Zuchthausgeschichten von einem ehemaligen Züchtling | Page 8

Joseph M. Hägele
befindet er
sich allerdings nicht mehr in der Gebirgswelt, sondern in einer
gartenähnlichen Ebene, doch das Gebirge kommt ihm weder aus den
Augen noch aus dem Sinn, die Ebene liefert ihm auch alle Augenblicke
etwas Anderes und wenn er aus den zahllosen Mannigfaltigkeiten die
Einheiten heraussucht, theilt er die Menschen am Ende in zwei große
Partheien, nämlich in Dorfmenschen und Stadtmenschen; im Gebirge
herrschen die Dorfmenschen, in der Ebene die Stadtmenschen vor und
der Unterschied der Dorfmenschen unter sich ist bei weitem nicht so
groß, wie ihr Unterschied von den Stadtmenschen.
Wer das Leben und Treiben der Schwarzwälder im engern Sinne genau
kennen lernen will, muß den "Kalender für Zeit und Ewigkeit" oder
"Spindlers herzige Erzählungen aus neuerer Zeit" zur Hand nehmen,
denn Berthold Auerbachs Dorfgeschichten, so anmuthig, hinreißend
und herrlich sie auch uns und vielen tausend Andern vorkommen, sind
eben doch keine eigentlichen "Schwarzwälder" Dorfgeschichten,
sondern laufen fast ohne Schwarzwälder Lokalfarben auf die
Gegensätze zwischen Stadt und Land hinaus.
Im Gebirge verschlingt das Dorfleben das Stadtleben, in der Ebene
geht´s umgekehrt zu und wie das Stadtleben allmälig auch in den
Seitenthälern und auf den Höhen des Gebirgs zur Herrschaft kommen

will, zeigt unter Andern die Geschichte des Duckmäusers.
Das Heimathdörflein desselben liegt an der Mündung eines Thales, das
einen allmäligen Uebergang vom Schwarzwalde zur Rheinebene bildet
und zwar nicht blos der Natur, sondern auch des Charakters der
Bewohner. Land und Leute wachsen immer und überall wundersam
zusammen und für ein geübtes Auge ist jede Gegend ein Buch, aus dem
es die Geschichte, das Leben und Treiben ihrer Bewohner so im
Allgemeinen herausliest!
Kehren wir nach diesem kurzen Ausfluge zu unserm Benedict zurück,
der aus der Schule entlassen, bereis ein bischen größer und vom
Mütterlein ein bischen weniger gezügelt wurde.
Sein Vater, der finstere, doch grundehrliche Jacob arbeitet noch immer
den ganzen Tag, rasirt sich am Sonntag hinter dem Ofen und trägt
Nachmittags nach der Vesper seinen Nebelspalter in den Hirzen. So
lange der Benedict in der Schule war, durfte er nicht ins Wirthshaus
und nicht einmal den größern Burschen den Kegelbuben machen, doch
jetzt hilft er dem Vater tüchtig arbeiten, stolzirt am Sonntage mit Etwas
herum, was bei uns fast so viel bedeutet, als die %toga virilis% bei den
alten Römern, nämlich mit einer Tabakspfeife und wenn es ihm beifällt,
auch ein Schöpplein im Hirzen zu trinken, so sieht's der Jacob nicht
gerne, doch der Sohn will thun wie andere auch und noch mehr, weil er
der Held in 5 Dörfern ist. Der Vater hört denselben doch lieber
herausstreichen als schimpfen und muß eben nachgeben, wie andere
redliche Väter auch nachgeben.
Abends mag der Benedict nicht mehr beim Mütterlein spinnen, die
kleine Hanne kanns thun, wird dieselbe doch mit jedem Tage größer
und der Bruder geht in die Kunkelstube, um seinen Erzählerruhm
aufrecht zu erhalten. Alle einzelnen Kameradschaften der Bursche und
Mägdlein buhlen um seine Gunst, wo die Margareth ist, welche er am
liebsten zu haben scheint, sitzt die Ofenbank voll und wenn er kommt,
kommt Freude und Leben und jedem der Feierabend zu frühe.
Alle Häuser besucht er, jeden Abend ein anderes, in jedem ist er beliebt
und bekannt und Niemand weiß, welchem er den Vorrang gebe!

Uebrigens darf man nicht glauben, daß die Buben und Mägdlein
unziemliche Kurzweil trieben an den langen Abenden, mindestens
geschah dies nirgends, wo der Benedict hinkam und dieser wußte einen
wüsten Gast derb abzutrumpfen und heimzuschicken.
Der Liebling der Jungen wollte auch der Liebling der Alten sein,
zudem dem Mütterchen eher Ehre denn Schande machen und so wurde
in den Kunkelstuben nur Ehrbares und oft Heiliges erzählt und nichts
Unziemliches geschwatzt oder gar getrieben. Der Benedict hielt viel
auf Ehre und hätte es sich nicht nachsagen lassen, daß ein unehrbares
Wort aus seinem Munde gekommen und deßhalb liebten ihn auch alle
Mädchen und ihre Eltern hatten nichts dagegen, wenn dieselben mit
ihrer Kunkel und dem Rosenkranz nach dem Nachtessen in das Haus
wanderten, in welchem der Benedict gerade zu finden war.
Eines Abends sitzt so eine trauliche Gesellschaft im Vaterhause des
Hansjörgen und der Benedict erzählt bis gegen 10 Uhr, daß den
Zuhörern bald die Thränen in die Augen schießen, bald die Gänsehaut
aufsteigt. Jetzt stellt die Margareth ihre Kunkel weg, streicht die
braunen Haare aus der Stirn, steht auf und sagt gar holdselig: "Benedict,
's ist bald Zeit, wir wollen noch Eins tanzen, damit wirs lernen bis
Fastnacht!"--Alle Buben und Mägdlein sind dabei; der Benedict hat
seine Klarinette bei sich, denn auch ein Musikus ist er geworden, der
blinde Hans hat ihm die Griffe und Pfiffe gezeigt, er spielte bereits die
schönsten Hopser, Ländler, Walzer und dergleichen aus dem ff heraus
und jetzt sucht er den Ton, während Tisch und Bänke in eine Ecke
gestellt werden und der Hansjörg vor Freuden mit der Zunge schnalzt
und Sprünge macht wie ein Tiroler.
In diesem
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