Wir Fanden Einen Pfad | Page 2

Christian Morgenstern
solche Nichtigkeiten
auszutauschen?
So schwätzen wohl zwei Vögel miteinander,
derweil in unablässigem
Gewander
des Stromes strenge Wogen meerwärts rauschen.
Erwacht in dir nicht ein Gefühl der Leere,
erwägst du, wie so auftut
Jahre, Jahre
nichts als Geschwätz aus dir sich und dem andern,
indessen nach der Gottheit Schoß und Meere
der Geistesweisheit
sternenspiegelklare
Gewässer ruhlos und gewaltig wandern?
Da nimm
Da nimm. Das laß ich dir zurück, oWelt ...
Es stammt von dir. Es sei
von neuem dein.
Da, wo ich jetzo will hinaus, hinein,
bin ich nicht
mehr auf dich gestellt.
Da gilt der blasse Geist allein,
den ich mir
formte über dir
ach, nur wie einen blassen Opferrauch,--
da gilt nur
noch der ach, so schwache Hauch,
der von dem CHRISTUS lebt in
mir.
Das bloße Wollen ...
Das bloße Wollen einer großen Güte
ist ganz gewiß ein hohes
Menschentrachten.
Doch es erhebt sich erst zur vollen B1üte,

wenn Gnaden eines seherisch Erwachten
den Kosmos
nachtentleitetem Gemüte
als Geisterkunstwerk zum Bewußtsein
brachten.
Dann wächst aus Riesenschöpfungsüberblicken,
aus Aufschau zu
verborgnen Bildnersphären,
aus Selbstmiteinbezug in deren Stufen--
ein Mitgefühl mit dieser Welt Geschicken,
das mehr als dunkle
Herzenstriebe nähren,
das höchste Götter mit ans Werk berufen.
Das ist der Ast in deinem Holz
Das ist der Ast in deinem Holz,
an dem der Hobel hängt und hängt:

dein Stolz,
der immer wieder dich
in seine steifen Stiefel zwängt.
Du möchtest auf den F1ügelschuhn
tiefinnerlichster Freiheit fliehn,

doch ihn
verdrießt so bitterlich
kein ander unabhängig Tun.
Er hält dich fest: da stehst du starr:
dürrknisternd-widerspenstig Holz:

ein Stolzverstotzter
Stock, ein sich
selbst widriger Hanswurst
und Narr.
Der Engel ...
"Wo bist du hin? Noch eben warst du da--
Was wandtest du dich
wieder abwärts, wehe,
nach jenem Leben, das ich nicht verstehe,

und warst mir jüngst doch noch so innig nah.
"Ich soll hinab mit dir in deine Welt,
aus der die Schauer der
Verwesung hauchen,
ins Reich des Todes soll ich mit dir tauchen,

das wie ein Leichnam fort und fort zerfällt?
"Wohl gibt es meinesgleichen, eingeweiht
in eure fürchterlichen
Daseinsstufen ...
Doch ich bin's nicht. Nur wie verworrnes Rufen

erschreckt das Wort mich Eurer Zeitlichkeit.

"Laß mich mein Haupt verhüllen, bis du neu
mir wiederkehrst, so rein,
wie ich dich liebe,
von nichts erfüllt als süßem Geistestriebe
und
deinem Urbild wieder strahlend treu."
Der Kranke
Oft zu sterben wünscht ich mir ...
Und wie dankbar bin ich doch,

daß ich leb und leide noch
im gesetzten Nun und Hier.
Bleibt mir doch damit noch Zeit,
abzubauen manch Gebrest,
komm
ich nimmer auch zum Rest,
werd ich besser doch bereit.
Wenn ich jetzt nichtwirken kann,
helf ich also doch dem Mir,
das
dereinst nach Nun und Hier
wirken wird im Dort und Dann.'
Die Fußwaschung
Ich danke dir, du stummer Stein,
und neige mich zu dir hernieder:

Ich schulde dir mein Pflanzensein.
Ich danke euch, ihr Grund und Flor,
und bücke mich zu euch
hernieder:
Ihr halft zum Tiere mir empor.
Ich danke euch, Stein, Kraut und Tier,
und beuge mich zu euch
hernieder:
Ihr halft mir alle drei zu Mir.
Wir danken dir, du Menschenkind,
und lassen fromm uns vor dir
nieder:
weil dadurch, daß du bist, wir sind.
Es dankt aus aller Gottheit Einund
aller Gottheit Vielfalt wieder.
In
Dank verschlingt sich alles Sein.
Die Sonne will sich sieben Male spiegeln
Die Sonne will sich sieben Male spiegeln,
in allen unsern sieben
Leibesgliedern:
daß sie ihr siebenmal ihr Bild erwidern.

Die Sonne will uns siebenmal entsiegeln.
Die zur Wahrheit wandern
Die zur Wahrheit wandern,
wandern allein,
keiner kann dem andern

Wegbruder sein.
Eine Spanne gehn wir,
scheint es, im Chor ...
bis zuletzt sich, sehn
wir,
jeder verlor.
Selbst der Liebste ringet
irgendwo fern;
doch wer's ganz vollbringet,

siegt sich zum Stern,
schafft, sein selbst Durchchrister,
Neugottesgrund--
und ihn grüßt
Geschwister
Ewiger Bund.
Du Weisheit meines höhern Ich
Du Weisheit meines höhern Ich,
die über mir den Fittich spreitet

und mich vom Anfang her geleitet,
wie es am besten war für mich,--
Wenn Unmut oft mich anfocht: nun--
Es war der Unmut eines
Knaben!
Des Mannes reife Blicke haben
die Kraft, voll Dank auf
Dir zu ruhn.
Du hast die Hand schon am Portal
Du hast die Hand schon am Portal
und tastest nach der Klinke Hand

(denn noch erhellt sie dir kein Strahl).
Du wirst erst wach, wenn sie sie fand,
sei's dieses, sei's das nächste
Mal;--
dann wirst du weiß stehn wie die Wand,
davor du lange dumpf geirrt;
und wie ein Leichnam hinfällt, wird

dein Leib hinfallen in den Sand.
Einen Freund über seinen Liebeskummer zu trösten

Einen Freund über seinen Liebeskummer zu trösten
Wir müssen
immer wieder uns begegnen
und immer wieder durch einander leiden,

bis eines Tages wir das alles segnen.
An diesem Tage wird das Leiden weichen,
das Leiden wenigstens,
das Blindheit zeugte,
das uns wie blinden Wald im Sturme beugte.
Dann werden wir in neues Ziel und Leben
wie Flüsse in ein Meer
zusammenfließen,
und kein Getrenntsein wird uns mehr verdrießen.
Dann endlich wird das, ... suchet nicht das Ihre'
Wahrheit geworden
sein in unsern Seelen.
Und wie an Kraft wird's uns an Glück nicht
fehlen.
Erblinden mag ich
Erblinden mag ich, sprach ich kühn,--
mir bleibt nichts Neues mehr
zu schauen! ...
Da wandelt sich der Erde Grün
zum odemraubend
kühlen Grauen.
Ein Schleier fällt auf die so recht
geliebten Wesen und Gelände,

und zu der--Geister Lichtgeschlecht
erhebt--ein Blinder seine
Hände ...
Evolution
Kaum daß sich, was sich einst
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