Von der Seele | Page 8

Carl Ludwig Schleich

Vorgang zu entlarven. Ich will nur versuchen, einige Gesichtswinkel zu
zeichnen, unter denen man den Humor und die humoristischen

Zustände von einer Seite beleuchten kann, die vielleicht neu und
reizvoll genug ist, um die Aufmerksamkeit derer, die schon über diese
Dinge nachgedacht haben, vorübergehend festzuhalten. Dabei muß ich
verzichten, nach wissenschaftlicher Autoren Art die lange Reihe der
geistigen Väter von vor und nach Christi Geburt, die einmal über
dasselbe Thema gestolpert sind, herzuzählen, um endlich zu einem
eigenen Körnchen Wahrheit zu kommen, das ich in den literarischen
Riesenscheffel hineinzuwerfen entschlossen bin.
Die meisten bisherigen Arbeiten über den Humor, diese "lachende
Träne", über das "umgekehrt Erhabene" (Jean Paul), über die
"realästhetische Gestalt des Metaphysischen" (Bahnsen), über die
"Kontrastempfindung" (Kant) usw. scheinen mir an dem kardinalen
Fehler zu leiden, das Psychische bei dieser Form der Gemütsverfassung
vor dem rein physischen Akt der Humorsäußerung, in Summa dem
Lachen in allen Formen, unberechtigt weit und vorschnell in den
Vordergrund geschoben zu haben. Was uns zunächst nottut, ist eine
genügende, rein physiologisch-funktionelle Definition der Vorgänge im
Gehirn und im Muskelapparat, die eine humoristische Stimmung
hervorrufen und begleiten. Eine rein mechanische Betrachtungsweise
der materiellen Vorgänge im Seelenorgan gibt erst eine einigermaßen
sichere Basis, von der aus auch das rein Seelische im Humor
überschaut werden kann. Ich will daher mit einer Analyse der
allgemein üblichen Ausdrucksform humoristischer Zustände beginnen,
dem Gelächter. Erst nach einer Darstellung vom Wesen des Lachens in
allen seinen offenen und versteckten Arten kann es möglich sein, auf
das in der Seele einen Rückschluß zu machen, was diese besondere
Form unserer bebenden Atmungs- und Zwerchfellstätigkeit veranlaßt.
Nach der trockenen und kategorischen Ausdrucksweise der Physiologie
ist das Lachen eine automatische, direkt nicht dem Willen
unterliegende, rhythmische Muskelaktion im Gebiet der
Atmungstätigkeit, begleitet von gewissen mimischen Funktionen der
Gesichtsmuskeln und besonderen Gemütszuständen. In der Tat: das
herzhafte, reine, typische Gelächter ist durchaus unwillkürlich und nur
schwer durch Willenstätigkeit zu hemmen, wie unsere Erfahrungen
noch von der Schulbank her beweisen: "Zu lachen ist am schönsten,

wenn man es nicht darf." Da kommt es zu ganz explosiven,
gewaltsamen Ausbrüchen des Vulkanes über unserm Zwerchfell, deren
Unwillkürlichkeit etwas Verblüffendes, Elementares, Unhemmbares an
sich trägt. Es ist also eine affektive, von dem Willen unabhängige, von
dem jeweiligen Gemütszustande erzwungene, rhythmisch-muskuläre
Handlung, wie sie ähnliche unter weniger erfreulichen Umständen die
Ohrfeige, der Dolchstoß, der Faustschlag, oder aber das Gähnen, das
Niesen, das Husten sind. Das Zentralorgan erleidet etwas, das, wie wir
sehen werden, in einer besonderen Spannung von Vorstellungen besteht,
deren Umsatz in unhemmbare Muskeltätigkeit ebenso vor sich geht,
wie die Tabaksprise in der Nasenschleimhaut zu einer allmählich
zentral ausgelösten Reizhöhe führt, d.h. die Nase kitzelt, bis ein
Orkanstoß der Ausatmung unwillkürlich sich erhebt, mit dem Zweck,
die lästigen Naseneindringlinge an die Luft zu setzen. So gibt uns der
Humorist gleichsam eine geistige Prise, die durch eine Lachsalve
ausgeniest werden muß. Gute Erziehung und große Energie vermögen
zwar hier und da diesen psychischen Nieseffekt zu unterdrücken, aber
die Seele ist verschnupft, wenn sie von ihrem angestammten Naturrecht,
sich herzlich auszulachen, keinen Gebrauch machen kann. Ist so die
gewöhnlichste Form des Lachens eine passive, so werden wir auch
gleich Modifikationen kennen lernen, bei denen das Lachen einen
direkt aktiven, aufreizenden, provozierenden Charakter, wie im
höhnischen Angriff, gewinnt. Betrachten wir zunächst eine Person, die
_unwillkürlich_ lachen muß. Was tut sie?
Unter Nackenstellung des Kopfes, bei geöffneten Nüstern, breiter
Mundstellung, zugekniffenen Augen und unter Inanspruchnahme
sämtlicher Atmungsmuskeln, auch der auxillären, der sogenannten
Reservemuskeln für besonders ausgiebige Atmung, vollzieht sich an ihr
schnell hintereinander: erst eine tiefe Einatmung, eine unwillkürliche
sogenannte Inspiration, dann verharrt sie einen kurzen Augenblick auf
der Höhe dieser Funktion, d.h. gleichsam erwartungsvoll hält der
Betreffende mit der Atmung inne; diese setzt für eine Sekunde aus
(wobei weder aus- noch eingeatmet wird), etwa wie der Sänger, der vor
dem Einsatz seine Lungen voll Luft gepumpt hat, wartet, bis er den
Strom durch den Kehlkopf passieren läßt. Hat dieser Zustand der
Vollbereitschaft der Lungen zur Entladung eine kurze Zeit gewährt, so

schließen sich die Stimmbänder krampfhaft zu, und nun folgen unter
rhythmischen Zwerchfellszuckungen periodische Sprengungen der
Stimmritze, wobei die beiden festgeschlossenen Stimmbänder durch
die Blasebalgstöße, die das Zwerchfell auf die gefüllten Lungen ausübt,
Zug um Zug gezwungen werden, nachzugeben. Die Glottis, der
Stimmbandverschluß, wird gesprengt; und, immer von neuem sich
krampfhaft schließend, bringen wiederholte Zwerchfellerschütterungen
sie zu immer neuer Explosion. Dabei steht der Schalltrichter oberhalb
des Kehlkopfes, also der Rachen, die Mundhöhle, der Zungengrund, in
sogenannter größter Resonanzstellung, d. h. in maximaler Weite; um
mit den Gesangslehrern zu sprechen, in A-Stellung. Darum ist die
Grundvokalisation des Lachens == a vorhanden, und der Hauch der
ausgepreßten Luftstöße macht daraus ha, ha, ha! Diese Lachresonanzist
individuell verschieden durch persönliche Rachen- und Gaumenbildung,
ist abhängig von der Resonanz eines kleinen oder großen Kehlkopfes,
von dessen Tief- oder Hochstand. So nuanciert ein heller Tenortimbre
das ha, ha zu hae, hae;
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