Von Haparanda bis San Francisco | Page 4

Ernst Wasserzieher
San Francisco nach dem oberen Mississippi im Jahre 1883 ber��hrte, kenne ich zu wenig, um dar��ber etwas zu sagen, was nicht andere schon besser gesagt h?tten. Aber ich will auch nicht von dieser Mormonenstadt reden, sondern von der alten weniger bekannten, von Nauvoo. Als ich, vom Niagara kommend, in Chicago eine Fahrkarte nach Nauvoo verlangte, sah mich der Verk?ufer ganz verdutzt an. Auch in Amerika ist die Stadt wenig bekannt, fast so wie in Europa. Niemand besucht sie; wer h?tte auch Veranlassung dazu?
Von Chicago aus f?hrt man etwa zehn Stunden in s��dwestlicher Richtung quer durch den Staat Illinois. Dieser ist wohl angebaut, h��gelig; ein Viertel ist noch Wald. Man nennt ihn den Garten Amerikas, was ich berechtigt finde, wenn statt Garten Gem��segarten gesetzt wird. Es d?mmerte schon, als wir uns dem Mississippi n?herten. Bei Burlington ��berschritten wir ihn. Hunderte von deutschen Meilen von seiner M��ndung entfernt, ist er schon hier ein paar Kilometer breit. Von Burlington aus benutzt man den Dampfer, der in wenigen Stunden in Nauvoo landet.
Nauvoo, in Hancock County im Staate Illinois, unter einem Breitengrade mit New York und Neapel (40�� n. Br. gelegen), dehnt sich auf einer breiten vorspringenden Halbinsel auf dem linken (Ost)-Ufer des Mississippi aus und zerf?llt in zwei Teile. Die "Flat" zieht sich am Ufer hin und ist ganz eben und flach; daher der Name. Dahinter erhebt sich auf sanft ansteigenden H��geln die obere Stadt. Nauvoo ist gro?artig angelegt; es hat sehr breite, endlos lange Stra?en, die sich in regelm??igen Abst?nden rechtwinkelig kreuzen und in denen an nichts Mangel ist, au?er an H?usern. Man kann hundert Schritte gehen, ohne etwas anderes zu sehen, als rechts und links G?rten, Felder, vor allem Weinberge, mit Osage- (wilden Orangen) Hecken eingefa?t; auf den mit Gras und Unkraut bewachsenen Fu?wegen weiden K��he und Pferde; Hunde und G?nse laufen umher; dann und wann kommt wohl auch ein Reiter oder ein Fu?g?nger. Endlich schimmert ein Haus durch das Gr��n, aber es ist unbewohnt, halb verbrannt, ohne Scheiben in den Fenstern: eine Ruine. Solcher Ruinen giebt es nicht wenig in Nauvoo; sie stammen aus der Zeit, wo die Mormonen mit Feuer und Schwert ausgerottet oder vertrieben wurden. Kommt man mehr in die innere Stadt, so findet man auch bewohnte H?user, wei?, mit gr��nen L?den und Veranden, aus denen sogar Klavierspiel t?nt. Selbst eine ganze Stra?e ist da, Mulhollandstreet, mit Kaufl?den, Werkst?tten, Wirtsh?usern u.s.w. In dieser Stra?e sind die Fu?steige gedielt und der Fahrweg am Samstag mit Fuhrwerken der Farmer und Farmerst?chter aus der Umgegend gef��llt, die kommen, um ihre Eink?ufe f��r die Woche zu besorgen.
Drei Elementarschulen und eine High School, jede mit einem Lehrer bezw. Lehrerin, sowie eine Damenakademie unter Leitung von Nonnen, die ein h��bsches, im Schweizerstil erbautes Kloster bewohnen, sorgen f��r die geistigen Bed��rfnisse der Nauvooer Jugend. Die Highschool, drei Klassen in einem Raum vereinigt, wird von Knaben und M?dchen verschiedenen Alters bis zu sechzehn Jahren besucht, die mit r��hmlichem Flei? ihren Studien obliegen, die auch Latein umfassen. Die Unterrichtsmethode ist, wie ich mich durch wiederholtes Hospitieren ��berzeugen konnte, ziemlich mechanisch und geistlos. In der Geschichte z.B. wird ein Paragraph aus dem Buche vorgelesen und dann zum n?chsten Male aufgegeben. Dabei bleibe nicht unerw?hnt, da? der Lehrer, der auch etwas studiert hat, allen guten Willen hat und bei seinen Z?glingen beliebt ist. Der Unterricht ist, wie meist in Amerika, von 9-12 und von 3-6; Sonnabend ist ganz frei.
Nauvoo hat ein halbes Dutzend Kirchen, reichlich viel f��r 1500 Einwohner, aber in Amerika nichts Ungew?hnliches, da jede Sekte doch ihr Gotteshaus haben will. Es sind kleine Holzbauten, mit Ausnahme der katholischen, die an Gr??e und Sch?nheit die anderen ��bertrifft. Der katholische Pfarrer ist theologisch gebildet; die Geistlichen der anderen Konfessionen, Lutheraner, Presbyterianer, Deutsch- und Englisch-Methodisten, sind Farmer, Kaufleute, Handwerker, die das Predigen als Nebenbesch?ftigung betreiben und durch Kraft und F��lle der Stimme die sonst fehlenden Eigenschaften ersetzen. An Wochentagen kann man sie hinter dem Ladentisch, in der Werkstatt und beim Strohaufladen hantieren sehen. Von dem gro?en pr?chtigen Tempel der Mormonen stehen nicht einmal die Ruinen mehr.
Die Nauvooer Zeitung (Nauvoo Independant nennt sie sich stolz) erscheint w?chentlich einmal. Die Verbindung mit der Au?enwelt wird durch Telegraph und Telephon hergestellt; durch eine Dampff?hre gelangt man ans westliche Ufer, nach dem kleinen Ort Mont-Rose, von wo man die Eisenbahn nach mehreren Richtungen hin benutzen kann. Den Sommer hindurch legen die Mississippidampfer, die den Flu? in seiner ganzen Ausdehnung von St. Paul nach St. Louis, von da nach New Orleans, befahren, in Nauvoo an; die ganze Fahrt, die ununterbrochen Tag und Nacht w?hrt, nimmt etwa 14 Tage in Anspruch. Im Winter ist der Flu? n?rdlich von St. Louis wegen des Eises unfahrbar.
Eine Eisenbahn wurde von den Mormonen in Angriff genommen, blieb aber unvollendet. Die Einwohner Nauvoos besch?ftigen sich meist mit Ackerbau, besonders Weinbau. Bis Nauvoo hinauf geht die Weingrenze, doch kann man nicht sagen, da?
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