übersah! Von dieser Zeit an faßte er
den Entschluß, Professor der ökonomischen Wissenschaften, nebenan
des Naturrechts, des Völkerrechts, der Politik und der Moral, zu werden.
Saubere Moral, die mit dem Verderben eines unschuldigen Mädchens
anfing! Er räsonierte nun ungefähr also:
"Der Trieb ist allen Menschen gemein; er ist ein Naturgesetz. Die
Gesellschaft kann mich von den Pflichten des Naturgesetzes nicht
lossagen, als wenn diese den gesellschaftlichen Pflichten
entgegenstehen. Solange sie sich damit vereinigen lassen, sind sie
erlaubt--was sage ich? sie sind Pflicht. Ich darf also die Achtung, die
ich der Gesellschaft schuldig bin, nicht aus den Augen setzen. Folglich:
wenn ich Marien dahin bringen kann, daß sie um einige Zeit eine Reise
zu ihren Verwandten vorschützt, so sie insgeheim nach Berlin führe,
wo ich gleichfalls meinen Vater zu besuchen habe, ihr dort ein Zimmer
miete, das Kind auf die Rechnung meiner künftigen Erbschaft von dem
und dem alten Bekannten meines Vaters in der Stille erziehen
lasse--unterdessen wiederkomme und eine reiche Partie--Marie bleibt
immer mein, und je verstohlner wir nachher zusammenkommen, desto
süßer--Liebe hat ihre eigene Sphäre, ihre eigene Zwecke, ihre eigene
Pflichten, die von denen der Ehe himmelweit unterschieden sind."
Er setzte sich sogleich hin, an seinen Vater zu schreiben, ihm durch die
unvermutete Entdeckung, daß er noch lebte, eine Freude zu machen,
und sich zugleich für seine bedrängten Umstände, und zu einer Reise
nach Berlin, eine Hülfe von hundert Friedrichd'or auszubitten. In
diesem Augenblick trat Marie ins Zimmer. Er kleidete ihr sein Projekt
in solche lügen- und schmeichelhafte Farben ein, daß sie mit Tränen in
alles willigte. Wiewohl sie ihm die Freuden eines eingezogenen,
schuldlosen Lebens, in einem Dorf, wo ihr Vater ihn mit beiden
Händen würde aufgenommen haben, mit Worten vormalte, die Steine
erweicht haben würden: aber seine Politik drang diesmal durch. Sie
wollten sich in Berlin so lange aufhalten, bis sein Vater tot wäre, und er
förmliche Anstalten zu einer öffentlichen Verheiratung mit ihr machen
könnte. Sie ergab sich endlich in seine höheren Einsichten, warf sich in
seine Arme, drückte ihm ihre Liebe nochmals auf die Lippen, und
erhielt von ihm die Versiegelung seiner noch immer ebenso heftigen
Leidenschaft.
Alles ging gut: er fing hierauf an, statt der verdrüßlichen Lehre von
Potenzen und Exponenten, ein Kollegium über die Moral und eines
über das Jus Naturae zu lesen, das ihm gar kein Kopfbrechen kostete,
und ungemein gut von der Lunge ging. Er bekam einen Zulauf, der
unerhört war, und es währte kein halbes Jahr, so ließ er für seine
Lesestunden ein neues Kompendium der philosophischen Moral,
gepfropft aufs Natur- und Völkerrecht, drucken, das in allen gelehrten
Zeitungen bis an den Himmel erhoben ward. Unterdessen blieb das
arme Mariechen, die Veranlassung aller dieser Revolutionen, ein
unglückliches Mittelding zwischen Frau und Jungfer; ihre glückliche
Lustigkeit verlor sich; die Rosen auf ihren Wangen starben; die Zeit
ihrer Entbindung nahte heran; Zerbin fing an verlegen zu werden, wenn
sie auf sein Zimmer trat. Ein unangenehmer Vorfall kam noch
dazwischen.
Dem Hause des Herrn Freundlach gegenüber lag ein Kaffeehaus, das
Hohendorf sowohl, als Altheim, in der Zeit ihrer ersten Bekanntschaft
mit Renatchen, gleich nach dem Essen gewöhnlich zu besuchen
pflegten. In der Zeit des Noviziats, da es bei beiden noch immer hieß:
Ich aber steh, und stampf, und glühe, Und flieg im Geiste hin zu ihr,
Und bleib, indem ich zu ihr fliehe, Stets unstet, aber immer hier, Weil,
bis mich Glück und Freundschaft retten, Die oft ein langer Schlaf
befällt, Mich hier, mit diamantnen Ketten, Das Schicksal angefesselt
hält.
Uz.
Obzwar Hohendorf itzt fast gar keinen Zutritt in dem Hause mehr hatte,
oder doch wenigstens von dem Idol seiner Wünsche allemal sehr
frostig empfangen ward: so blieb doch ein gewisser Zauber um dieses
Kaffeehaus schweben; er fühlte allemal nach dem Essen einen
geheimen Zug hinzugehen, von dem er sich selbst nicht Rechenschaft
zu geben wußte. Da sah er denn sein geliebtes Renatchen sehr oft mit
Altheimen am Fenster, und rächte sich, oder glaubte sich mit
verachtungsvollen Blicken recht herzlich an ihnen zu rächen. Altheim
selbst kam auch noch bisweilen dahin, wenn Renatchen etwa sich nicht
sprechen ließ, oder einen Besuch bei einer Verwandtin machte, die er
nicht wohl leiden konnte, weil sie beiden immer so spitzfindige Reden
gab.
An einem dieser Nachmittage kam Hohendorf mit Altheim in einem
Billardspiel, wo mehrere Personen um den Einsatz spielten, in einer
sogenannten Guerre zusammen, und es traf sich unglücklicherweise,
daß die beiden Nebenbuhler grade aufeinander folgen mußten.
Hohendorf, der schon lang eine Gelegenheit an Altheim suchte, machte,
ohne daß es ihm selbst Vorteil brachte, seinen Ballen, welches wider
die Regel vom Spiel ist. Altheim zeigte seinen Verdruß darüber;
Hohendorf schüttelte lächelnd den Kopf; als die Reihe wieder an ihn
kam, machte er, nun wirklich unversehens und wider Willen, den
Ballen des Altheim zum andernmal. Altheim, fest versichert, daß dies
in der Absicht geschehe, ihn zu beleidigen, warf
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.