zusammenfassenden Betrachtung zu unterziehen. Mein Thema, die
Psychophysik des Rhythmus, soll also nicht so sehr sich mit dem
Wesen des Rhythmus befassen, obwohl ich einer solchen Definition
nicht auszuweichen gedenke, sondern es soll im wesentlichen
feststellen, inwieweit auch unser seelisches Geschehen, unser Fühlen
und Denken, unsere Ethik und Ästhetik, unser Handeln und Schaffen,
unsere Liebe und unser Haß, Sympathie und Reaktion vom
Grundgesetz des Rhythmischen beeinflußt und beherrscht werden, um
daran die psychophysischen Möglichkeiten zu erwägen, welcher
Mechanismen wohl die Natur sich bedient, um unsere menschliche
Seele den kreisenden Ringen des Ganzen einzufügen. Daß bei der
unendlichen Reihe der Beziehungen der Psyche zum Gesamtrhythmus
diese Betrachtung nicht erschöpfend, sondern ein Versuch, eine Skizze,
vielleicht nur eine Anregung sein kann, bedarf wohl nicht einer
besonderen Begründung.
Schon mehrfach habe ich versucht, eine Art philosophischen
Glaubensbekenntnisses abzulegen, das in dem Satze wurzelt: _Die
treibende Kraft des Weltganzen ist für den Menschengeist ewig
unerkennbar, undefinierbar, unverständlich, kann niemals der
Gegenstand wissenschaftlicher Analyse sein. Was wir von ihr zu
verstehen glauben, ist nur ihr Verhältnis zu den wechselnden,
erforschbaren, variierbaren Hemmungen, die ihr eingeschaltet sind,
bzw. die wir ihr selbst künstlich einschalten, um dann ihre von den
Widerständen erzwungenen Äußerungen zu studieren_. Die Kraft, an
sich einheitlich und unzertrennbar, überall und unvergänglich,
allgegenwärtig und allmächtig, wird zu einem sich nur scheinbar
selbstwandelnden, metamorphisierenden, irisierenden Proteus, nicht
aus eigener spielerischer Variationslust, sondern die Hand der
Hemmung zwingt sie, ihr Gewand von Fall zu Fall zu wechseln. _Die
Art der Widerstände bestimmt die Art der Äußerung der an sich
unveränderlichen Urkraft_.
Die gesamte Physik ist nichts als eine Lehre von den Widerständen.
Die Chemie ist ebenso nichts als eine Lehre von der Variabilität der
Körpereigenschaften unter der Variabilität der Bedingungen, unter
denen sie aufeinander wirken. Wir wissen z.B. nichts vom Wesen der
Schwerkraft, wir studieren aber ihre Gesetze am Widerstand, welche
den fallenden Kräften die verschiedenartig abgeänderte Luft
entgegensetzt. Wir wüßten nichts von der Elektrizität, wenn wir nicht
gelernt hätten, der Gesamtkraft spezifische Widerstände einzuschalten,
welche sie zwingen in einer Form sich zu äußern, welche wir elektrisch
nennen. Die Art, in welcher die Kraft die Hemmung durchbricht, ihr
ausweicht, um sie herumzukommen sucht, ist entscheidend für die
neuen Eigenschaften, welche die unendlich variable Urkraft
anzunehmen befähigt ist. Die Faust der Hemmung und des
Widerstandes ist es, welche dem Weltganzen Form und Richtung gibt
und welche auch in dem Organischen als Gesetz der variablen
Bedingungen, als Anpassung an die Widerstände des Milieus ihre
universelle Macht täglich mehr erkennbar entfaltet. Wir werden uns
ewig umsonst bemühen, das Wesen irgendeiner Kraft zu analysieren, es
gibt keine Erforschung von dem eigentlichen Agens der Welt--sein
fühlbares Dasein verdichtet unser Denken zum Gedicht, zur Andacht,
zum Glauben, die Kraft und ihr religiöser Name "Gott" ist darum kein
Gegenstand wissenschaftlicher Analysen. Was aber um so erfolgreicher
der menschlichen Erkenntnis unterworfen ist, was in gewissem Sinne
sogar unserer experimentellen, künstlichen Abänderung der
Weltbedingungen unterliegt, das ist die Hemmung, die Lehre von den
Widerständen: das ist eigentlich das Problem aller Wissenschaft. Die
Lehre von der Macht der Hemmungen ist eins der Grundgesetze der
Weltmechanik. Hier hat auch die Definition von dem Sinne des
Rhythmus im Weltganzen einzusetzen, wenn sie bis zu den
erkennbaren Grundanschauungen, gleichsam bis zu den Müttern des
Wissens vordringen will.
_Der Rhythmus ist nämlich eine Art Kompromiß zwischen Kraft und
Widerstand_, ein wechselseitiges Gegeneinanderprallen,
Sichausweichen, Sichfliehen und -finden, ein harmonisches Spiel von
Energieentfaltung und Hemmungsbetätigung, das Sichumkreisen und
Sichumsprudeln zweier nie ganz vereinbarer Gegensätze; der
Rhythmus ist gleichsam eine Ehe zwischen Kraft und Hemmung, die in
Harmonie nur durch ein ständiges wechselndes Nachgeben des einen
und des andern zu erhalten ist. Der Rhythmus bekundet die immer hin-
und herschwankende Bilanz zwischen dem Ja und Nein des Lebens und
der Bewegung, er ist ein immer hin- und herpendelnder, wechselnder
Wert zwischen Plus und Minus, eine an- und abschwellende Diagonale
im Parallelogramm von Kraft und Widerstand. Und seine eigentliche
Ursache? _Die Aktivität der Kraft auf der einen Seite und die Elastizität
der Materie auf der andern_. Die Kraft, nach allen Seiten gleichmäßig
aktiv, geht gegen den Stoff gleichsam an, um ihn aus dem Wege zu
schleudern, er weicht aus, verdichtet sich, diese Verdichtung
komprimiert sein innerstes Gefüge, wodurch wiederum der Widerstand
erhöht wird, den er der Kraft bietet, so daß diese nicht wie eine Welle
den Schlamm langsam durchrinnt, sondern wie eine Woge vom starren
Felsen schäumend zurückgeworfen wird. Aus diesem Anprall, dieser
Verdichtung der Materie und dem Wachsen ihres rückstoßgebenden
Widerstandes setzt sich der Rhythmus, dieser Tanz zwischen Aktion
und Hemmung, zusammen. Das Herz der Welt, die Kraft, treibt seinen
Strom in alle Adern, die ihm die Widerstände lassen, und alle Ströme
rinnen, abprallend und abgeschleudert vom Widerstande des Alls,
zurück in ihre anfängliche, urewige Quelle. Das ist der Kreislauf der
Kraft, das ist der Puls der Welt, der Rhythmus!
War das Gesetz des Rhythmischen, der
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