Viola Tricolor | Page 3

Theodor W. Storm
rasch mit sich aus dem Zimmer. Sie kamen noch früh genug,
um den Wagen vorfahren zu sehen; die beiden Mägde hätten schon die
Haustür aufgeschlagen.--Das Wort der alten Dienerin schien sich zu

bestätigen. Von einem etwa vierzigjährigen Manne, in dessen ernsten
Zügen man Nesis Vater leicht erkannte, wurde eine junge schöne Frau
aus dem Wagen gehoben. Ihr Haar und ihre Augen waren fast so
dunkel wie die des Kindes, dessen Stiefmutter sie geworden war; ja
man hätte sie, flüchtig angesehen, für die rechte halten können, wäre
sie dazu nicht zu jung gewesen. Sie grüßte freundlich, während ihre
Augen wie suchend umherblickten; aber ihr Mann führte sie rasch ins
Haus und in das untere Zimmer, wo sie von dem frischen Rosenduft
empfangen wurde.
"Hier werden wir zusammen leben", sagte er, indem er sie in einen
weichen Sessel niederdrückte, "verlaß dies Zimmer nicht, ohne hier die
erste Ruhe in deinem neuen Heim gefunden zu haben!"
Sie blickte innig zu ihm auf. "Aber du--willst du nicht bei mir bleiben?"
--"Ich hole dir das Beste von den Schätzen unseres Hauses."
"Ja, ja, Rudolf, deine Agnes! Wo war sie denn vorhin?"
Er hatte das Zimmer schon verlassen. Den Augen des Vaters war es
nicht entgangen, daß bei ihrer Ankunft Nesi sich hinter der alten Anne
versteckt gehalten hatte; nun, da er sie wie verloren draußen auf dem
Hausflur stehen fand, hob er sie auf beiden Armen in die Höhe und trug
sie so in das Zimmer.
--"Und hier hast du die Nesi!" sagte er und legte das Kind zu den Füßen
der schönen Stiefmutter auf den Teppich; dann, als habe er Weiteres zu
besorgen, ging er hinaus; er wollte die beiden allein sich finden lassen.
Nesi richtete sich langsam auf und stand nun schweigend vor der
jungen Frau; beide sahen sich unsicher und prüfend in die Augen.
Letztere, die wohl ein freundliches Entgegenkommen als
selbstverständlich vorausgesetzt haben mochte, faßte endlich die Hände
des Mädchens und sagte ernst: "Du weißt doch, daß ich jetzt deine
Mutter bin, wollen wir uns nicht liebhaben, Agnes?" Nesi blickte zur
Seite.

"Ich darf aber doch Mama sagen?" fragte sie schüchtern.
--"Gewiß, Agnes; sag, was du willst, Mama oder Mutter, wie es dir
gefällt!"
Das Kind sah verlegen zu ihr auf und erwiderte beklommen: "Mama
könnte ich gut sagen!"
Die junge Frau warf einen raschen Blick auf sie und heftete ihre
dunkeln Augen in die noch dunkleren des Kindes. "Mama; aber nicht
Mutter?" fragte sie.
"Meine Mutter ist ja tot", sagte Nesi leise.
In unwillkürlicher Bewegung stießen die Hände der jungen Frau das
Kind zurück; aber sie zog es gleich und heftig wieder an ihre Brust.
"Nesi", sagte sie, "Mutter und Mama ist ja dasselbe!"
Nesi aber erwiderte nichts; sie hatte die Verstorbene immer nur Mutter
genannt.
--Das Gespräch war zu Ende. Der Hausherr war wieder eingetreten,
und da er sein Töchterchen in den Armen seiner jungen Frau erblickte,
lächelte er zufrieden.
"Aber jetzt komm", sagte er heiter, indem er der letzteren seine Hand
entgegenstreckte, "und nimm als Herrin Besitz von allen Räumen
dieses Hauses!"
Und sie gingen miteinander fort; durch die Zimmer des unteren Hauses,
durch Küche und Keller, dann die breite Treppe hinauf in einen großen
Saal und in die kleineren Stuben und Kammern, die nach beiden Seiten
der Treppe auf den Korridor hinausgingen.
Der Abend dunkelte schon; die junge Frau hing immer schwerer an
dem Arm ihres Mannes, es war fast, als sei mit jeder Tür, die sich vor
ihr geöffnet, eine neue Last auf ihre Schultern gefallen; immer
einsilbiger wurden seine froh hervorströmenden Worte erwidert.

Endlich, da sie vor der Tür seines Arbeitszimmers standen, schwieg
auch er und hob den schönen Kopf zu sich empor, der stumm an seiner
Schulter lehnte.
"Was ist dir, Ines?" sagte er, "du freust dich nicht!"
"O doch, ich freue mich!"
"So komm!"
Als er die Tür geöffnet hatte, schien ihnen ein mildes Licht entgegen.
Durch das westliche Fenster leuchtete der Schein des Abendgoldes, das
drüben jenseits der Büsche des kleinen Gartens stand.--In diesem
Lichte blickte das schöne Bild der Toten von der Wand herab; darunter
auf dem matten Gold des Rahmens lag wie glühend die frische rote
Rose.
Die junge Frau griff unwillkürlich mit der Hand nach ihrem Herzen und
starrte sprachlos auf das süße lebensvolle Bild. Aber schon hatten die
Arme ihres Mannes sie fest umfangen.
"Sie war einst mein Glück", sagte er; "sei du es jetzt!"
Sie nickte, aber sie schwieg und rang nach Atem. Ach, diese Tote lebte
noch, und für sie beide war doch nicht Raum in einem Hause!
Wie zuvor, da Nesi hier gewesen, tönte jetzt wieder aus dem großen, zu
Norden belegenen Garten die mächtige Stimme eines Hundes.
Mit sanfter Hand wurde die junge Frau von ihrem Gatten an das
dorthinaus liegende Fenster geführt. "Sieh einmal hier hinab!" sagte er.
Drunten auf dem Steige, der um den großen
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 16
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.