Viola Tricolor | Page 9

Theodor W. Storm
forgerissen.
Das alles war in wilder Flucht durch seinen Kopf gegangen, als er die Treppe nach dem Hofe hinabgest��rmt.--Auch damals waren sie durch den Garten von ihrem Hause fortgegangen, und jetzt traf er sie hier, fast unbekleidet, das sch?ne Haar vom Nachttau feucht, der noch immer von den B?umen tropfte.
Er h��llte sie in den Plaid, welchen er sich selbst vorm Hinuntergehen ��bergeworfen hatte. "Ines", sagte er--das Herz schlug ihm so gewaltig, da? er das Wort fast rauh hervorstie?--, "was ist das? Wie bist du hieher gekommen?"
Sie schauerte in sich zusammen.
"Ich wei? nicht, Rudolf--ich wollte fort--mir tr?umte; oh Rudolf, es mu? etwas Furchtbares gewesen sein!"
"Dir tr?umte? Wirklich, dir tr?umte!" wiederholte er und atmete auf, wie von einer schweren Last befreit.
Sie nickte nur und lie? sich wie ein Kind ins Haus und in das Schlafgemach zur��ckf��hren.
Als er sie hier sanft aus seinen Armen lie?, sagte sie: "Du bist so stumm, du z��rnst gewi??"
"Wie sollt ich z��rnen, Ines! Ich hatte Angst um dich. Hast du schon fr��her so getr?umt?"
Sie sch��ttelte erst den Kopf, bald aber besann sie sich. "Doch--einmal; nur war nichts Schreckliches dabei."
Er trat ans Fenster und zog die Vorh?nge zur��ck, so da? das Mondlicht voll ins Zimmer str?mte.
"Ich mu? dein Antlitz sehen", sagte er, indem er sie auf die Kante ihres Bettes niederzog und sich dann selbst an ihre Seite setzte. "Willst du mir nun erz?hlen, was dir damals Liebliches getr?umt hat? Du brauchst nicht laut zu sprechen; in diesem zarten Lichte trifft auch der leiseste Ton das Ohr."
Sie hatte den Kopf an seine Brust gelegt und sah zu ihm empor.
"Wenn du es wissen willst", sagte sie nachsinnend. "Es war, glaub ich, an meinem dreizehnten Geburtstag; ich hatte mich ganz in das Kind, in den kleinen Christus, verliebt, ich mochte meine Puppen nicht mehr ansehen."
"In den kleinen Christus, Ines?"
"Ja, Rudolf", und sie legte sich wie zur Ruhe noch fester in seinen Arm; "meine Mutter hatte mir ein Bild geschenkt, eine Madonna mit dem Kinde; es hing h��bsch eingerahmt ��ber meinem Arbeitstischchen in der Wohnstube."
"Ich kenne es", sagte er, "es h?ngt ja noch dort; deine Mutter wollte es behalten zur Erinnerung an die kleine Ines."-"O meine liebe Mutter!"
Er zog sie fester an sich; dann sagte er: "Darf ich weiter h?ren, Ines?"
--"Doch! Aber ich sch?me mich, Rudolf." Und dann leise und z?gernd fortfahrend: "Ich hatte an jenem Tage nur Augen f��r das Christkind; auch nachmittags, als meine Gespielinnen da waren; ich schlich mich heimlich hin und k��?te das Glas vor seinem kleinen Munde--es war mir ganz, als wenn's lebendig w?re--h?tte ich es nur auch wie die Mutter auf dem Bild in meine Arme nehmen k?nnen!"--Sie schwieg; ihre Stimme war bei den letzten Worten zu einem fl��sternden Hauch herabgesunken.
"Und dann, Ines?" fragte er. "Aber du erz?hlst mir so beklommen!"
--"Nein, nein, Rudolf! Aber--in der Nacht, die darauf folgte, mu? ich auch im Traume aufgestanden sein; denn am andern Morgen fanden sie mich in meinem Bette, das Bild in beiden Armen, mit meinem Kopf auf dem zerdr��ckten Glase eingeschlafen."
Eine Weile war es totenstill im Zimmer.--"Und jetzt?" fragte er ahnungsvoll und sah ihr tief und herzlich in die Augen. "Was hat dich heute denn von meiner Seite in die Nacht hinausgetrieben?"
"Jetzt, Rudolf?"--Er f��hlte, wie ein Zittern ��ber alle ihre Glieder lief. Pl?tzlich schlang sie die Arme um seinen Hals, und mit erstickter Stimme fl��sterte sie angstvolle und verworrene Worte, deren Sinn er nicht verstehen konnte.
"Ines, Ines!" sagte er und nahm ihr sch?nes kummervolles Antlitz in seine beiden H?nde.
--"O Rudolf! La? mich sterben; aber versto?e nicht unser Kind!"
Er war vor ihr aufs Knie gesunken und k��?te ihr die H?nde. Nur die Botschaft hatte er geh?rt und nicht die dunkeln Worte, in denen sie ihm verk��ndigt wurde; von seiner Seele flogen alle Schatten fort, und hoffnungsreich zu ihr emporschauend, sprach er leise:
"Nun mu? sich alles, alles wenden!"
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Die Zeit ging weiter, aber die dunkeln Gewalten waren noch nicht besiegt. Nur mit Widerstreben f��gte Ines die noch aus Nesis Wiegenzeit vorhandenen Dinge der kleinen Ausr��stung ein, und manche Tr?ne fiel in die kleinen M��tzen und J?ckchen, an welchen sie jetzt stumm und eifrig n?hte.--Auch Nesi war es nicht entgangen, da? etwas Ungew?hnliches sich vorbereite. Im Oberhause, nach dem gro?en Garten hinaus, stand pl?tzlich eine Stube fest verschlossen, in der sonst ihre Spielsachen aufbewahrt gewesen waren; sie hatte durchs Schl��sselloch hineingeguckt; eine D?mmerung, eine feierliche Stille schien darin zu walten. Und als sie ihre Puppenk��che, die man auf den Korridor hinausgesetzt hatte, mit H��lfe der alten Anne auf den Haus- boden trug, suchte sie dort vergebens nach der Wiege mit dem gr��nen Taffetschirme, welche, solange sie denken konnte, hier unter dem schr?gen Dachfenster gestanden hatte. Neugierig sp?hte sie in alle Winkel.
"Was gehst du herum wie ein Kontrolleur?" sagte die Alte.
--"Ja, Anne, wo ist aber meine Wiege geblieben?"
Die Alte blickte sie mit schlauem L?cheln an. "Was meinst", sagte sie, "wenn dir der Storch noch
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