den ferneren Abend es noch um ein Bedeutendes eiliger in der K��che der Apotheke ?zum wilden Mann?.

Zweites Kapitel.
Trotz aller geistigen Aufregung mu?te der Apotheker Philipp Kristeller einen erstaunten Blick f��r die Pforte, durch welche die Schwester so pl?tzlich wieder verschwunden war, ��brig haben.
?Herr Jesus!? sagte er; und dann versuchte er es von neuem, sich ruhig zu setzen, allein es wollte nicht angehen. Das bedeutungsvolle Datum brannte wie in feurigen Ziffern und Buchstaben vor seinen Augen, und so schob er denn den Stuhl unter den
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