Zerbin | Page 3

Jacob Michael Reinhold Lenz
ihren Verstand selber zu brauchen. Er wollte keinem Menschen übels, au?er wenn er gegen ihn durch andere war aufgebracht worden, alsdann aber war sein Zorn auch unvers?hnlich, solange das Maschinenwerk des fremden Verstandes, der ihn in Bewegung setzte, fortwirkte. Er hatte Zerbinen auf zu viele Proben gesetzt, um ihm nicht uneingeschr?nkt zu trauen; solange der also das Regiment in seiner Seele führte, ging alles nach Wunsch, und er hatte so viel Achtung für ihn, da? er ihm allemal seine Pension von seinen Wechseln voraus bezahlte, aus Furcht, er m?chte durch jugendliche Verschwendungen in die Notwendigkeit gesetzt werden, Zerbinens Finanzen in Verwirrung zu bringen.
Ganz anders ging es, als eine weibliche Gewalt sich des Zepters in diesem Herzen bem?chtigte. Freundlach hatte eine Schwester; die Grazien schienen bei ihrer Geburt in Beratschlagungen gesessen zu sein. Alles war auf ihrem Gesicht, auf ihrem K?rper vereinigt, was bezaubern konnte, gro?e schwarze Augen, die mehr sagten, als sie fühlte, Mienen, welche ebensoviel Netze für die Freiheit der Herzen waren. Zu unserer Ritter Unglück fing das unfreundliche zweiundzwanzigste Jahr leis an ihre Tür zu klopfen an, zu dem sich die grauenvolle Idee einer alten Jungfer in scheu?licher Riesengestalt gesellte, und den ersten ruhigen Augenblick abzuwarten schien, um sie mit all ihren Schrecknissen zu überfallen. Sie hatte bis in ihr zwanzigstes Jahr kokettiert, das hei?t, mit der sorgenfreiesten Seele von der Welt, nur an den Kützel gedacht, t?glich einige zwanzig wohlfrisierte Anbeter mit den untert?nigsten Reverenzen unten an ihrem Fenster vorbeikriechen zu sehen, jeder in Gedanken der Glückliche, jeder der Betrogene. Diese Arten von Wallfahrten waren das einzige Mittel, das ihre Reize, ihren guten Humor, ihre ganze Wohlh?bigkeit erhalten konnte, so da? jeder regnige Herbst- oder Wintertag ein wahrer Leidenstag für sie war. Sodann sanken all ihre sch?nen Gesichtszüge; sie kroch in einen Winkel; schlug einen Roman auf, der ihr nicht schmeckte, und in den sie kaum zwei Zeilen gelesen hatte, wo nicht gleich ihre Gedanken sich an andere Gegenst?nde hefteten, und so ineinander verwirrten, da? ihr das Buch aus der Hand fiel, und sie wie aus einem tiefen Traum erwachte. So schlich ihr Leben, vom vierzehnten, bis zum zwanzigsten Jahr, in einem ewigen Dakapo unbedeutender Eroberungen hin, die, wie die Seifenblasen womit Kinder spielen, oft aneinander zerplatzten. Sehr oft hatte ihr ihre kleine scheckige Phantasie ihre Liebhaber und deren Handlungen auch in einem falschen Licht vorgespiegelt, so da? sie bisweilen ganz irre an ihnen ward, und ihre ungereimtesten, zuf?lligsten Handlungen in einen Roman zu bringen sich zermarterte, über den sie sich oft zu ihrem gr??ten Verdru? sehr sp?t die Augen mu?te ?ffnen lassen.
Wie gesagt, dieser Zustand konnte nicht immer fortw?hren; sie mu?te auf eine Versorgung denken. Sch?nen, die M?nner haben wollen, sind wie eine Flamme im Walde, die desto heftiger um sich fri?t, je mehr Widerstand sie antrifft. Nichts, nichts wird verschont, alle m?gliche Kunstgriffe werden angewandt, was sich ihnen in Weg stellt, mu? brennen. Unser unerfahrne Zerbin war das erste Schlachtopfer dieses weiblichen Alexandergeistes. Nicht da? ihre Bemühungen auf ihn selbst abgerichtet waren, sondern er sollte das Instrument in ihrer Hand sein, auf ein andres Herz Jagd zu machen.
Hohendorf, ein s?chsischer Offizier, der in Leipzig bei unserm Zerbin die Kriegsbaukunst erlernte, hatte gleichfalls ein Empfehlungsschreiben, und durch dasselbe einen freien Zutritt bei Freundlach. Er war ein junger wohlgewachsener Mensch; Mademoiselle Freundlach hatte ihn durch hundert kleine Streiche, die bei ihr freilich unbedeutend waren, an sich gezogen; ihr gefielen seine leidenschaftlichen Stellungen, seine oft bis zum Erhabnen beredte, oft bis zum Kindischen l?ppische Sprache, seine Aufmerksamkeiten, seine Serenaden, seine Ausgaben ohne überlegung, die sich alle aus Fehlschlüssen herschrieben, und mit Fehlschlüssen endigten. Das einzige wunderte sie, konnte sie mit ihrem gesamten Verstande nicht klein kriegen, da? er ihr nie etwas vom Heiraten vorsagte, da er doch sonst hundert Albernheiten zu ihren Fü?en beging. Die wahre Ursache davon aber war, da? er schon eine Frau hatte, zwar nur von der linken Seite, der er aber ein besiegeltes Versprechen, sie gleich nach seines Vaters Tode zu heiraten, in den H?nden ihres k?niglichen Notars hinterlassen hatte, und die mit ihren zwei Kindern gewi? nicht ermangelt haben würde, sobald sie von einer neuen Verbindung geh?rt h?tte, der Braut ihren untert?nigen Glückwunsch abzustatten. Ob Mademoiselle Freundlach was davon gemerkt, wei? ich nicht, genug, sie fing an, seit einiger Zeit in alle Beteuerungen und Feierlichkeiten Hohendorfs Mi?trauen zu setzen.
Altheim war ganz ein anderer Mensch; gerade zu, ohne Arges, nicht so hinterm Berge haltend, nicht so unerkl?rbar, als Hohendorf. Das war ein Mann für Renatchen (so hie? Mademoiselle Freundlach), der ihr wenigstens ihr kleines K?pfchen nicht zerbrach. Es kam nur darauf an, ihn in dem Grad verliebt zu machen, als Hohendorf war; das fand aber anfangs ein wenig Schwierigkeit. Er hatte zu viel Wasser in seinem Blut, zu dickh?utige Nerven; das Feuer ihrer Augen konnte den Thermometer so geschwind nicht steigen machen. Das erste,
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