Wilhelm Meisters Lehrjahre | Page 5

Johann Wolfgang von Goethe
ihre wechselnden wunderlichen Stimmen kamen mir h?chst ehrw��rdig vor. Kurz darauf betrat Saul die Szene, in gro?er Verlegenheit ��ber die Impertinenz des schwerl?tigen Kriegers, der ihn und die Seinigen herausgefordert hatte. Wie wohl ward es mir daher, als der zwerggestaltete Sohn Isai mit Sch?ferstab, Hirtentasche und Schleuder hervorh��pfte und sprach: "Gro?m?chtigster K?nig und Herr! es entfalle keinem der Mut um deswillen; wenn Ihre Majest?t mir erlauben wollen, so will ich hingehen und mit dem gewaltigen Riesen in den Streit treten."--Der erste Akt war geendet und die Zuschauer h?chst begierig zu sehen, was nun weiter vorgehen sollte; jedes w��nschte, die Musik m?chte nur bald aufh?ren. Endlich ging der Vorhang wieder in die H?he. David weihte das Fleisch des Ungeheuers den V?geln unter dem Himmel und den Tieren auf dem Felde; der Philister sprach Hohn, stampfte viel mit beiden F��?en, fiel endlich wie ein Klotz und gab der ganzen Sache einen herrlichen Ausschlag. Wie dann nachher die Jungfrauen sangen: "Saul hat tausend geschlagen, David aber zehntausend!", der Kopf des Riesen vor dem kleinen ��berwinder hergetragen wurde und er die sch?ne K?nigstochter zur Gemahlin erhielt, verdro? es mich doch bei aller Freude, da? der Gl��cksprinz so zwergm??ig gebildet sei. Denn nach der Idee vom gro?en Goliath und kleinen David hatte man nicht verfehlt, beide recht charakteristisch zu machen. Ich bitte Sie, wo sind die Puppen hingekommen? Ich habe versprochen, sie einem Freunde zu zeigen, dem ich viel Vergn��gen machte, indem ich ihn neulich von diesem Kinderspiel unterhielt."
"Es wundert mich nicht, da? du dich dieser Dinge so lebhaft erinnerst: denn du nahmst gleich den gr??ten Anteil daran. Ich wei?, wie du mir das B��chlein entwendetest und das ganze St��ck auswendig lerntest; ich wurde es erst gewahr, als du eines Abends dir einen Goliath und David von Wachs machtest, sie beide gegeneinander perorieren lie?est, dem Riesen endlich einen Sto? gabst und sein unf?rmliches Haupt auf einer gro?en Stecknadel mit w?chsernem Griff dem kleinen David in die Hand klebtest. Ich hatte damals so eine herzliche m��tterliche Freude ��ber dein gutes Ged?chtnis und deine pathetische Rede, da? ich mir sogleich vornahm, dir die h?lzerne Truppe nun selbst zu ��bergeben. Ich dachte damals nicht, da? es mir so manche verdrie?liche Stunde machen sollte."
"Lassen Sie sich's nicht gereuen", versetzte Wilhelm; "denn es haben uns diese Scherze manche vergn��gte Stunde gemacht."
Und mit diesem erbat er sich die Schl��ssel, eilte, fand die Puppen und war einen Augenblick in jene Zeiten versetzt, wo sie ihm noch belebt schienen, wo er sie durch die Lebhaftigkeit seiner Stimme, durch die Bewegung seiner H?nde zu beleben glaubte. Er nahm sie mit auf seine Stube und verwahrte sie sorgf?ltig.

I. Buch, 3. Kapitel

Drittes Kapitel
Wenn die erste Liebe, wie ich allgemein behaupten h?re, das Sch?nste ist, was ein Herz fr��her oder sp?ter empfinden kann, so m��ssen wir unsern Helden dreifach gl��cklich preisen, da? ihm geg?nnt ward, die Wonne dieser einzigen Augenblicke in ihrem ganzen Umfange zu genie?en. Nur wenig Menschen werden so vorz��glich beg��nstigt, indes die meisten von ihren fr��hern Empfindungen nur durch eine harte Schule gef��hrt werden, in welcher sie, nach einem k��mmerlichen Genu?, gezwungen sind, ihren besten W��nschen entsagen und das, was ihnen als h?chste Gl��ckseligkeit vorschwebte, f��r immer entbehren zu lernen.
Auf den Fl��geln der Einbildungskraft hatte sich Wilhelms Begierde zu dem reizenden M?dchen erhoben; nach einem kurzen Umgange hatte er ihre Neigung gewonnen, er fand sich im Besitz einer Person, die er so sehr liebte, ja verehrte: denn sie war ihm zuerst in dem g��nstigen Lichte theatralischer Vorstellung erschienen, und seine Leidenschaft zur B��hne verband sich mit der ersten Liebe zu einem weiblichen Gesch?pfe. Seine Jugend lie? ihn reiche Freuden genie?en, die von einer lebhaften Dichtung erh?ht und erhalten wurden. Auch der Zustand seiner Geliebten gab ihrem Betragen eine Stimmung, welche seinen Empfindungen sehr zu H��lfe kam; die Furcht, ihr Geliebter m?chte ihre ��brigen Verh?ltnisse vor der Zeit entdecken, verbreitete ��ber sie einen liebensw��rdigen Anschein von Sorge und Scham, ihre Leidenschaft f��r ihn war lebhaft, selbst ihre Unruhe schien ihre Z?rtlichkeit zu vermehren; sie war das lieblichste Gesch?pf in seinen Armen.
Als er aus dem ersten Taumel der Freude erwachte und auf sein Leben und seine Verh?ltnisse zur��ckblickte, erschien ihm alles neu, seine Pflichten heiliger, seine Liebhabereien lebhafter, seine Kenntnisse deutlicher, seine Talente kr?ftiger, seine Vors?tze entschiedener. Es ward ihm daher leicht, eine Einrichtung zu treffen, um den Vorw��rfen seines Vaters zu entgehen, seine Mutter zu beruhigen und Marianens Liebe ungest?rt zu genie?en. Er verrichtete des Tags seine Gesch?fte p��nktlich, entsagte gew?hnlich dem Schauspiel, war abends bei Tische unterhaltend und schlich, wenn alles zu Bette war, in seinen Mantel geh��llt, sachte zu dem Garten hinaus und eilte, alle Lindors und Leanders im Busen, unaufhaltsam zu seiner Geliebten.
"Was bringen Sie?" fragte Mariane, als er eines Abends ein B��ndel hervorwies, das die Alte in Hoffnung angenehmer Geschenke sehr aufmerksam betrachtete. "Sie werden es nicht erraten", versetzte Wilhelm.
Wie verwunderte
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