Zerbin | Page 4

Jacob Michael Reinhold Lenz
das fand aber
anfangs ein wenig Schwierigkeit. Er hatte zu viel Wasser in seinem
Blut, zu dickhäutige Nerven; das Feuer ihrer Augen konnte den
Thermometer so geschwind nicht steigen machen. Das erste, das ihr bei
dieser Verlegenheit in den Wurf kam, war Zerbin; die Kälte des Grafen
schien ihr nicht die Frucht einer ohnmächtigen Natur, sondern einer
durch lange Verschanzungen bebollwerkten Überlegung. Sie machte
also einen Plan, diese Festung zu unterminieren, den unser
scharfsinnige Kriegsbaumeister einzusehen zu unwissend war, ein
Triumph, der ihrer aufgebrachten Einbildung mehr schmeichelte, als
Alexandern die Eroberung von Babylon; und ihr erster Angriff war auf
Zerbinen gerichtet, den sie für den Kommendanten dieses Platzes hielt.
Zerbin! Dieser unerfahrne, ungewahrsame, mit allen Ränken weiblicher
List so gänzlich unbekannte Hauptmann: wie hätte der einem Angriff
von der Art lange widerstehen können? Es hatte sich noch nie ein
Frauenzimmer die Mühe genommen, seine Unschuld zu erschüttern, da
er nicht reich, und noch weniger angenehm war, obgleich seine äußere
Gestalt ziemlich gut ins Auge fiel. Er wußte keine einzige, ich sage

keine einzige von den Millionen artiger Kleinigkeiten, mit denen
Frauenzimmer von gutem Ton heutzutage unterhalten werden; er stand
wie Saul unter den Propheten, sobald er in eine Gesellschaft von
Damen trat. Er sah lauter überirdische Wesen außer seiner Sphäre an
ihnen, für die er, weil er kein einziges ihrer Worte und Handlungen
begriff, noch einsah, eine so tiefe innerliche Ehrfurcht fühlte, daß er bei
jeder Antwort, die er ihnen geben mußte, lieber auf sein Angesicht
gefallen wäre, und angebetet hätte. Mit einem solchen Gegner war
freilich der Sieg nicht halsbrechend; den ersten Abend, als er nach
Hause kam, aß er keinen Bissen; die Nacht brachte er schlaflos auf
stechenden Federn zu; den Morgen verunglückten alle seine
algebraischen Rechnungen, und er sah sich genötigt, eine Kur
vorzuschützen, und seine Zuhörer einen Monat lang zu entfernen, um
sich vor ihnen nicht lächerlich zu machen. Hohendorf blieb
demungeachtet sein vertrautester Freund, und er war so übermäßig
treuherzig gegen ihn, ihm im geringsten nicht den Vorzug merken zu
lassen, den er in Renatchens Herzen zu haben schien, sondern alles das
mit seiner Schüchternheit so wohl zu bemänteln, daß er ihm sein
ganzes Vertrauen abgewann. indessen betrog ihn diese Schüchternheit
wohl zuweilen selber und es fing sich ein Gespenst in seinem Herzen
an zu regen, das er vorher kaum dem Namen nach kannte, die
unbändigste Eifersucht, die jemals an der Leber eines Sterblichen
genagt hat. Diese, weil er sie des Tags über unterdrückte, machte sich
in der Nacht Luft, und machte ihn bisweilen in ein lautes Stöhnen und
Weinen ausbrechen, das Altheim, der in einem Zimmer mit ihm schlief,
nicht unaufmerksam lassen konnte.
Eine der originellsten Szenen war es, Zerbin mit Renatchen,
Hohendorfen und Altheim Triset spielen zu sehen. Jede Karte hatte in
des armen Liebessiechen Ideen eine Bedeutung, deren geheimer
mystischer Sinn nur ihm, und seinem Abgott anschaulich war, und sie
dachte gerade bei jeder Karte nichts. Er spielte erbärmlich, und machte
sie eine Partie nach der andern verlieren, und wenn sie im Ernst böse
auf ihn ward, hielt er das für die feinste Einkleidung ihrer unendlichen
Leidenschaft für ihn, die kein anderes Mittel wüßte, sich ihm, ohne von
den andern bemerkt zu werden, verständlich zu machen. Sie, die außer
dem Interesse ihrer großen Passion, kein anderes kannte als das elende
Interesse des kleinen Kartenspiels, konnte, wenn er ihr mit allen zehn

Karten in der Hand, das Herz-As anspielte, in Feuer und Flammen
geraten, das er alles sehr wohl zurechtzulegen wußte, und in ihren
heftigen, oft unbescheidenen Verweisen allemal verstohlne Winke der
Zärtlichkeit, oder wohl gar das Signal zu einem Rendezvous zu
entdecken glaubte, nach dem er sich den andern Tag die Beine ablief,
ohne jemals ihr Angesicht zu sehen. Der würde ihm einen üblen Dienst
geleistet haben, der ihn auch nur von fernher auf die Spur geholfen
hätte, was der wahre Bewegungsgrund ihrer ganzen Maskerade gegen
ihn sei. Er soll einmal wirklich die ganze Nacht unter ihrem Fenster
gestanden haben, weil sie ihm auf seine Invite in Koeur das Neapolitain
in Karo gebracht hat, das er, wegen seiner viereckigen Rautenfigur, für
ein unfehlbares Zeichen eines Rendezvous unter dem Fenster hielt.
Es dauerte nicht lange, so drang Altheim in seinen Kummer; das heißt,
Zerbin gestand ihm, daß die Reize Renatchens nicht die Reize eines
Menschen, sondern der Gottheit selber wären, die sich unter ihrer
Gestalt auf Erden sichtbar zeigen wollen. Altheim ward mitleidig mit
seinen nächtlichen Seufzern, er ward neugierig--lüstern, verliebt. Der
Stolz, Zerbinen selbst, und auch Hohendorfen, ihre vermeinte
Eroberung streitig zu machen, beschleunigte seine verliebte Bekehrung.
Zerbin merkte dies, denn was merkt das Auge eines Liebhabers nicht,
er fing an, die Verzweiflung, die bisher auf seinem Gesicht gewütet
hatte, in sich hineinzukehren, und unter einer lachenden Miene zu
verbergen. Er ward gewitzigt, gescheut, erträglich in
Frauenzimmergesellschaften, und darum nur desto unglücklicher, da er
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