Waldwinkel | Page 7

Theodor W. Storm
die Küche, in den von
dort hinabführenden Keller; dann stieg sie auf einer bald von ihr
erspähten Treppe auf den Hausboden, über welchem hoch und düster
sich das Dach erhob. Es huschte etwas an ihr vorbei, es mochte ein Iltis
oder ein Marder gewesen sein; sie achtete nicht darauf, sondern tappte

sich nach einer der insgesamt geschlossenen Luken und rüttelte daran,
bis sie aufflog. Es war die Hinterseite des Daches, und unter ihr
unabsehbar dehnte sich die Heide aus, immer breiter aus dem Walde
herauswachsend.
Hier in dem dunkeln Rahmen der Dachöffnung kauerte sie sich nieder;
nur ihre grauen Falkenaugen schweiften lebhaft hin und her, bald zur
Seite über die in der Mittagsglut wie schlummernd ruhenden Wälder,
bald hinab auf die kargen Räderspuren, welche über die Heide zu der
soeben von ihr verlassenen Welt hinausliefen.
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In der Zeit, die hierauf folgte, erfuhr das Wild in der Umgebung des
"Narrenkastens" eine ihm dort ganz ungewohnte Beunruhigung in der
Stille seines Sommerlebens. Aus den Kräutern der jungen
Tannenschonung springt plötzlich der Hirsch empor und stürmt, nicht
achtend seines knospenden Geweihes, in das nahe Waldesdickicht;
draußen im Moorgrund fliegen zwei stahlblaue Birkhähne glucksend in
die Höhe, die seit Jahren hier unbehelligt ihre Tänze aufführen durften;
selbst Meister Reineke bleibt nicht ungestört.
In einem alten Riesenhügel hat er sein Malepartus aufgeschlagen und
sitzt jetzt in der warmen Mittagssonne vor einem seiner Ausgänge, bald
behaglich nach den über der Heide spielenden Mücken blinzelnd, bald
auf seine jungen Füchslein schauend, die um ihn her ihre ersten
Purzelbäume versuchen. Da plötzlich streckt er den Kopf und bewegt
horchend seine spitzen Ohren; drüben, vom Saum des Buchenwaldes,
hat die Luft einen ungehörigen Laut ihm zugetragen.
Einige Minuten später schreitet ein nicht mehr junger, aber kräftiger
Mann über die Heide; ein großer, löwengelber Hund springt ihm voraus
und steckt die Schnauze in den Eingang des Hünengrabes, durch
welchen kurz vorher der Fuchs und seine Brut verschwunden sind;
doch sein Herr ruft ihn zurück, und er gehorcht ihm augenblicklich. Sie
kommen eben aus dem Walde; jetzt schreiten sie weiter über die Heide;
bald werden sie zusammen dort den Sumpf durchwaten. Sie sind
unzertrennlich, sie tun das alle Tage; aber die Tiere brauchen sich vor
ihnen nicht zu fürchten; denn der Hund hat nur Augen für seinen Herrn
und dieser nur für die stille Welt der Pflanzen, welche, einmal
aufgefunden, seiner Hand nicht mehr entfliehen können; heute sind es
besonders die Moose und einige Zwergbildungen des

Binsengeschlechts; die er unbarmherzig in seine grüne Kapsel sperrt.
Mitunter geht auch ein Mädchen an seiner Seite; doch dies geschieht
nur selten und bei kürzeren Wanderungen. Meistens ist sie drüben an
der Wiesenmulde, hinter den hohen Mauern des "Waldwinkels"; dort
geht sie in Küch und Keller einer alten Frau zur Hand, deren
gutmütiges Gesicht schon durch die Einförmigkeit seines Ausdrucks
eine langjährige Taubheit verraten würde, wenn dies nicht noch
deutlicher durch ein Höhrrohr geschähe, das sie wie ein Jägerhörnchen
am Bande über der Schulter trägt. Das Mädchen weiß, daß die Alte
einst die Wärterin ihres jetzigen Herrn gewesen ist; sie zeigt sich ihr
überall gefällig und sucht ihr alles an den Augen abzusehen.--Anders
steht sie mit dem Herrn selber; er hat keinen Blick wieder von ihr
erhalten wie damals in der Gerichtsstube, als er der Aktuar des
Bürgermeisters war, so ungeduldig er auch oft darauf zu warten scheint.
Zuweilen, wenn sie nach dem Mittagstische die Zimmer oben geordnet
hat, was stets mit pünktlicher Sauberkeit geschieht, sitzt sie auch wohl
am Fenster des kleinen Bibliothekszimmers und malt auf bräunliche
Papierblättchen eine Rispe oder einen Blütenstengel, den der Doktor
allein oder sie mit ihm aus der Wildnis draußen heimgebracht hat.
Dieser selbst steht dann oft lange neben ihr und blickt schweigend und
wie verzaubert auf die kleine, regsame Hand.
So war es auch eines Nachmittags, da schon manche Woche ihres
Zusammenlebens hingeflossen war. Er hatte einen Strauß aus Wollgras
und gesterntem Bärenlauch vor ihr zurechtgelegt, und sie war emsig
beschäftigt, ihn aufs Papier zu bringen. Mitunter hatte er ein kurzes
Wort zu ihr gesprochen, und sie hatte ebenso und ohne aufzublicken
ihm geantwortet.
"Aber sind Sie denn auch gern hierhergekommen?" fragte er jetzt.
"Gewiß! Weshalb denn nicht? Bei dem Schuster roch das ganze Haus
nach Leder; und Bettelleute waren es auch."
"Bettelleute?--Weshalb sprechen Sie so hart. Franziska?"--Es schien,
als wenn er ihr zu zürnen suche; aber er vermochte es schon längst
nicht mehr. Eine Weile ließ er seine Augen auf ihr ruhen, während sie
eifrig an einem Blättchen fortschattierte; als keine Antwort erfolgte,
sagte er: "Ich bin kein Bettelmann, aber einsam ist es hier für Sie."
"Das hab ich gern", erwiderte sie leise und tauchte wieder den Pinsel in
die Farbe.

Neben ihr auf dem Tische lagen mehrere fertige Blättchen; er nahm
eines derselben, auf dem eine Blüte der Cornus suecica gemalt war, und
schrieb mit Bleistift darunter:
Eine
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