Waldwinkel | Page 9

Theodor W. Storm
Einen Augenblick war es totenstill im Zimmer.
Dann wandte er sich wieder an den Vormund; sein Herz schlug ihm, da? er nur in Abs?tzen die Worte hervorbrachte. "Sie verschweigen mir den wahren Grund, Meister", sagte er, "erkl?ren Sie sich offen, wir werden schon zusammen fertig werden."
Der andere erwiderte nur: "Ich habe nichts weiter zu erkl?ren."
Franziska, die mit vorgebeugtem Kopf und offenem Munde den beiden zugeh?rt hatte, war hinter des Doktors Stuhl getreten. "Soll ich den Grund sagen, Vormund?" fragte sie jetzt; und aus ihrer Stimme klang wieder jener schneidende Ton, der wie ein verborgenes Messer daraus hervorscho?.
"Sagen Sie, was Sie wollen!" erwiderte der Handwerker, seine Augen trotzig auf die Seite wendend.
"Nun denn, wenn Sie es selbst nicht sagen wollen--der B?ckermeister hat eine Hypothek auf Ihrem Hause; ich wei?, Sie werden jetzt von ihm gedr?ngt!"
Richard atmete auf. "Ist dem so?" fragte er.
Der Mann mu?te es bejahen.
"Und wie hoch bel?uft sich Ihre Schuld?"
Es wurde eine Summe angegeben, die für die Verh?ltnisse eines kleinen Handwerkers immerhin betr?chtlich war.
"Nun, Meister", erwiderte Richard rasch; aber bevor er seinen Satz vollenden konnte, fühlte er wie einen Hauch Franziskas Stimme in seinem Ohr: "Nicht schenken! Bitte nicht schenken!" Und ebenso leise, aber wie in Angst, fühlte er seinen Arm von ihr umklammert.
Er besann sich; er hatte sie sofort verstanden.
"Meister", begann er wieder; "ich werde ihnen das Geld leihen; Sie k?nnen es sofort erhalten und brauchen mir nur einen Schuldschein auszustellen. Verstehen Sie mich wohl--solange Ihre Mündel sich in meinem Hause befindet, verlange ich keine Zinsen! Sind Sie das zufrieden?"
Der Mann hatte noch allerlei Bedenken, aber es war nur des schicklichen Rückzugs halber; nach einigem Hin- und Widerreden erkl?rte er sich damit einverstanden.
"So gedulden Sie sich einen Augenblick! Ich werde Ihnen den erforderlichen Auftrag an meinen Anwalt mitgeben."
Franziska hatte sich aufgerichtet; Richard rückte seinen Sessel an den Schreibtisch. Man h?rte die Feder kritzeln; denn die Hand flog, die jene Worte schrieb.
Rasch war der Brief versiegelt und wurde von begierigen H?nden in Empfang genommen.
Gleich darauf hatte Richard den Mann zur Tür geleitet; Franziska stand noch an derselben Stelle. Wie gebannt, ohne sich zu rühren, blickten beide auf die Tür, die sich eben wieder geschlossen hatte; als k?me es darauf an, sich der schwerf?lligen Schritte zu versichern, die jetzt langsam die Treppe hinab verhallten. Einen Augenblick noch, und auch das Auf- und Zuschlagen der Haustür und nach einer Weile das des Hoftores klang zu ihnen herauf.
Da wandte er sich gegen sie. "Komm!" sagte er leise und ?ffnete die Arme.
Es mu?te laut genug gewesen sein; denn sie flog an seine Brust, und er pre?te sie an sich, als müsse er sie zerst?ren, um sie sicher zu besitzen. "Franzi! Ich bin krank nach dir; wo soll ich Heilung finden?"
"Hier!" sagte sie und gab ihm ihre jungen roten Lippen.--Ungeh?rt von ihnen war die Zimmertür zurückgesprungen; ein sch?ner schwarzgelber Hundekopf dr?ngte sich durch die Spalte, und bald schritt das m?chtige Tier selbst fast unh?rbar in das Zimmer. Sie bemerkten es erst, als es den Kopf an die Hüfte seines Herrn legte und mit den sch?nen braunen Augen wie anklagend zu ihm aufblickte.
"Bist du eifersüchtig, Leo?" sagte Richard, den Kopf des Tieres streichelnd; "armer Kamerad, gegen die sind wir beide wehrlos."--Auch auf diesen Abend war die Nacht gefolgt. Auf der Schwarzw?lder Uhr hatte eben der kleine Kunstvogel zehnmal unter Flügelschlagen sein "Kuckuck" gerufen, und Richard holte den gro?en Schlüssel aus seiner Schlafkammer, um, wie jeden Abend, das Hoftor in der Mauer abzuschlie?en.
Als unten auf dem Flur Franziska aus der Küche trat, haschte er im Dunkeln ihre Hand und zog sie mit sich auf den Hof hinab. Schweigend h?ngte sie sich an seinen Arm. So blickten sie aus dem ge?ffneten Tor noch eine Weile in die Nacht hinaus.
Es stürmte; die Tannen sausten, hinter dem Wald herauf jagte schwarzes Gew?lk über den bleichen Himmel; aus dem Dickicht scholl das Geheul des gro?en Waldkauzes. Das M?dchen schauderte. "Hu, wie das wüst ist!"
"Du, hast du Furcht?" sagte er. "Ich dachte, du k?nntest dich nicht grauen."
"Doch! jetzt!" Und sie dr?ngte ihren Kopf an seine Brust.
Er trat mit ihr zurück und warf den schweren Riegel vor die Pforte; von oben aus den Fenstern fiel der Lampenschimmer in den umschlossenen Hof hinab. "Der n?chtliche Graus bleibt drau?en!" sagte er.
Sie lachte auf. "Und auch der Vormund!" raunte sie ihm ins Ohr.
Er nahm sie wie berauscht auf beide Arme und trug sie in das Haus.--Und auch hier drehte sich nun der Schlüssel, und wer drau?en gestanden h?tte, würde es geh?rt haben, wie auf diesen Klang der gro?e Hund sich innen vor der Haustür niederstreckte.
Bald war auch in den Fenstern oben das Licht erloschen, und das Haus lag wie ein kleiner dunkler Fleck zwischen unz?hligen andern in der gro?en Einsamkeit der Waldnacht.
--------------------------
Franziska war mit dürftiger Kleidung in ihre neue Stellung eingetreten, und obgleich Richard bei seiner ersten Verhandlung mit dem Vormunde in dieser Beziehung alle Fürsorge
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 24
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.