Wilhelm Meisters Lehrjahre | Page 4

Johann Wolfgang von Goethe
noch nicht kannte.
Melina hatte schon die Garderobe mit allem Zugeh?r übernommen; einige Glieder des Stadtrats versprachen ihm gleich die Erlaubnis, einige Zeit im Orte zu spielen. Mit frohem Herzen und erheitertem Gesicht kam er nunmehr wieder zurück. Er schien ein ganz anderer Mensch zu sein: denn er war sanft, h?flich gegen jedermann, ja zuvorkommend und einnehmend. Er wünschte sich Glück, da? er nunmehr seine Freunde, die bisher verlegen und mü?ig gewesen, werde besch?ftigen und auf eine Zeitlang engagieren k?nnen, wobei er zugleich bedauerte, da? er freilich zum Anfange nicht imstande sei, die vortrefflichen Subjekte, die das Glück ihm zugeführt, nach ihren F?higkeiten und Talenten zu belohnen, da er seine Schuld einem so gro?mütigen Freunde, als Wilhelm sich gezeigt habe, vor allen Dingen abtragen müsse.
"Ich kann Ihnen nicht ausdrücken", sagte Melina zu ihm, "welche Freundschaft Sie mir erzeigen, indem Sie mir zur Direktion eines Theaters verhelfen. Denn als ich Sie antraf, befand ich mich in einer sehr wunderlichen Lage. Sie erinnern sich, wie lebhaft ich Ihnen bei unsrer ersten Bekanntschaft meine Abneigung gegen das Theater sehen lie?, und doch mu?te ich mich, sobald ich verheiratet war, aus Liebe zu meiner Frau, welche sich viel Freude und Beifall versprach, nach einem Engagement umsehen. Ich fand keins, wenigstens kein best?ndiges, dagegen aber glücklicherweise einige Gesch?ftsm?nner, die eben in au?erordentlichen F?llen jemanden brauchen konnten, der mit der Feder umzugehen wu?te, Franz?sisch verstand und im Rechnen nicht ganz unerfahren war. So ging es mir eine Zeitlang recht gut, ich ward leidlich bezahlt, schaffte mir manches an, und meine Verh?ltnisse machten mir keine Schande. Allein die au?erordentlichen Auftr?ge meiner G?nner gingen zu Ende, an eine dauerhafte Versorgung war nicht zu denken, und meine Frau verlangte nur desto eifriger nach dem Theater, leider zu einer Zeit, wo ihre Umst?nde nicht die vorteilhaftesten sind, um sich dem Publikum mit Ehren darzustellen. Nun, hoffe ich, soll die Anstalt, die ich durch Ihre Hülfe einrichten werde, für mich und die Meinigen ein guter Anfang sein, und ich verdanke Ihnen mein künftiges Glück, es werde auch, wie es wolle."
Wilhelm h?rte diese ?u?erungen mit Zufriedenheit an, und die s?mtlichen Schauspieler waren gleichfalls mit den Erkl?rungen des neuen Direktors so ziemlich zufrieden, freuten sich heimlich, da? sich so schnell ein Engagement zeige, und waren geneigt, für den Anfang mit einer geringen Gage vorliebzunehmen, weil die meisten dasjenige, was ihnen so unvermutet angeboten wurde, als einen Zuschu? ansahen, auf den sie vor kurzem noch nicht Rechnung machen konnten. Melina war im Begriff, diese Disposition zu benutzen, suchte auf eine geschickte Weise jeden besonders zu sprechen und hatte bald den einen auf diese, den andern auf eine andere Weise zu bereden gewu?t, da? sie die Kontrakte geschwind abzuschlie?en geneigt waren, über das neue Verh?ltnis kaum nachdachten und sich schon gesichert glaubten, mit sechsw?chentlicher Aufkündigung wieder loskommen zu k?nnen.
Nun sollten die Bedingungen in geh?rige Form gebracht werden, und Melina dachte schon an die Stücke, mit denen er zuerst das Publikum anlocken wollte, als ein Kurier dem Stallmeister die Ankunft der Herrschaft verkündigte und dieser die untergelegten Pferde vorzuführen befahl.
Bald darauf fuhr der hochbepackte Wagen, von dessen Bocke zwei Bedienten heruntersprangen, vor dem Gasthause vor, und Philine war nach ihrer Art am ersten bei der Hand und stellte sich unter die Türe.
"Wer ist Sie?" fragte die Gr?fin im Hereintreten.
"Eine Schauspielerin, Ihro Exzellenz zu dienen", war die Antwort, indem der Schalk mit einem gar frommen Gesichte und demütigen Geb?rden sich neigte und der Dame den Rock kü?te.
Der Graf, der noch einige Personen umherstehen sah, die sich gleichfalls für Schauspieler ausgaben, erkundigte sich nach der St?rke der Gesellschaft, nach dem letzten Orte ihres Aufenthalts und ihrem Direktor. "Wenn es Franzosen w?ren", sagte er zu seiner Gemahlin, "k?nnten wir dem Prinzen eine unerwartete Freude machen und ihm bei uns seine Lieblingsunterhaltung verschaffen."
"Es k?me darauf an", versetzte die Gr?fin, "ob wir nicht diese Leute, wenn sie schon unglücklicherweise nur Deutsche sind, auf dem Schlo?, solange der Fürst bei uns bleibt, spielen lie?en. Sie haben doch wohl einige Geschicklichkeit. Eine gro?e Soziet?t l??t sich am besten durch ein Theater unterhalten, und der Baron würde sie schon zustutzen."
Unter diesen Worten gingen sie die Treppe hinauf, und Melina pr?sentierte sich oben als Direktor. "Ruf Er seine Leute zusammen", sagte der Graf, "und stell Er sie mir vor, damit ich sehe, was an ihnen ist. Ich will auch zugleich die Liste von den Stücken sehen, die sie allenfalls aufführen k?nnten."
Melina eilte mit einem tiefen Bücklinge aus dem Zimmer und kam bald mit den Schauspielern zurück. Sie drückten sich vor- und hintereinander, die einen pr?sentierten sich schlecht, aus gro?er Begierde zu gefallen, und die andern nicht besser, weil sie sich leichtsinnig darstellten. Philine bezeigte der Gr?fin, die au?erordentlich gn?dig und freundlich war, alle Ehrfurcht; der Graf musterte indes die übrigen. Er fragte einen jeden nach seinem Fache und ?u?erte gegen Melina, da? man streng auf F?cher
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