Von der Seele | Page 3

Carl Ludwig Schleich
"ewigen Wiederkehr" aller
Dinge vom Sternenhimmel her, von Tag und Nacht, von Schlaf und
Wachen, von Ebbe und Flut, von Jahreszeiten, von Krankheiten und
Störungen des Wohlbefindens, von Geburt und Tod, von Saat und
Ernte, von Wind und Wetter, von Haß und Liebe--kurz von jeder Form
der Polarität her bekannt, die einzig auf unsere Sinne zu wirken
imstande ist, und hat man zu allen Zeiten in dem Bewegten leicht und
schon in den Kinderschuhen der Wissenschaft dies Gesetz des
metrischen Bewegungswiederholens, dieses Pendelns der
Erscheinungen sinnfällig beobachtet, so ist doch erst den neuesten
Forschungen über Elektrizität, nämlich der Lehre von den Ionen und
Elektronen, die Anschauung zu danken, daß auch die festesten Körper
der Erde nur scheinbar fest sind, daß wir annehmen müssen, im inneren
Gefüge des starren Steins eines Felsens kreisen Milliarden kleinster
Teilchen mit einer so unendlichen Schnelligkeit und einer so
vollkommen harmonischen Gleichmäßigkeit, daß unseren Sinnen so ein
innerlich von rasender Bewegung durchströmter Körper eben fest nur
erscheint, ähnlich wie ja auch das scheinbar festeste Ding der Welt, die
Erde, in Wirklichkeit in sausendem Rhythmus der Selbstdrehung und

der Drehung um die Sonne dahinrast. Es gibt schlechterdings vom
heutigen Standpunkte aus nichts Festes mehr, sondern alles ist
rhythmisch bis in die mikroskopischen Skelettgefüge hinein, mehr oder
weniger in schwingender Bewegung, so daß der Unterschied der
Aggregatzustände der Körper, fest, flüssig, luftförmig, sich als ein ganz
ärmlicher Schulmeisterkniff herausgestellt hat, um den braven
Faustlehrlingen statt des Brotes der Wahrheit den Stein gröbster
Sinnentäuschung hinzureichen. Es müßte für einen phantasiebegabten
Mathematiker eine seltsam lockende Aufgabe, wie ein letzter Triumph
des mathematischen Gedankens sein, für jeden sogenannten festen
Körper die Idealformel finden zu wollen, gewissermaßen die unendlich
schnell rotierende lineare Kurve darzustellen, die, um ihre Achse sich
drehend, dem Auge nicht minder wie der tastenden Hand den Eindruck
des Körperlichen hervorruft. Nach _Graßmann_ hat jede auch noch so
komplizierte Form, jeder Kristall, aber auch jede amorphe Gestalt eines
Körpers gewissermaßen ihr ideelles Rotationsskelett, ebenso wie etwa
eine Kugel entstanden gedacht werden kann durch einen Komplex
unzähliger konzentrischer Kreise, welche alle in den verschiedensten
Achsen sich um- und durcheinander drehen. Hätte Graßmann doch die
Zeit der elektrischen Analyse der Atombewegung erlebt, die uns
zwingend gelehrt hat, daß tatsächlich alle Eigenschaften der Stoffe,
auch ihre Form, Folgen unendlich variabler, rhythmischer
Atomschwingungen, kleinster symmetrisch bewegter Stoffteilchen, der
aktiven Elektronen, sind! Wir wissen jetzt mit aller Bestimmtheit, daß
durch diese gleichmäßige, bis in das feinste Körpernetz ausgedehnte,
symmetrische Atombewegung Farbe, Gefüge, Aussehen und das ganze
Heer der physischen und chemischen Eigenschaften der Körper bedingt
ist. Wir Modernen wissen also auch, daß der Rhythmus somit auch im
Unsichtbaren oder auch nur Erschließbaren, selbst in der Idee der
Dinge seine Macht entfaltet. Die Wellen, die das Meer aufwirft und am
Widerstand der Düne verrinnen läßt, nur um im mikroskopischen
Gefüge des Sandes, der Luft, der Pflanzen, der Tiere ihren Rhythmus
weiter zu spinnen, sie durchrauschen auch das Meer der Luft, als Licht
und Ton, als Elektrizität und Wärme in unendlich variabler Gestalt, und
alles dies Bewegte, Wogende, Wellende ist nichts als die Urkraft
"Äther", von dem Urwiderstand, in unausdenkbaren Variationen zu
kleinsten Körperchen zusammengeballt oder zerrissen, die wiederum in

unbeschreibbar zahlreichen Bewegungskurven sich untereinander
umkreisen und tatsächlich nicht den Gegenstand stofflich ausmachen,
sondern ihn immer kreisend, rollend, kurven- und wellenbildend jeden
Augenblick von neuem bilden. Es sind Weberschiffchen, goldene
Eimer, Tautröpfchen des Alls, die nach ewigen Gesetzen ihres Daseins
Kreise mit Bewegung vollenden, und zugleich ist hier das Webende das
Gewebte, der schöpfende Eimer ist der Trank, der Tropfen die neue
Quelle! Die ganze moderne Elektrizitätslehre ist nichts als ein Hymnus
auf den schwingenden Äther, aus dessen unendlich variabler
Bewegungsschnelle um den Widerstand des Körperlichen alle Form
und alle Bewegung geboren wird. Es könnte dem Denker schwindeln
bei der Vorstellung, daß das Sandkorn mit seinen Milliarden
schwingender Ätherklümpchen nichts mehr und nichts weniger ist als
ein Weltall für sich, ein Weltall mit einem geschlossenen System sich
umrasender Sterne, wenn nicht dieser Gedanke zugleich etwas
unendlich Befreiendes hätte. Es gibt eben kein Groß und Klein in der
Welt, die Sorgfalt des Gesetzmäßigen war nicht um ein Titelchen
weniger intensiv beim Aufbau des Eiskristalles als bei der Komposition
des Planetendiadems um den Edelstein Sonne. Weder im Größten noch
im Kleinsten kennt die Natur eine Begrenzung, und jedes neue
Untersuchungsmittel erweitert nur den Kreis der Probleme nach oben
ins Gigantische, nach unten ins Winzigste! Also sind auch wir, die
Menschen, denen die Sonne Augen schuf, um sie zu bewundern und in
ihren Strahlen Leid und Glück dieser Erde zu beweinen oder zu
bejauchzen, also sind auch wir genau soviel wert und wichtig wie die
Sonne selbst, aber auch das Sandkorn ist ihr und uns gleich wert. Lehrt
diese Lehre nicht eine grandiose Pietät nicht nur gegen das Mitlebende,
sondern auch gegen das Mitunbelebte?
Da es nun also feststeht, daß aus allem
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