Was ihr wollt | Page 2

William Shakespeare
euern Bruder, selbst in
dieser äussersten Gefahr, Muth und Vorsicht nicht verliehrend, sich
selbst an einen starken Mast binden, der auf der See umhertrieb; und
auf diese Art schwamm er, wie Arion auf dem Rüken des Delphins,
durch die Wellen fort, bis ich ihn endlich aus den Augen verlohr.

Viola. Hier ist Gold für diese gute Nachricht. Meine eigne Rettung läßt
mich auch die seinige hoffen, und dein Bericht bestärkt mich hierinn.
Bist du in dieser Gegend bekannt?
Capitain. Ja, Madam, sehr wohl; der Ort wo ich gebohren und erzogen
wurde, ist nicht drey Stunden Wegs von hier entfernt.
Viola. Wer regiert hier?
Capitain. Ein edler Herzog, den Eigenschaften und dem Namen nach.
Viola. Wie nennt er sich?
Capitain. Orsino.
Viola. Orsino? Ich erinnre mich, daß ich von meinem Vater ihn nennen
hörte; er war damals noch unvermählt.
Capitain. Er ist's auch noch, oder war's doch vor kurzem; denn es ist
nicht über einen Monat, daß ich von her abreisete, und damals
murmelte man nur einander in die Ohren, (ihr wißt, wie gerne die
Kleinern von dem, was die Grossen thun, schwazen,) daß er sich um
die Liebe der schönen Olivia bewerbe.
Viola. Wer ist diese Olivia?
Capitain. Eine junge Dame von grossen Eigenschaften, die Tochter
eines Grafen, der vor ungefehr einem Jahr starb, und sie unter dem
Schuz seines Sohns, ihres Bruders, hinterließ; aber auch diesen hat sie
erst kürzlich durch den Tod verlohren; und man sagt, sie sey so betrübt
darüber, daß sie die Gesellschaft, ja so gar den blossen Anblik der
Menschen verschworen habe.
Viola. Wenn ich nur ein Mittel wißte, in die Dienste dieser Dame zu
kommen, ohne eher in der Welt für das was ich bin bekannt zu werden,
als ich es selbst meinen Absichten verträglich finden werde.
Capitain. Das wird schwer halten; denn sie läßt schlechterdings
niemand vor sich, sogar den Herzog nicht.

Viola. Du hast das Ansehen eines rechtschaffnen Manns, Capitain; und
obgleich die Natur manchmal den häßlichsten Unrath mit einer schönen
Mauer einfaßt, so will ich doch von dir glauben, daß dein Gemüth mit
diesem feinen äusserlichen Schein übereinstimme: Ich bitte dich also,
(und ich will deine Mühe reichlich belohnen,) verheele was ich bin, und
verhilf mir zu einer Verkleidung, die meinen Absichten beförderlich
seyn mag. Ich will mich in die Dienste dieses Herzogs begeben; stelle
mich ihm als einen Castraten vor; es kan deiner Mühe werth seyn; ich
kan singen, ich spiele verschiedene Instrumente, und bin also nicht
ungeschikt ihm die Zeit zu verkürzen; was weiter begegnen kan, will
ich der Zeit überlassen; nur beobachte du auf deiner Seite ein
gänzliches Stillschweigen über mein Geheimniß.
Capitain. Seyd ihr sein Castrat, ich will euer Stummer seyn. Verlaßt
euch auf meine Redlichkeit.
Viola. Ich danke dir; führe mich weiter.
(Sie gehen ab.)

Dritte Scene. (Verwandelt sich in ein Zimmer in Olivias Hause.) (Sir
Tobias und Maria treten auf.)

Vierte Scene. (Sir Andreas zu den Vorigen.) (Der Character des Sir
Tobias und seines Freundes gehört in die unterste Tiefe des niedrigen
Comischen; ein paar mäßige, lüderliche, rauschichte Schlingels, deren
platte Scherze, Wortspiele und tolle Einfälle nirgends als auf einem
Engländischen Theater, und auch da nur die Freunde des Ostadischen
Geschmaks und den Pöbel belustigen können. Wir lassen also diese
Zwischen-Scenen um so mehr weg, als wir der häuffigen Wortspiele
wegen, öfters Lüken machen müßten. Alles was in diesen beyden
Scenen einigen Zusammenhang mit unserm Stüke hat, ist dieses, daß
Sir Tobias seinen Zechbruder, Sir Andreas, als einen Liebhaber der
schönen Olivia ins Haus einführt und ganz ernsthaft der Meynung ist,
daß sie ein recht artiges wohlzusammengegattetes Paar ausmachen

würden; und daß Jungfer Maria den würdigen Oheim ihrer Dame
höflich ersucht, um seiner Gesundheit willen sich weniger zu besauffen;
und um der Ehre des Hauses willen, seine Bacchanalien nicht so tief in
die Nacht hinein zu verlängern.)

Fünfte Scene. (Verwandelt sich in den Pallast.) (Valentin, und Viola in
Mannskleidern, treten auf.)
Valentin. Wenn der Herzog fortfährt euch so zu begegnen wie bisher,
Cäsario, so werdet ihr in kurzem einen grossen Weg machen; er kennt
euch kaum drey Tage, und er begegnet euch schon, als ob es so viele
Jahre wären.
Viola. Ihr müßt entweder seiner Laune oder meiner Aufführung nicht
viel gutes zutrauen, wenn ihr die Fortsezung seiner Gunst in Zweifel
ziehet. Ist er denn so unbeständig in seinen Zuneigungen, mein Herr?
Valentin. Nein, das ist er nicht. (Der Herzog, Curio und Gefolge treten
auf.)
Viola. Ich danke euch; hier kommt der Herzog.
Herzog. Sah keiner von euch den Cäsario, he?
Viola. Hier ist er, Gnädigster Herr, zu Befehl.
Herzog (zu den andern.) Geht ihr ein wenig auf die Seite--Cäsario, du
weist bereits nicht weniger als alles; ich habe dir das Innerste meines
Herzens entfaltet. Geh also zu ihr, mein guter Junge; laß dich nicht
abweisen, postiere dich vor ihrer Thüre, und sag ihr, du
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 20
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.