Waldwinkel | Page 8

Theodor W. Storm
für die trotz ihrer Taubheit die Welt kein st?rendes Geheimnis barg, vermochte es nicht zu sehen; aber selbst der l?wengelbe Hund sah es, da? sein Herr in den Bann dieses fremden Kindes geraten, da? er ihr ganz verfallen sei; denn mehr wie je dr?ngte er sich an ihn und blickte ihn mit fast vorwurfsvollen Augen an. Lange waren sie zweck- und ziellos miteinander umhergestreift; jetzt, da schon die D?mmerung in den Wald herabsank, lagerten Herr und Hund unweit des Fu?steiges unter einem gro?en Eichenbaum, in dem um diese Zeit die Nebelkr?hen sich zu versammeln pflegten, bevor sie zu ihren noch abgelegeneren Schlafpl?tzen flogen.
Der Doktor hatte den Kopf gegen einen moosbewachsenen Granitblock gelehnt, auf dem Franziska sich einige Male ausgeruht, wenn sie mit ihm von einem Ausfluge hier vorbeigekommen war. Seine Augen blickten in das Ge?st des Baumes über ihm, wo Vogel um Vogel niederrauschte, wo sie durcheinanderhüpften und kr?chzten, als h?tten sie die Chronik des Tages miteinander festzustellen; aber die schwarzgrauen Gesellen kümmerten ihn im Grunde wenig; durch seine Phantasie ging der leichte Tritt eines M?dchens, desselben, deren müde Fü?chen noch vor kurzem an diesem Stein herabgehangen hatten, gegen den er jetzt seinen grübelnden Kopf drückte.
Was hatte eine Bet?rung über ihn gebracht, wie er sie nie im Leben noch empfunden hatte?--Alles andere, was er ein halbes Leben lang wie ein unertr?gliches Leid mit sich umhergeschleppt, es war wie ausgel?scht, er begriff es fast nicht mehr. War es nur der Taumel, nach einem letzten Jugendglück zu greifen? Oder war es das Geheimnis jener jungen Augen, die mitunter pl?tzlich in j?he Abgründe hinabzublicken schienen?--So manches hatte er an ihr bemerkt, das seinem Wesen widersprach; es blitzten H?rten auf, die ihn emp?rten, es war eine Selbst?ndigkeit in ihr, die fast verachtend jede Stütze abwies. Aber auch das lie? ihm keine Ruhe; es war ein Feindseliges, das ihn zum Kampf zu fordern schien, ja von dem er zu ahnen glaubte, es werde, wenn er es bezwungen h?tte, mit desto hei?eren Liebeskr?ften ihn umfangen.
Er war aufgesprungen; er streckte die Arme mit geballten F?usten in die leere Luft, als müsse er seine Sehnen prüfen, um sogleich auf Leben und Tod den Kampf mit der geliebten Feindin zu bestehen.
über ihm in der Eiche rauschten noch immer die V?gel durcheinander; da schlug der Hund an, und die ganze Schar erhob sich mit lautem Kr?chzen in die Luft. Aber aus dem Walde h?rte er ein anderes Ger?usch; kleine leichte Schritte waren es, die eilig n?her kamen, und bald gewahrte er zwischen den Baumst?mmen das Flattern eines Frauenkleides. Er drückte die Faust gegen seine Brust, als k?nnte er das rasende Klopfen seines Blutes damit zurückdr?ngen.
Atemlos stand sie vor ihm.
"Franziska!" rief er. "Wie bla? Sie aussehen!"
"Ich bin gelaufen", sagte sie, "ich habe Sie gesucht."
"Mich, Franziska? Es wird schon dunkel hier im Walde."
Sie mochte die Antwort, nach der ihn dürstete, in seinem Antlitz lesen; aber sie sagte einfach--und es war der Ton der Dienerin, welche ihrem Herrn eine Bestellung ausrichtet: "Es ist jemand da, der Sie zu sprechen wünscht."
"Der mich zu sprechen wünscht, Franziska?"
Sie nickte. "Es ist der Vormund, der Schuster", sagte sie beklommen, als fühle sie das Pech an ihren Fingern.
"Ihr Vormund! Was kann der von mir wollen?"
"Ich wei? es nicht; aber ich habe Angst vor ihm."
"So kommen Sie, Franziska!"
Und rasch schritten sie den Weg zurück.--Es war ein untersetztes M?nnlein mit wenig intelligentem, stumpfnasigem Antlitz, das in dem Stübchen der Frau Lewerenz auf sie gewartet hatte. Richard führte ihn nach dem Wohnzimmer hinauf, wohin Franziska schon vorangegangen war.
"Nun, Meister, was wünschen Sie von mir?" sagte er, indem er sich auf den Sessel vor seinem Schreibtisch niederlie?.
Der Handwerker, der trotz des angebotenen Stuhles wie verlegen an der Tür stehen blieb, brachte zuerst in ziemlicher Verworrenheit einige Redensarten vor, mit denen er die Veranlassung seines heutigen Besuches zum voraus zu entschuldigen suchte. Endlich aber kam er doch zur Hauptsache. Ein alter B?ckermeister, reich--sehr reich und ohne Kinder, wollte Franziska zu sich nehmen; er hatte fallen lassen, da? er sie sogar in seinem Testament bedenken werde, wenn sie treulich bei ihm aushalte; für ihn, den Vormund, sei es Gewissenssache, ein solches Glück für seine Mündel nicht von der Hand zu weisen.
Richard hatte, wenigstens scheinbar, geduldig zugeh?rt. "Ich mu? Ihre Fürsorglichkeit anerkennen, Meister", sagte er jetzt, indem er gewaltsam seine Erregung unterdrückte; "aber Franziska wird nicht schlechter gestellt sein in meinem Hause; ich bin bereit, Ihnen die n?tigen Garantien dafür zu geben."
Der Mann drehte eine Weile den Hut in seinen H?nden. "Ja", sagte er endlich, "es wird denn doch nicht anders gehen."
"Und weshalb denn nicht?"
Er erhielt keine Antwort; der Angeredete blickte mürrisch auf den Boden.
Das M?dchen hatte w?hrend dieser Verhandlung laut- und regungslos am Fenster gestanden. Als Richard jetzt den Kopf zurückwandte, sah er ihre gro?en grauen Augen weit ge?ffnet; angstvoll, in flehender Hingebung, alles Str?uben von sich werfend, blickte sie ihn an.
"Franziska!" murmelte er.
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