Was die Großmutter gelehrt hat | Page 8

Johanna Spyri
sie die Zerst?rung sah. Da kam das Trini hergelaufen. "Guten Abend!" rief es noch au?er Atem, "seht die sch?nen Beeren. Es sind die letzten, wollen Sie sie?"
"Ich brauche nichts", rief die B?uerin zornig. "Mach, da? du fortkommst, ich habe keine Zeit für dich." "Wenn Sie sie nur ansehen wollten, sie würden ihnen gefallen", meinte das Trini. "Habe ich dir nicht gesagt, da? ich nichts will? Mach, da? du gehst", wiederholte die Frau. Aber das Trini blieb immer noch stehen. Es dachte: Wenn die B?uerin nur Zeit h?tte, die Beeren anzusehen, dann würde ihr schon die Lust kommen, sie zu behalten.
Jetzt aber kochte es über in der B?uerin, denn ihr Zorn hatte schon lange einen Ausweg gesucht. Da? sie ihn nicht an der trotzigen Magd auslie?, dafür mochte die Frau ihre Gründe haben.
"Hast du Harz an den Sohlen?" rief sie grimmig, "oder guckst du nach den reifen ?pfeln aus, damit du wei?t, welchen Baum ihr zuerst wieder schütteln wollt, wie ihr es immer macht, du und das andere Lumpenvolk?"
Das konnte aber das Trini nicht auf sich sitzen lassen, so etwas hatte es nie getan.
"Ich habe nie, nie die B?ume geschüttelt und nicht einen einzigen Apfel..."
"Du wirst nicht besser sein als alle anderen!" unterbrach die B?uerin. "Ich will kein Wort mehr h?ren, dort geht's hinaus!"
Damit erhob die Frau so rasch und drohend ihren Arm, da? es dem Trini nicht mehr sicher zumute war. Es rannte aus dem Garten und um die Hecke herum. Aber hier konnte es nicht mehr weiter. Auch sein Blut war wegen der ungerechten Anschuldigung in Wallung geraten. Es setzte sich auf den Boden hin, es mu?te sich Luft machen.
"Nein, das habe ich nicht getan", rief es aufgeregt. "Ich habe nie die ?pfelb?ume geschüttelt, nie! Aber die B?uerin ist nur ein Besen, ja, sie ist nur ein Besen, das hat die Gro?mutter gesagt, und der liebe Gott will nur etwas herausfegen mit ihr. Aber ich habe gar nichts gemacht, ich habe nichts B?ses getan." Hier hielt das Trini auf einmal inne. Denn pl?tzlich stieg die Frage in ihm auf, was denn wohl der liebe Gott habe ausfegen wollen in seinem Herzen, wenn es doch nichts Unrechtes getan hatte. Nun wurde das Trini ganz still und nachdenklich. Nach einer Weile stand es langsam auf. Es sah gar nicht mehr aufgebracht aus. Halblaut sagte es noch: "Ja, es ist wahr, das war doch nicht recht." Dem Trini war beim Nachdenken auf einmal eingefallen, da? es heute wieder mehrmals das Maneli auf die Seite gesto?en und sich schnell über die Beeren hergemacht hatte, die das Maneli auch gern eingesammelt h?tte. Es war aber immer still auf die Seite gewichen, das Trini war ja viel st?rker und flinker. So leistete ihm das Maneli niemals Widerstand.
Nun wollte das Trini sein Unrecht wieder gutmachen und dem Maneli schnell noch ein wenig von seinen Beeren abtreten. Es lief immer eiliger, aber nicht bergan, der Wohnung der Gro?mutter zu, sondern querfeldein eine ganze Strecke weit. Bei einem elenden, kleinen H?uschen, an dem die alten Fensterscheiben halb oder ganz zerbrochen und mit Papier verklebt waren, blieb es stehen und holte ein wenig Atem. Es war jetzt dunkel geworden. Durch die zerbrochenen Scheiben schimmerte ein dünnes Lichtlein. Auf einmal h?rte das Trini ein leises Schluchzen ganz in seiner N?he. Es schaute sich um. Auf einem Holzblock vor dem H?uschen sa? ganz unbeweglich eine kleine Gestalt, den Kopf auf die Arme gelegt. Trini trat hinzu.
"Was hast du, Maneli?" fragte es erstaunt, als es die kleine Gestalt erkannt hatte, "warum weinst du so?"
Das Maneli hob den Kopf und sah so traurig aus, wie Trini es noch nie gesehen hatte.
"Ich darf nicht hinein", sagte es schluchzend, "die Mutter ist krank und schon zu Mittag hatten wir fast nichts mehr zu essen. Dann sagte sie, für den Abend bringe ich, will's Gott, etwas heim, wenn ich in die Beeren gehe und sie dann gleich ins Wirtshaus trage. Ich würde dann ein Schwarzbrot mitbringen, meinte die Mutter. Aber sieh, Trini, nur die habe ich." Damit hob das Maneli seinen Kratten in die H?he und Trini guckte hinein. Es war fast gar nichts darin, kaum der Boden des Korbes war bedeckt. Das Trini fühlte seinen schweren Kratten am Arm. Es war ihm, als werde er immer schwerer und drücke es nicht nur am Arm, sondern auch auf dem Herzen. Auf einmal ri? es St?bchen und Bl?tter weg, kehrte seinen Kratten um und schüttete den ganzen, reichen Inhalt in Manelis leeren Korb, so da? dieser bis oben hin voll war und noch übrig blieb von den Beeren. Diese legte das Trini schnell auf die Bl?tter am Boden und sagte: "Nimm die auch noch hinein. Gute Nacht." Und fort rannte es in hohen Sprüngen.
"Trini! Trini! Danke tausendmal!" rief ihm das Maneli aus allen Kr?ften nach, dann stürzte es in die Hütte hinein. Jetzt hielt das Trini auf
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