von mir aus.
Sagen Sie dabei meiner Schwester, ich werde sie bald wiedersehen, und
sie soll sich überhaupt auf einige Gäste vorbereiten. Der Freund unseres
Großoheims, der Marchese Cipriani, ist auf dem Wege,
hierherzukommen; er hoffte, den alten Mann noch am Leben
anzutreffen, und sie wollten sich zusammen an der Erinnerung früherer
Verhältnisse ergötzen und sich ihrer gemeinsamen Kunstliebhaberei
erfreuen. Der Marchese war viel jünger als mein Oheim und verdankte
ihm den besten Teil seiner Bildung; wir müssen alles aufbieten, um
einigermaßen die Lücke auszufüllen, die er finden wird, und das wird
am besten durch eine größere Gesellschaft geschehen."
Lothario ging darauf mit dem Abbe in sein Zimmer, Jarno war vorher
weggeritten; Wilhelm eilte auf seine Stube; er hatte niemand, dem er
sich vertrauen, niemand, durch den er einen Schritt, vor dem er sich so
sehr fürchtete, hätte abwenden können. Der kleine Diener kam und
ersuchte ihn einzupacken, weil sie noch diese Nacht aufbinden wollten,
um mit Anbruch des Tages wegzufahren. Wilhelm wußte nicht, was er
tun sollte; endlich rief er aus: "Du willst nur machen, daß du aus
diesem Hause kommst; unterweges überlegst du, was zu tun ist, und
bleibst allenfalls auf der Hälfte des Weges liegen, schickst einen Boten
zurück, schreibst, was du dir nicht zu sagen getraust, und dann mag
werden, was will." Ungeachtet dieses Entschlusses brachte er eine
schlaflose Nacht zu; nur ein Blick auf den so schön ruhenden Felix gab
ihm einige Erquickung. "Oh!" rief er aus, "wer weiß, was noch für
Prüfungen auf mich warten, wer weiß, wie sehr mich begangene Fehler
noch quälen, wie oft mir gute und vernünftige Plane für die Zukunft
mißlingen sollen; aber diesen Schatz, den ich einmal besitze, erhalte
mir, du erbittliches oder unerbittliches Schicksal! Wäre es möglich, daß
dieser beste Teil von mir selbst vor mir zerstört, daß dieses Herz von
meinem Herzen gerissen werden könnte, so lebe wohl, Verstand und
Vernunft, lebe wohl, jede Sorgfalt und Vorsicht, verschwinde, du Trieb
zur Erhaltung! Alles, was uns vom Tiere unterscheidet, verliere sich!
Und wenn es nicht erlaubt ist, seine traurigen Tage freiwillig zu
endigen, so hebe ein frühzeitiger Wahnsinn das Bewußtsein auf, ehe
der Tod, der es auf immer zerstört, die lange Nacht herbeiführt!"
Er faßte den Knaben in seine Arme, küßte ihn, drückte ihn an sich und
benetzte ihn mit reichlichen Tränen. Das Kind wachte auf; sein helles
Auge, sein freundlicher Blick rührten den Vater aufs innigste. "Welche
Szene steht mir bevor", rief er aus, "wenn ich dich der schönen,
unglücklichen Gräfin vorstellen soll, wenn sie dich an ihren Busen
drückt, den dein Vater so tief verletzt hat! Muß ich nicht fürchten, sie
stößt dich wieder von sich mit einem Schrei, sobald deine Berührung
ihren wahren oder eingebildeten Schmerz erneuert!"
Der Kutscher ließ ihm nicht Zeit, weiter zu denken oder zu wählen, er
nötigte ihn vor Tage in den Wagen; nun wickelte er seinen Felix wohl
ein, der Morgen war kalt, aber heiter, das Kind sah zum erstenmal in
seinem Leben die Sonne aufgehn. Sein Erstaunen über den ersten
feurigen Blick, über die wachsende Gewalt des Lichts, seine Freude
und seine wunderlichen Bemerkungen erfreuten den Vater und ließen
ihn einen Blick in das Herz tun, vor welchem die Sonne wie über einem
reinen, stillen See emporsteigt und schwebt.
In einer kleinen Stadt spannte der Kutscher aus und ritt zurück.
Wilhelm nahm sogleich ein Zimmer in Besitz und fragte sich nun, ob er
bleiben oder vorwärts gehen solle. In dieser Unentschlossenheit wagte
er das Blättchen wieder hervorzunehmen, das er bisher nochmals
anzusehen nicht getraut hatte; es enthielt folgende Worte: "Schicke mir
deinen jungen Freund ja bald; Mignon hat sich diese beiden letzten
Tage eher verschlimmert. So traurig diese Gelegenheit ist, so soll
mich's doch freuen, ihn kennenzulernen."
Die letzten Worte hatte Wilhelm beim ersten Blick nicht bemerkt. Er
erschrak darüber und war sogleich entschieden, daß er nicht gehen
wollte. "Wie?" rief er aus, "Lothario, der das Verhältnis weiß, hat ihr
nicht eröffnet, wer ich bin? Sie erwartet nicht mit gesetztem Gemüt
einen Bekannten, den sie lieber nicht wiedersähe, sie erwartet einen
Fremden, und ich trete hinein! Ich sehe sie zurückschaudern, ich sehe
sie erröten! Nein, es ist mir unmöglich, dieser Szene entgegenzusehen."
Soeben wurden die Pferde herausgeführt und eingespannt; Wilhelm
war entschlossen, abzupacken und hierzubleiben. Er war in der größten
Bewegung. Als er ein Mädchen zur Treppe heraufkommen hörte, die
ihm anzeigen wollte, daß alles fertig sei, sann er geschwind auf eine
Ursache, die ihn hierzubleiben nötigte, und seine Augen ruhten ohne
Aufmerksamkeit auf dem Billett, das er in der Hand hielt. "Um Gottes
willen!" rief er aus, "was ist das? Das ist nicht die Hand der Gräfin, es
ist die Hand der Amazone!"
VIII. Buch, 2. Kapitel--2
Das Mädchen trat herein, bat ihn herunterzukommen und führte Felix
mit sich fort. "Ist es möglich?" rief er aus, "ist es
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