Wilhelm Meisters Wanderjahre, vol 1 | Page 4

Johann Wolfgang von Goethe
herum ernst, aber freundlich herabrief. "Warum steht ihr stille? versperrt uns den Weg nicht!"
Wilhelm sah aufw?rts, und hatten ihn die Kinder in Verwunderung gesetzt, so erf��llte ihn das, was ihm jetzt zu Augen kam, mit Erstaunen. Ein derber, t��chtiger, nicht allzu gro?er junger Mann, leicht gesch��rzt, von brauner Haut und schwarzen Haaren, trat kr?ftig und sorgf?ltig den Felsweg herab, indem er hinter sich einen Esel f��hrte, der erst sein wohlgen?hrtes und wohlgeputztes Haupt zeigte, dann aber die sch?ne Last, die er trug, sehen lie?. Ein sanftes, liebensw��rdiges Weib sa? auf einem gro?en, wohlbeschlagenen Sattel; in einem blauen Mantel, der sie umgab, hielt sie ein Wochenkind, das sie an ihre Brust dr��ckte und mit unbeschreiblicher Lieblichkeit betrachtete. Dem F��hrer ging's wie den Kindern: er stutzte einen Augenblick, als er Wilhelmen erblickte. Das Tier verz?gerte seinen Schritt, aber der Abstieg war zu j?h, die Vor��berziehenden konnten nicht anhalten, und Wilhelm sah sie mit Verwunderung hinter der vorstehenden Felswand verschwinden.
Nichts war nat��rlicher, als da? ihn dieses seltsame Gesicht aus seinen Betrachtungen ri?. Neugierig stand er auf und blickte von seiner Stelle nach der Tiefe hin, ob er sie nicht irgend wieder hervorkommen s?he. Und eben war er im Begriff, hinabzusteigen und diese sonderbaren Wandrer zu begr��?en, als Felix heraufkam und sagte: "Vater, darf ich nicht mit diesen Kindern in ihr Haus? Sie wollen mich mitnehmen. Du sollst auch mitgehen, hat der Mann zu mir gesagt. Komm! dort unten halten sie."
"Ich will mit ihnen reden", versetzte Wilhelm.
Er fand sich auf einer Stelle, wo der Weg weniger abh?ngig war, und verschlang mit den Augen die wunderlichen Bilder, die seine Aufmerksamkeit so sehr an sich gezogen hatten. Erst jetzt war es ihm m?glich, noch einen und den andern besondern Umstand zu bemerken. Der junge, r��stige Mann hatte wirklich eine Polieraxt auf der Schulter und ein langes, schwankes eisernes Winkelma?. Die Kinder trugen gro?e Schilfb��schel, als wenn es Palmen w?ren; und wenn sie von dieser Seite den Engeln glichen, so schleppten sie auch wieder kleine K?rbchen mit E?waren und glichen dadurch den t?glichen Boten, wie sie ��ber das Gebirg hin und her zu gehen pflegen. Auch hatte die Mutter, als er sie n?her betrachtete, unter dem blauen Mantel ein r?tliches, zart gef?rbtes Unterkleid, so da? unser Freund die Flucht nach ?gypten, die er so oft gemalt gesehen, mit Verwunderung hier vor seinen Augen wirklich finden mu?te.
Man begr��?te sich, und indem Wilhelm vor Erstaunen und Aufmerksamkeit nicht zu Wort kommen konnte, sagte der junge Mann: "Unsere Kinder haben in diesem Augenblicke schon Freundschaft gemacht. Wollt Ihr mit uns, um zu sehen, ob auch zwischen den Erwachsenen ein gutes Verh?ltnis entstehen k?nne?"
Wilhelm bedachte sich ein wenig und versetzte dann: "Der Anblick eures kleinen Familienzuges erregt Vertrauen und Neigung und, da? ich's nur gleich gestehe, ebensowohl Neugierde und ein lebhaftes Verlangen, euch n?her kennen zu lernen. Denn im ersten Augenblicke m?chte man bei sich die Frage aufwerfen, ob ihr wirkliche Wanderer oder ob ihr nur Geister seid, die sich ein Vergn��gen daraus machen, dieses unwirtbare Gebirg durch angenehme Erscheinungen zu beleben."
"So kommt mit in unsere Wohnung", sagte jener. "Kommt mit!" riefen die Kinder, indem sie den Felix schon mit sich fortzogen. "Kommt mit!" sagte die Frau, indem sie ihre liebensw��rdige Freundlichkeit von dem S?ugling ab auf den Fremdling wendete.
Ohne sich zu bedenken, sagte Wilhelm: "Es tut mir leid, da? ich euch nicht sogleich folgen kann. Wenigstens diese Nacht noch mu? ich oben auf dem Grenzhause zubringen. Mein Mantelsack, meine Papiere, alles liegt noch oben, ungepackt und unbesorgt. Damit ich aber Wunsch und Willen beweise, eurer freundlichen Einladung genugzutun, so gebe ich euch meinen Felix zum Pfande mit. Morgen bin ich bei euch. Wie weit ist's hin?"
"Vor Sonnenuntergang erreichen wir noch unsere Wohnung", sagte der Zimmermann, "und von dem Grenzhause habt Ihr nur noch anderthalb Stunden. Euer Knabe vermehrt unsern Haushalt f��r diese Nacht; morgen erwarten wir Euch."
Der Mann und das Tier setzten sich in Bewegung. Wilhelm sah seinen Felix mit Behagen in so guter Gesellschaft, er konnte ihn mit den lieben Engelein vergleichen, gegen die er kr?ftig abstach. F��r seine Jahre war er nicht gro?, aber st?mmig, von breiter Brust und kr?ftigen Schultern; in seiner Natur war ein eigenes Gemisch von Herrschen und Dienen; er hatte schon einen Palmzweig und ein K?rbchen ergriffen, womit er beides auszusprechen schien. Schon drohte der Zug abermals um eine Felswand zu verschwinden, als sich Wilhelm zusammennahm und nachrief: "Wie soll ich euch aber erfragen?"
"Fragt nur nach Sankt Joseph!" erscholl es aus der Tiefe, und die ganze Erscheinung war hinter den blauen Schattenw?nden verschwunden. Ein frommer, mehrstimmiger Gesang t?nte verhallend aus der Ferne, und Wilhelm glaubte die Stimme seines Felix zu unterscheiden.
Er stieg aufw?rts und versp?tete sich dadurch den Sonnenuntergang. Das himmlische Gestirn, das er mehr denn einmal verloren hatte, erleuchtete ihn wieder, als er h?her trat, und noch war es Tag, als er an
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