Zuchthausgeschichten von einem ehemaligen Züchtling | Page 4

Joseph M. Hägele
Besuche im n?chsten Orte abstatten und als der Benedikt die ersten H?slein an hatte und vom Vater am rechten von der Mutter am linken H?ndlein zum ersten Mal in die Kirche geführt wurde, blieben alle Leute stehen und gab es eine ganze Prozession von schweigenden und redenden Bewunderern, das Herz der Eltern bebte vor Freude und daheim konnte Theres der alten Hanne nicht genug erz?hlen, welche Ehre sie mit dem "Aug?pfelchen" eingeerndtet, wie brav er in der Kirche gewesen, die H?ndlein gefaltet und bei der Wandlung mit Kreuzmachen und Brustklopfen gar nicht mehr aufgeh?rt habe. Das Büblein holte bereits Alles beim Kr?mer, besorgte alle Auftr?ge pünktlich, griff alles geschickt an, es mochte sein, was es wollte und lachte vor Vergnügen laut auf, wenn man es nur lobte. Mit Lob lie? sich der Benedikt durchs Feuer treiben.
Besa? das D?rflein keine eigene Kirche und keinen Pfarrer, so besa? es doch eine eigene Schule und einen Schulmeister. Zwar hatte dieser nirgends besonders studirt, war eine gefallene Gr??e, n?mlich ein gro?er Maurer, der von einem Dachsparren herabgefallen und ein Bein gebrochen hatte, dabei ein guter, braver Mann und wu?te Alles den Kindern beizubringen, was diese in der Welt brauchen, vor allem den Katechismus.
Der Benedikt sa? keine sechs Wochen in der Schulstube, so wurde auch der alte Lehrer g?nzlich in ihn vernarrt und es dauerte keine zwei Jahre, so kannten die Kinder Einen Ihresgleichen als Unterlehrer, n?mlich des Jakoben Benedikt.
Was Andere in einem Jahre lernen, lernte unser Held ohne gro?e Mühe in vier Wochen und was der Mathes, der acht volle Jahre stets im Eselsb?nklein sa? und sp?ter dennoch ein tüchtiger Bauer und braver Mann geworden ist, in seinem Leben niemals begreifen wird, begriff der Benedikt rascher und leichter als die gescheideste [gescheidteste] Schulkamer?din, n?mlich die Susanna.
Eine andere Uhr denn eine Sonnenuhr besa? weder die Schule noch der Schulmeister und vom achten Jahre an war der kleine Schulmeister auch "Zeitverwalter" mit einer kleinen Unterbrechung gegen das Ende der Schuljahre, wo der Muthwille, der in ihm steckte, den alten Lehrer einige Wochen in Verzweiflung setzte.
Das Aug?pfelchen der Theres wurde das Aug?pfelchen des Lehrers, aller Buben und M?gdlein und vieler Erwachsenen und vielleicht haben die Weihrauchwolken dazu beigetragen, auch seine Gestalt in die L?nge und Breite zu treiben.
Mit den Buben stand er gut, weil er der St?rkste, bei allen Spielen und lustigen Streichen, die sich mit seiner Unterlehrersehre vertrugen, voran, dabei unpartheisch und freundlich gegen alle war und bei den M?dlen stand er besser als jeder Andere angeschrieben, weil er eine merkwürdige Vorliebe für sie hegte, sie zart und schonend behandelte, gegen Schimpf und Schl?ge schützte, ihnen in der Schule einsagte, beim Singen eines Liedes den rechten Ton anstimmte und die leidigen Schulaufgaben gegen ein bischen Lob oder auch gegen ein Schm?tzlein machen half.
Um nicht weitl?ufig zu werden und dennoch einen rechten Begriff von dem kleinen Benedikt zu bekommen, der ein ganz anderer Kerl war, denn der verachtete, blutarme und arg vernachl??igte Zuckerhannes, wollen wir nur drei Thatsachen aufmerken.
An einem Frühlingstage wird in der Schule biblische Geschichte gelesen und die Kinder schauen sehnsüchtig durch die Scheiben in die grünende und blühende Welt und rücken unruhig hin und her, denn das stundenlange Sitzen und Schwitzen ohne Unterbrechung ist die Folter der Kinderjahre. Auf einmal zupft ein M?dle das Andere und ein Bube den Andern und wer den Grund entdeckt, h?lt die Hand vor den Mund oder kichert laut. We?halb? Der "Unterlehrer" hat aus einem Stücklein Holz und vier beinernen Kn?pfen ein W?gelein gezimmert, einen kleinen Kiesel als Fracht darauf gelegt und vier stattliche Maienk?fer, an eine Deichsel gebunden, ziehen das Ganze über die Sitzb?nke. Der Lehrer merkt's, zieht die Stirne kraus und ruft den Benedikt auf, im Lesen fortzufahren. Wer beim letzten Wort weiter f?hrt, ohne eine Miene zu verziehen, ist der Benedict. Der Lehrer wei?, welchen Kopf und welche Kenntnisse der muthwillige Unterlehrer besitze, meint, derselbe sage einige Satze auswendig her und werde bald stecken bleiben, doch der Benedict liest und liest, ohne nur einmal zu stottern, ohne eine Silbe zu verfehlen.
Dessen verwundert sich der Lehrer, steht auf, greift nach Benedicts Buch und siehe--dieser hat Alles auswendig hergesagt, denn lesen konnte er schon de?halb nichts, weil er das Buch, wie der Lehrer auch seither geglaubt, verkehrt in der Hand hielt.
Dieser Streich und hundert ?hnliche dazu verschafften dem Benedict den Beinamen "Leichtsinn" und mit den Jahren wuchs sein Leichtsinn wirklich, wie er denn einmal, als ein Schuldschein geschrieben werden sollte, dem Lehrer keinen andern machte als folgenden:
"Ich hei?e Leichtsinn, bin der Leichtsinnigste und habe in diesem Zustande geschrieben!"
Wenn er wollte, brachte er stets die besten Aufs?tze, doch schien er immer weniger zu wollen, der Lehrer sagte wenig dazu, verschonte ihn fernerhin auch mit Schl?gen und wu?te warum.
War eine Schulaufgabe zu machen oder gar die Sonntagspredigt nachzuschreiben, so gings wie eine Prozession zu Jacobens Haus, denn hier sa? der
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