Wo Gritlis Kinder hingekommen sind | Page 9

Johanna Spyri
goldener Knopf saß, und mit der massiven, weithin
glänzenden, goldenen Uhrkette, an der ein ungeheures Petschaft
majestätisch hin und her baumelte.
Aus dem schönen Hause trat jeden Morgen der Sohn des Herrn Bickel,
der junge Feklitus, und wanderte die Straße hinauf, der Schule zu. Auf
seinem Rücken trug er den Ledertornister mit dem wundervollen
Deckel, auf dem, mitten unter schönen Rosengirlanden, groß und
hervortretend die Buchstaben F. B. zu sehen waren. Diesen Deckel
hatte Frau Bickel dem Sohn auf Weihnachten brodieren lassen. Zu
seinem etwas ungewohnten Namen Feklitus war er folgendermaßen
gekommen. Sein Großvater war ein Schneider gewesen, und da dieser
klein von Statur war und auch von ferne nie in einer Stellung sich
befand, wie einst sein Sohn sie einnehmen sollte, sondern ein blutarmes
Schneiderchen war, das sich kaum durchbringen konnte, so hieß er
allgemein: der Schneiderli. Als er nun seinem Sohn in der Taufe den
Namen Felix gab, wurde dieser gleich nach der Sitte der Gegend zu
einem Fekli und hieß nun fortan zur näheren Bezeichnung: der
Schneider-Fekli. Diesem aber, der früh ein Vorgefühl seiner einstigen
Bedeutung hatte, war dieser Name anstößig und wurde ihm immer
mehr zuwider, je höher er in Reichtum und Ansehen stieg. Aber die
Buchberger waren nicht davon abzubringen: wenn sie einmal an einen
Namen gewohnt waren, so blieben sie unveränderlich dabei und trugen
ihn von einem Geschlecht aufs andere über. So noch zur Stunde;
obschon jeder, der mit Herrn Bickel zusammentraf, wohl sagte: »Guten
Tag, Herr Bickel!« -- so nannte ihn doch kein einziger, wenn er von
ihm redete, anders als: der Schneiderli-Fekli. Davon hatte Herr Bickel
eine Ahnung, und die Sache war ihm sehr empfindlich. Als er nun

schon ein großer Herr war und mit der Frau Bickel in dem neuen,
schönen Hause wohnte und ihm dann ein Söhnlein geschenkt wurde, da
konnte er sich sehr lange nicht entschließen, es taufen zu lassen, denn
er suchte und suchte und fand immer den Namen nicht, der zu gleicher
Zeit die Stellung und alle Aussichten dieses Sohnes andeuten und auch
das Übertragen des verhaßten Namens unmöglich machen würde. Nun
hatte Herr Bickel um diese Zeit als Schulvorsteher dem Examen in
Buchberg beizuwohnen. Da traf es sich, daß der Lehrer den Kindern
eben die Bedeutung des Namens Fortunatus auseinandersetzte.
Freudestrahlend kam Herr Bickel nach Hause. »Der Name ist gefunden,
jetzt wird getauft«, rief er seiner Frau entgegen; und so geschah es. Das
Söhnchen wurde von Vater und Mutter Fortunatus genannt und
jedesmal mit besonderem Genuß, denn der Name entsprach
vollkommen seiner Stellung im Leben, und Herr Bickel war überzeugt,
er habe damit den alten, ihm anstößigen Namen ausgerottet. Sobald
aber sein Söhnchen in die Schule eintrat, fand es sich, daß der Name
Fortunatus den Kindern zu lang war; sofort wurde er in »Tus«
abgekürzt, und gleich darauf zur näheren Bezeichnung wurde der
»Schneiderli-Fekli-Tus« daraus, welcher lange Name dann mit der Zeit
in »Fekli-Tus« überging, wobei man blieb, und schließlich glaubte
jedermann in Buchberg, der Name heiße wirklich Feklitus, und fand es
natürlich, um der Abstammung willen.
Feklitus saß mit Oskar auf der Schulbank der sechsten Klasse, das heißt,
sie saßen auf zwei Schulbänken in derselben Klasse; denn als sie vor
sechs Jahren miteinander in die Schule eintraten, setzte sich Oskar
gleich oben an, denn er war ein herrschsüchtiges Bürschchen, das
allenthalben gern regieren wollte. Aber Feklitus blieb neben ihm stehen
und sagte: »Das ist mein Platz«; denn er war mit dem Bewußtsein
seiner Stellung in die Schule gekommen und sein Vater hatte ihm auch
gesagt: »Du gehörst dann obenan.«
Aber der Lehrer war ein unparteiischer Mann; er untersuchte die Sache
genau, und da es sich fand, daß Oskar zwei Tage älter war als Feklitus,
so bekam jener den ersten Platz. Um keinen Preis aber hätte der
Feklitus den zweiten eingenommen, sondern er setzte sich auf den
ersten der zweiten Bank, und da die Klasse so groß war, daß sie beide

Bänke in Anspruch nahm, ließ ihn der Lehrer gewähren. So war es
denn durch alle Klassen bis zur sechsten hinauf geblieben, denn die
Zahl der Schüler hatte sich nicht verändert. Dem Oskar war diese
Einrichtung eben recht, denn dadurch kam der lustige Fani, des
Tagelöhners Heiri Sohn, neben ihn zu sitzen, der jederzeit zu allen
Unternehmungen aufgelegt war, die Oskar nur erfinden konnte, zu den
gewagtesten am allerliebsten. Daneben hatte die äußere Erscheinung
dieses Buben etwas Ansprechenderes für den Oskar, als die des
breitschulterigen Feklitus, der stets in einem schönen Tuchwams mit
hohem Kragen steckte, in einer Weise, daß von seinem Hals, der
ohnehin kurz war, gar nichts mehr gesehen wurde und der ganze
Feklitus aussah, als habe man ihn in ein Futteral gesteckt, in dem er
sich nicht mehr recht bewegen konnte. Fani war schmal und gewandt,
wie eine Eidechse, und trug er auch den ganzen Sommer nichts auf sich,
als sein Hemd und seine leinenen
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